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Amokfahrt in Grazer Innenstadt: Ein "großes Mosaik" wurde zusammengesetzt, Täter ist "hoch gefährlich"

Am 20. Juni jährt sich die Amokfahrt in der Grazer Innenstadt zum ersten Mal.
Veröffentlicht: 09. Juni 2016 12:54 Uhr
Fast ein Jahr nach der Amokfahrt in der Innenstadt von Graz ist der Amokfahrer am Mittwoch aufgrund der neu vorliegenden Gutachten auf eine Überstellung in eine geschlossene Abteilung der ehemaligen Landesnervenklinik Sigmund Freud (LSF) entschieden worden. 

Dort soll der Mann seine medizinische Behandlung bekommen, teilten die Staatsanwaltschaft und das Straflandesgericht in Graz mit.

Der mutmaßliche Täter wird somit die Zeit bis zu seiner Verhandlung nicht in der Untersuchungshaft in der Justizanstalt verbringen. Die Entscheidung ist laut Christian Kroschl von der Staatsanwaltschaft "absolut üblich", wenn wie in diesem Fall entsprechende Gutachten vorliegen. Die sogenannte vorläufige Anhaltung im Krankenhaus gleicht in ihren Restriktiven einer Haft, inkludiert aber auch angemessene medizinische Behandlung.


Amokfahrt: Bericht der Staatsanwaltschaft vor Abschluss

Die schreckliche Tat, die drei Menschen das Leben gekostet hat, jährt sich am 20. Juni zum ersten Mal. Die Staatsanwaltschaft Graz ist seit fast einem Jahr damit beschäftigt, den Vorhabensbericht für eine Anklage oder eine Einweisung zu finalisieren. Über den Inhalt wollte der Leiter der Staatsanwaltschaft, Thomas Mühlbacher, im APA-Gespräch vorweg nichts sagen, nur dass alle drei Gutachten dem mutmaßlichen Täter eine "hohe Gefährlichkeit" bescheinigen. Das Interview im Detail:

APA: Wie weit sind Sie mit den Vorarbeiten zu einer Anklage bzw. einem Antrag auf Einweisung?

Mühlbacher: Wir haben jetzt alle drei Gutachten, die werden wir zusammenfassen und daraus unsere Schlüsse ziehen, was die Zurechnungsfähigkeit betrifft. Wir haben aber parallel schon in anderen Bereichen gearbeitet, die den Sachverhalt, den genauen Hergang betreffen. Wir haben die Zeit genützt, den Tathergang genau zu rekonstruieren, wie die Fahrlinie war, auf welche Menschen er zugefahren ist und Ähnliches. Wir gehen davon aus, dass der Bericht in wenigen Tagen fertig sein wird. Der Sachverhalt ist umfangreich, aber sehr gut dokumentiert.

Wie wurde der Tathergang rekonstruiert?

Es gibt Videoaufzeichnungen, es gibt Zeugenaussagen, es gibt Spuren, die man rekonstruiert hat, es war ein großes Mosaik, das man durch umfangreiche Ermittlungstätigkeit und Polizeiarbeit zusammengesetzt hat.

Wie viele Opfer kommen in diesem Bericht vor?

Uns ist wichtig, dass sich alle Opfer hier wiederfinden, das heißt auch Menschen, die einerseits schwerste Verletzungen erlitten haben, aber auch Menschen, die durch viel Glück einer Verletzung entgangen sind. Es hängt wirklich vom Zufall ab, ob jemand tot ist oder ob er mit einem riesigen Schock davongekommen ist, weil das ja vom Täter gar nicht planbar war.

Kann man das beziffern?

Rund 110 Opfer und Betroffene scheinen in den Akten auf, die in dem Geschehen drinnen waren und unter Lebensgefahr gestanden sind - weil sie erfasst wurden oder gerade noch wegspringen konnten, aber unter Lebensgefahr gestanden sind. Das ist letztlich auch der Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung.

Amokfahrt-in-Graz-am-20 Salzburg24
Amokfahrt-in-Graz-am-20

Der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) hat kürzlich gemeint, Staatsanwaltschaft und Gericht sollen Sorge tragen, dass dieser Täter lebenslang in Gewahrsam bleibt. Wie realistisch ist das, nachdem er als nicht zurechnungsfähig eingestuft wurde?

Diese Einweisung bei Unzurechnungsfähigkeit erfolgt auf bestimmte Zeit und wird regelmäßig überprüft, das kann durchaus lebenslang sein.

Aber theoretisch könnte der Täter nach einem Jahr wieder frei sein, wenn er nur eingewiesen und nicht verurteilt wird.

Ja, aber alle drei Gutachter sprechen von einer hohen Gefährlichkeit. Wir gehen davon aus, dass diese Maßnahme sicher länger wirksam sein wird. Die Gefährlichkeitsprognose ist derzeit keine günstige. Man wird dann prüfen müssen, ob das Voraussetzung ist. Aber da können wir uns nur an das Gesetz halten, da bleibt uns kein Spielraum. Die Entscheidung wird letztlich bei den Geschworenen bleiben, ob er zurechnungsfähig ist oder nicht.

Wie groß ist das Interesse der Medien im In- und Ausland an dem Fall?

Anfangs war es groß, jetzt gibt es weniger Anfragen, aus dem Ausland gar keine. Wir rechnen beim Prozess schon mit vielen Besuchern, da viele betroffen waren oder jemanden kennen, der betroffen war, aber da haben wir Erfahrungen gewonnen durch die Jihadisten-Prozesse. Die Öffentlichkeit ist gerade bei so einem Verfahren wichtig, auch dass darüber berichtet wird, um zu verstehen, zu erklären, wie kann so etwas passieren. Auch für uns Profis ist das etwas Neues, wir haben so etwas in dieser Dimension noch nie erlebt.

Das offizielle Gedenk-Programm der Stadt Graz

Trauerzug in Graz wenige Tage nach der Amokfahrt in Graz./APA/ERWIN SCHERIAU Salzburg24
Trauerzug in Graz wenige Tage nach der Amokfahrt in Graz./APA/ERWIN SCHERIAU

Die Stadt Graz gedenkt an zwei Tagen im Juni der Opfer des Amokfahrers vom 20. Juni 2015. Am Sonntag, dem 19. Juni, wird um 10.00 Uhr eine Gedenkmesse in der Stadtpfarrkirche gehalten. Am eigentlichen Jahrestag, Montag, dem 20. Juni, wird es im Rathaus eine geschlossene Trauerveranstaltung für Opfer und Angehörige geben. Im GrazMuseum liegen an dem Tag die Kondolenzbücher von 2015 auf.

Die Gedenkmesse in der in der Herrengasse gelegenen Stadtpfarrkirche - vor dieser bzw. unmittelbar daneben verloren zwei Menschen ihr Leben - steht für alle Besucher offen. Auch Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) wird an dieser Messe teilnehmen. Gelesen wird sie von Stadtpfarrprobst Christian Leibnitz.

Am Montag, dem 20. Juni, wird im GrazMuseum in der Sackstraße 18 in der Zeit von 10.00 bis 20.00 Uhr für die Öffentlichkeit ein Gedenkort im zweiten Stock eingerichtet sein. Hier liegen die Kondolenzbücher von 2015 zur Einsichtnahme auf. Auch wird ein Video ("Graz trauert") vorgeführt, das den Trauerzug vom 28. Juni 2015 zeigt. Damals waren - neben den Spitzen der Republik, des Landes und der Stadt - mehr als 7.000 Menschen in Stille vom Griesplatz zum Hauptplatz marschiert - weitgehend auf der Fahrtstrecke des Amokfahrers. Am Hauptplatz selbst trauerten damals rund 12.000 Menschen.

Die eigentliche Veranstaltung für die Opfer und deren Angehörige findet am Montag, 20. Juni, im Rathaus statt. Sie ist nur für geladene Gäste - "113 Personen mit Opferstatus und Begleitpersonen" - zugänglich. Neben Bürgermeister Nagl werden u.a. Landeshauptmann Schützenhöfer, die Stadtregierung, Vertreter der vier Grazer Religionsgemeinschaften, die Mitglieder des für die Opfer eingerichteten Spendenkomitees und Vertreter der Einsatzkräfte teilnehmen.

(APA)

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(Quelle: salzburg24)

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