Zwischen Freiheit und Struktur

Wie Kinder in Seekirchen selbstbestimmt lernen

Veröffentlicht: 14. September 2022 14:40 Uhr
Mit fünf weiteren Kindern und drei zusätzlichen Räumen ist die freie Schule Seenland in Seekirchen diese Woche in das zweite Schuljahr gestartet. Frontalunterricht und Schulbänke, wie viele von uns das kennen, gibt es dort nicht. Im Mittelpunkt steht das selbstbestimmte Lernen. Was das genau ist und wie es funktionieren kann, haben wir uns vor Ort angesehen.

6.500 Kinder und Jugendliche besuchen in Österreich freie Schulen mit Öffentlichkeitsrecht, an denen die Schulpflicht absolviert werden kann. Die freie Schule Seenland in Seekirchen (Flachgau) ist eine davon und geht heuer in ihr zweites Jahr. Sie trägt den Namen „LOTUS“, was für „Lernraum für offenes Tun und Sein“ steht. Insgesamt 30 Schüler:innen – fünf mehr als im Vorjahr – im Alter von sechs bis 15 Jahren finden heuer dort ihren Platz in der Gruppe, werden von Lernbegleiter:innen betreut und beim selbstbestimmten Lernen unterstützt.

Was ist „selbstbestimmtes Lernen“?

Doch was genau bedeutet selbstbestimmtes Lernen eigentlich? Der Begriff wurde in der Reformpädagogik geprägt und bezeichnet den Ansatz, bei dem Lernende – in dem Fall die Kinder – selbst bestimmen, was sie wann, wo, wie und mit wem zusammen lernen. „Wir wissen, dass Kinder aus sich heraus lernen. Sie machen das, weil sie so sein wollen wie wir, teilhaben wollen an der Gesellschaft und an der Gemeinschaft“, sagt Vereinsobfrau Elisabeth Wasserbauer der freien Schule Seenland bei unserem Besuch in der Schule.

Freie Schule Seenland SALZBURG24/Schuchter
Vereinsobfrau Elisabeth Wasserbauer und Schulleiter Lukas Ainedter sind Gründungsmitglieder der freien Schule Seenland.

Gesprächsrunden im Yoga-Raum

Die Schulräume befinden sich im ersten Stock eines Gebäudes beim Strandband in Seekirchen am Wallersee, direkt an der Seestraße. Bunte Tafeln am Balkon mit der Aufschrift „Lotus“ machen auf sie aufmerksam und an der Treppe entlang zum Eingang hängen tibetische Gebetsfahnen. Denn hier geht es nicht nur in die Schulräume, sondern auch in einen weiten Yoga-Raum mit Holzboden und Glasfront, der von der Schule untertags mitgenutzt wird und sich im vergangenen Jahr zum Herzstück entwickelt hat. „Wir treffen uns hier jeden Tag zum Morgenkreis und zur Abschlussrunde. Hier tauschen wir uns aus, besprechen, wie es uns geht und was uns gerade beschäftigt“, schildert Schulleiter Lukas Ainedter im SALZBURG24-Gespräch. Heuer konnten drei weitere Räume dazu gemietet werden, wo sich die Kinder ausbreiten, aber auch zurückziehen können. Neu ist auch ein eigener kleiner schallisolierter Raum mit Musikinstrumenten wie einem Schlagzeug, einem Keyboard und einer Gitarre. Eine klassische Musikstunde gibt es aber nicht, ganz im Gegenteil: „Die Kinder können dann musizieren, wenn sie Lust dazu haben – zu jeder Zeit“, sagt der Schulleiter.

Freie Schule Seenland SALZBURG24/Schuchter
Die freie Schule Seenland direkt am Wallersee in Seekirchen.

Konzept der Freien Schule basiert auf Hirnforschung

Ainedter ist wie Elisabeth Wasserbauer Mitglied des Gründungsteams der Schule. LOTUS ist im Land Salzburg bislang eine von vier freien Schulen. „Wir haben als Eltern nicht verstanden, warum man seinen Kindern ab sechs Jahren sagen soll: Jetzt lernst du schreiben und heute ist der Buchstabe B dran“, beschreibt Wasserbauer die Initialzündung für die private Initiative dreier Elternpaare aus Mattsee. Das Projekt sei dann stetig gewachsen und schließlich in der Idee einer Schule gemündet, die das soziale Miteinander und der Spaß am Lernen in den Mittelpunkt stellt. Dass diese Art von Lernen funktioniere, würden nicht nur viele andere freie Schulen, die es in Österreich schon seit den 70er-Jahren gibt, zeigen, sondern auch die Wissenschaft. So belegt etwa auch die Hirnforschung, dass die intrinsische Motivation ein Leben lang die Freude am Lernen erhält. „Wir können alle lernen, aber es geht um die Motivation und die Verfassung, in der wir sind. Wenn wir gestresst sind, dann können wir auch nicht viel Neues aufnehmen. Aber wenn alles passt, dann kann man sich auch weiterentwickeln“, weiß Wasserbauer.

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Soziales Miteinander im Fokus

Immer wieder komme die Frage, ob die Kinder danach denn auch Matura machen und studieren können. „Und das können sie natürlich“, sagt Wasserbauer, doch das Ziel der Schule sei es, dass die Schüler:innen im Alter von 14 bis 15 Jahren schon wissen, was sie später beruflich wirklich machen möchten und wofür sie brennen. Und was können die Kinder, wenn sie aus der Schule gehen? „Sie können all das, was sie können wollen“, sagt der Schulleiter auf die Frage. Eine Spezialausbildung – wenn man so will – erhalten die Kinder jedenfalls schon ganz früh im sozialen Bereich. So gibt es im Gegensatz zur Regelschule nicht nur einzelne kurze Pausen, in denen sie sich treffen können. Die Schüler:innen sind den gesamten Vormittag miteinander in Kontakt, interagieren, treffen sich, gehen raus oder setzen sich gemeinsam mit den Lernbegleiter:innen an ein Projekt. „Wenn sie ein soziales Miteinander lernen, dann lernen sie auch, sich in bestimmte Gegebenheiten einzufügen. Und sie sind dann auch in der Lage, diese Struktur – die es auch braucht – mitzugestalten“, so Wasserbauer.

Auch Eltern werden in freie Schule eingebunden

Eng in das Miteinander eingebunden werden aber nicht nur die Schüler:innen, sondern auch ihre Eltern. Denn sie sind auch Mitglieder des gleichnamigen Vereins, der die Schule trägt, und übernehmen eine Arbeitsverpflichtung wie Jauseneinkauf, Räume sauber halten oder Aushelfen bei der Kinderbetreuung. Das Schulgeld beträgt 310 Euro im Monat plus Jausengeld.

„Keine Konkurrenz zur Regelschule“

Apropos Jause: Diese wird täglich frisch von den Schüler:innen und ihren Lernbegleiter:innen aus regionalen Produkten zubereitet. „Gemeinsam Brote streichen, Obst schneiden, Porridge kochen – auch so lernt man schon im Kindesalter, etwas für die Gemeinschaft zu tun“, sagt Ainedter und betont: Man wolle mit diesem Konzept keinesfalls eine Konkurrenz zum Regelsystem sein, sondern eine Alternative anbieten. „Beiden Formen haben seine Vor- und seine Nachteile. Und die Eltern sollen die Freiheit haben, sich aussuchen zu können, wo sie gerne ihr Kind hinschicken möchten.“

Dennoch, die Mattseer dürften mit ihrer Idee den Zahn der Zeit getroffen haben, den das Interesse an freien Schulen wächst – nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie, die die Starrheit des österreichischen Schulsystems deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Während sich gerade weitere freien Schulen in Salzburg, wie etwa in der Landeshauptstadt, formieren, verändert sich auch die Regelschule laufend – und möglicherweise finden Ideen für ein achtsames Miteinander mehr und mehr den Weg genau dort hin. Und egal, ob freie Schule oder Regelschule: Der Spagat zwischen Freiheit und Struktur, Individualität und Gemeinschaft ist und bleibt wohl eine tägliche Übung. Für uns alle.

(Quelle: salzburg24)

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