Unter den vielen Verletzten waren zahlreiche Schülerinnen und Schüler einer zehnten Klasse aus Bad Arolsen. Ein Lehrer wurde nach derzeitigem Stand schwer verletzt. Das teilte die hessische Landesregierung am Mittwoch mit.
Die Gruppe war demnach auf einer Klassenfahrt in der Hauptstadt unterwegs. Die Hintergründe waren noch nicht klar, die Trauer und Anteilnahme aus ganz Deutschland enorm. Nach dpa-Informationen aus Polizeikreisen soll der Verdächtige psychisch auffällig sein.
Folgenschwerer Vorfall nahe Gedächtniskirche
In dem Wagen, den ein 29 Jahre alter, in Berlin lebender Deutsch-Armenier fuhr, wurden neben Schriftstücken auch Plakate mit Aufschriften gefunden worden. "Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht", sagte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Zuvor hatte es aus Polizeikreisen geheißen, es sei ein Bekennerschreiben in dem Auto gefunden worden. Spranger sprach von "Plakaten", auf denen Äußerungen zur Türkei stehen würden. Die genaue Motivation des Fahrers müsse untersucht werden, die Äußerungen würden genau geprüft.
Mittwochabend durchsuchte die Polizei mit Unterstützung eines Spezialeinsatzkommandos die Wohnung des Fahrers. Den Einsatz im Stadtteil Charlottenburg, über den zuvor die "Bild"-Zeitung berichtet hatte, bestätigte eine Polizeisprecherin. Zudem habe die Polizei Kontakt zur Schwester des Fahrers gehabt, hieß es. Weitere Einzelheiten gab es zunächst nicht.
"Tatverdächtiger" im Krankenhaus
Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach von einem "Tatverdächtigen", der sich nun im Krankenhaus befinde. Im Moment gebe es keine einschlägigen Erkenntnisse zu einer politischen Motivation. Von einem zufälligen Unfall war in den Stellungnahmen nicht die Rede. Die Schüler aus Hessen würden psychologisch betreut, sagte Spranger. Sie kündigte an, der Tatverdächtige werde in alle Richtungen überprüft. Der Fahrer sei in ein Krankenhaus gekommen.
Bei dem Vorfall am Mittwochvormittag erlitten nach Feuerwehrangaben insgesamt sechs Menschen lebensgefährliche Verletzungen. Hinzu kämen drei Schwerverletzte und mehrere Leichtverletzte. Eine genaue Gesamtzahl der Opfer des Vorfalls am Ku'damm und der Tauentzienstraße war zunächst nicht bekannt.
Fahrer von Passanten festgehalten
Für den Abend wurde eine Gedenk-Andacht in der Gedächtnis-Kirche angekündigt, in deren Nähe sich der Vorfall ereignet hatte. Die Polizei hat eine Telefonhotline für Angehörige eingerichtet, an Ort und Stelle waren auch Seelsorgerinnen und Seelsorger im Einsatz.
Der Fahrer des Wagens war vorläufig festgenommen worden. Er sei zunächst von Passanten festgehalten worden, sagte Polizeisprecher Thilo Cablitz. Die Polizei prüfte, ob es sich um einen Unfall, einen medizinischen Notfall oder um eine vorsätzliche Tat handle. Der Fahrer war nach dpa-Informationen mit einem Auto unterwegs, das seiner älteren Schwester gehört. Er soll der Polizei bereits wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein, allerdings nicht in Zusammenhang mit Extremismus.
Das ist bisher bekannt
Der Vorfall am Mittwoch spielte sich nach bisherigem Stand so ab: Der Mann fuhr den Renault-Kleinwagen am späten Vormittag an der Straßenecke Ku'damm und Rankestraße auf den Bürgersteig des Ku'damms und in die Menschengruppe. Dann fuhr er auf die Kreuzung und knapp 200 Meter weiter auf der Tauentzienstraße Richtung Osten. Kurz vor der Ecke Marburger Straße lenkte er den Wagen erneut von der Straße auf den Bürgersteig, touchierte ein anderes Auto, überquerte die Marburger Straße und landete im Schaufenster eines Parfümerie-Geschäfts.
Die Bundesregierung, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigten sich bestürzt über das Geschehene. "Meine Gedanken sind bei den schwer und sehr schwer Verletzten, bei dem Todesopfer", erklärte Steinmeier. "Und sie sind bei denen, die Schreckliches erleben mussten. Mein tiefes Mitgefühl gilt ihnen, allen Angehörigen und Hinterbliebenen." Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte den Betroffenen Unterstützung zu.
Am Mittwochvormittag war die Polizei nach eigenen Angaben mit circa 130 Kräften im Einsatz, mit einem Hubschrauber verschafften sich die Beamten einen Überblick aus der Luft. Die Feuerwehr war mit 100 Kräften vor Ort. Das Areal war großflächig abgesperrt. Die Polizei rief die Menschen dazu auf, keine Bilder vom tödlichen Vorfall an der Einkaufsstraße im Internet zu posten.
Beliebte Gegend im Westen Berlins
Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sagte: "Wir haben umgehend Notfallbetreuungsteams nach Bad Arolsen geschickt, um den Angehörigen, Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den Lehrkräften beizustehen." Ein Team aus der Schule sei auf dem Weg nach Berlin, um den Jugendlichen vor Ort sowie ihren Eltern zur Seite zu stehen.
Die Gegend, in der sich der tödliche Vorfall am Mittwoch ereignete, ist wegen der vielen Geschäfte, Cafés und Sehenswürdigkeiten oft sehr belebt. Sie ist ein Anziehungspunkt für Touristen aus dem In- und Ausland.
Erinnerungen an Terroranschlag
Der Schauplatz lag in der Nähe des Ortes eines tödlichen Angriffs am 19. Dezember 2016, als Anis Amri, ein gescheiterter tunesischer Asylbewerber mit islamistischen Verbindungen, einen Lastwagen entführte, den Fahrer tötete und ihn dann auf einen überfüllten Westberliner Weihnachtsmarkt pflügte. Elf Menschen starben in den Trümmern, einige Jahre später erlag ein 49-Jähriger den Spätfolgen einer Verletzung, die er erlitten hatte, als er den Opfern zu Hilfe eilte. Er wird als 13. Todesopfer des Anschlags eingestuft.
Der Fall weckte in Berlin auch Erinnerung an eine Amokfahrt auf der Stadtautobahn A100 im August 2020, als ein Autofahrer gezielt drei Motorradfahrer rammte. Er wurde vom Gericht in die Psychiatrie eingewiesen.
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(Quelle: salzburg24)