Als die junge Regisseurin Christiane Pohle auf der Bühne erschien, brach statt des üblichen Jubels ein Buh-Orkan los. Wenn eine Inszenierung einem festlich gestimmten Publikum, das danach zu den Fleischtöpfen des Staatsempfangs strebt, nicht gefällt, muss dies aber nicht unbedingt etwas über das Dargebotene aussagen. Pohles Deutung des symbolistischen Märchenstoffes nach einem Theaterstück von Maurice Maeterlinck (1862 - 1949) war aber zweifelsfrei schwere Kost. Pohle konfrontierte das Publikum im Prinzregententheater mit einem Panoptikum seelisch verkrüppelter, fast autistischer Menschen.
Menschen, die sich, trotz aller Leidenschaften wie Liebe, Eifersucht und Tod, nichts zu sagen haben, die sich so gut wie nie berühren und konsequent aneinander vorbei oder gleich frontal ins Auditorium singen. Selbst der Arzt, zur kranken Melisande gerufen, misst nur sich selbst den Blutdruck - nicht den seiner Patientin.
Pohle zwang die Zuschauer in eine fast drei Stunden währende Psychotherapiesitzung. Schon der erste Blick aufs Bühnenbild ließ ahnen, dass ein anstrengender Abend ansteht. Ein einsam an einer Art Theke stehender Mann, Melisandes Angetrauter Golaud, erinnerte an Edward Hoppers Bild vom einsamen Trinker ("Nighthawks"), eine Ikone der Moderne. Dann entspinnt sich die unerfüllte Liebesgeschichte zwischen Pelleas, einem jungen Mann von heute, und der zarten, aber offenbar schwer Affekt gehemmten Melisande.
Pelleas ist der Einzige, der zu echten Gefühlen fähig ist, wird aber, bevor es zum ersten Kuss kommt, von Golaud getötet, wobei sein Tod mehr ein In-sich-Zusammensinken ist. Golaud tötet den Nebenbuhler "ohne Grund", wie es im Libretto heißt.
Die Bühne wird von mehr oder weniger unbeteiligt im Zeitlupentempo umherziehenden Menschen bevölkert, die an einer Theke Pakete abholen, aus denen sie Dinge entnehmen, die an die ursprüngliche Märchenhandlung erinnern: ein paar weiße Flügel, Blumentöpfe, überdimensionierte Hasenköpfe.
Musikalisch ist Debussys Meisterwerk eine Offenbarung: Ein zartes Gespinst aus weit aufgefächerten Klangfarben und Rhythmen, eine Musik, die sich selten zu großer Wirkung aufschwingt, um alsbald wieder ins Nebelhaft-Atmosphärische zurückzufallen. Dem Dirigenten, dem Griechen Constantinos Carydis, gelang mit dem bestens disponierten Bayerischen Staatsorchester eine beispielhafte Interpretation. Für ihn wie für das Sängerteam mit Elena Tsallagova als Melisande, Elliot Madore als Pelleas, Markus Eiche als Golaud und Alastair Miles als König Arkel, gab es dankbaren, wenn auch nicht überschwänglichen Applaus.
(Quelle: salzburg24)