"Entschlossener Agieren"

Pressestimmen zum Terror in Hanau

Veröffentlicht: 21. Februar 2020 10:16 Uhr
Bei dem Terroranschlag im deutschen Hanau sind elf Menschen gestorben. Am Freitag schreiben die deutschen und internationalen Zeitungen über die Bluttat.

"Die Welt" (Berlin):

"Die AfD ist nicht an allem schuld, und vor allem kann man darüber diskutieren, welche Entwicklungen eine solche Partei überhaupt erst möglich gemacht haben. Aber dass es einen Zusammenhang gibt zwischen rechten Hasspredigern und rechtsextremen Gewalttaten, ist unbestreitbar."

"Stuttgarter Zeitung":

"Der Kampf gegen den Rassismus wird in den Parlamenten mit politischen Mitteln geführt, er muss auch auf der Straße mit polizeilichen Mitteln geführt werden. Aber er beginnt ganz woanders: in Sportvereinen und den Kirchen, in Jugendgruppen und Schulen, in Bürgerinitiativen und Betrieben. Manchmal beginnt er in der Warteschlange im Supermarkt. Rassismus darf nie dazugehören, und Rassisten müssen immer ausgegrenzt werden. Nur so trocknet der Nährboden des Terrors aus. Davon sind wir weit entfernt."

"Lübecker Nachrichten":

"Die Sicherheitsbehörden müssen jetzt noch entschlossener agieren. Die Parallele zum Kampf gegen den RAF-Terror ist nicht übertrieben. Das ist die Dimension, um die es heute geht, allerdings mit dem Unterschied, dass man die Köpfe der RAF auf Fahndungsplakate drucken konnte - während die Terroristen von rechts oft erst im Augenblick ihrer Untaten aus der Versenkung auftauchen. Dann ist es zu spät."

Hanau: "Braucht massiven Abwehrkampf"

"Frankfurter Rundschau":

"Es ist daher notwendig, endlich einzusehen, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Menschen in diesem Land ist. Denn während rechte Terroristen morden, machen sich Rechtsradikale in den Parlamenten breit und bemühen sich nach Kräften, die Demokratie zu beschädigen. Und teils gelingt ihnen das auch, siehe Thüringen. Was es daher jetzt braucht, ist ein massiver Abwehrkampf gegen die Bedrohung von rechts. Dazu gehört, dass die Sicherheitsbehörden umdenken und sich noch stärker auf rechte Netzwerke konzentrieren müssen. Dazu gehört, dass die demokratischen Parteien alle Flirts mit der AfD einstellen und sich auf die Verteidigung der Demokratie konzentrieren müssen. Und dazu gehört, dass die Gesellschaft sich unmissverständlich dem Gift des Rassismus entgegenstellen muss. Viel zu lange haben viel zu viele die Gefahr von rechts ignoriert oder kleingeredet. Damit muss jetzt endlich Schluss sein."

"Münchner Merkur":

"Es hilft niemandem, extremistische Flügel gegeneinander aufzuwiegen, weil das zu zynischen Trugschlüssen führt - als wäre irgendwas besser, wenn rechts-/linksradikale/islamistische Täter möglichst gleich oft Gewalt ausübten. Gegen jede dieser nicht vergleichbaren Bedrohungen hilft nur hartes Handeln und das Ausleuchten der Netzwerke dahinter. Dazu zählt auf dieser Flanke eine klare Analyse der AfD. Sie ist der parlamentarische Flügel auch jener radikalisierten Kräfte, die die innere Sicherheit im Land gefährden. Die AfD ist nicht in ihrer Gesamtheit eine rechtsextremistische Partei, aber sie duldet und fördert in ihren Reihen jene, die engste Verbindung zu verfassungszersetzenden, gewaltbereiten Milieus halten. Sie nährt an den parlamentarischen Fleischtöpfen Abgeordnete, die den Opfern rechter Gewalt selbst das Totengedenken verwehren."

"Straubinger Tagblatt":

"Helfen kann eine ehrliche gesellschaftliche Debatte über die Zustände im Land. Eine Diskussion, die schon in der Schule ansetzt und ganz altmodisch wieder Werte und Normen vermittelt. Die beibringt, dass das Fernsehen nicht die Normalität abbildet, wenn Menschen zur besten Sendezeit einfach mal so der Kopf abgeschlagen wird. Die klarmacht, dass Beleidigungen und Morddrohungen im Internet kein Kavaliersdelikt sind und die immer wieder aufgreift, warum im Oktober 2015 so viele Flüchtlinge ins Land kamen."

"De Standaard" (Brüssel):

"Dass die Regierung das Problem erkennt und benennt - Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, 75 Jahre nach Ende der NS-Diktatur sei der rechte Terror wieder da - ist ein Schritt nach vorn. Denn lange Zeit hat die deutsche Gesellschaft so getan, als ob sie das rechtsextreme Monster gebannt hätte. In den 1960er Jahren wurde die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet, schaffte jedoch nie den Durchbruch. Und während im übrigen Europa die rechtsextremen Parteien schnell wuchsen, schien Deutschland das letzte gallische Dorf zu sein, das standhielt. Die Deutschen schienen definitiv ihre Lektion gelernt zu haben. Oder steckten sie nur wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand? (...) Obwohl eine große Mehrheit der Deutschen radikal gegen rechtsextremes Gedankengut ist - 'Wir sind mehr' sagen sie, verbuchte die AfD im vergangenen Jahr in den neuen Bundesländern beachtliche Wahlerfolge. Mittlerweile wurde die Partei vollständig von Leuten übernommen, die ihre Sympathie für die Nazi-Partei kaum noch verbergen."

"Intolerante Einstellungen wieder aufflammen lassen"

"El Mundo" (Madrid):

"Nach zwei Weltkriegen und den blutigen Erfahrungen des jüdischen Holocausts und des sowjetischen Gulags, die durch die zerstörerischsten utopischen Projekte des 20. Jahrhunderts - den Nationalsozialismus und den Kommunismus - hervorgerufen wurden, glaubte man, Europa sei endgültig gegen Kriegsgelüste geimpft. Die tiefe Wirtschaftskrise (...) und das daraus resultierende Misstrauen der Bürger gegen Gemeinschaftsinstitutionen, die sich als unfähig erwiesen haben, mit den Folgen umzugehen, haben die intoleranten Einstellungen wieder aufflammen lassen, die von den Hassreden des Nationalismus, von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit noch angeheizt werden.

Die beiden Schießereien, bei denen am Mittwochabend in der deutschen Stadt Hanau elf Menschen ums Leben kamen, sind die tragische Folge des europaweiten Erwachens des Populismus und der extremen Rechten, die bei den europäischen Wählern immer mehr Unterstützung finden."

"The Guardian" (London):

"Eine der Schlüsselfragen unserer Zeit besteht darin, inwieweit das Ausmaß der Wiederauferstehung des Nationalismus den Rechtsextremismus und tödlichen Rassenhass angefacht und legitimiert hat. Die Sache ist kompliziert. In gewisser Weise ähnlich wie (die rechtspopulistische britische Partei) Ukip hatte die AfD als eine vor allem euroskeptische Partei begonnen. Doch seit der Migrationskrise von 2015 hat sie sich in eine breitere Bewegung mit starken Elementen verwandelt, die bewusst Islamophobie und Rassismus schüren. (...) Angela Merkels bevorstehender Abschied von der Bühne bedeutet, dass eine Periode politischer Turbulenzen unvermeidlich ist. Doch während die erfolgreichste Partei der Nachkriegsära in Deutschland über ihre künftige politische Richtung nachdenkt, sollten die Ereignisse von Hanau all jenen stark zu denken geben, die versuchen möchten, die äußerste Rechte zu zähmen, einzubinden oder zu imitieren. Der Sperrgürtel zur Isolierung der AfD und ihresgleichen muss aufrechterhalten werden."

"La Repubblica" (Rom):

"Das Monster wacht auf, und Deutschland macht uns wieder Angst. Es macht uns noch mehr Angst, denn es sieht uns ähnlich. Seine soziale Krankheit ist unsere. (...) Die Anbindung an die Europäische Union, und damit an eine übernationale Struktur, die jede Bestrebung des wiedervereinigten Deutschlands in Richtung Großmacht abwenden sollte, schürt das Wiederaufleben eines aggressiven Nationalismus in einer zerrissenen Gesellschaft, die sich in ihrem Wohlergehen bedroht fühlt. Genau davor hatte Angela Merkel Angst, als sie das Zusammenwirken ihrer Partei, der CDU, und der Liberalen in Thüringen mit den anti-europäischen Fremdenhassern der Alternative für Deutschland als 'unverzeihlich' bezeichnete. Aber der von der Bundeskanzlerin erwirkte Widerruf der Kooperation hat Teile der deutschen Christdemokraten nicht daran gehindert, weiter der Versuchung zum Dialog mit der extremen Rechten zu erliegen, wie es bereits in Italien und Österreich geschehen ist. Deutschland steht heute bestürzt vor dem Massaker in den Shisha-Bars von Hanau. Und hoffen wir, dass es nicht zu spät ist."

"Rossijskaja Gaseta" (Moskau):

"Ganz Deutschland ist schockiert über die Tragödie in der Stadt Hanau mit ihren 100.000 Einwohnern in der Nähe der deutschen 'Wirtschaftshauptstadt' Frankfurt am Main. Ein Bewohner, der 43-jährige Tobias R., verübte dort einen Anschlag auf zwei Shisha-Bars, bei dem neun Menschen getötet und fünf weitere schwer verletzt wurden - um deren Leben die Ärzte weiter kämpfen. (...) In Deutschland wird schon lange über eine wachsende rechtsextreme Haltung gesprochen, auch unter Polizisten und Soldaten."

"Rzeczpospolita" (Warschau):

"Wenn jemand willkürlich auf Menschen schießt, die spät abends eine Kneipe besuchen, dann muss das kein Terrorismus sein. Aber in Hanau war es anders. Denn wenn der Schütze in sozialen Medien schreibt, dass er Fremde hasst und über die Liquidierung schlechterer Nationen spekuliert, dann ist er ein Terrorist. Ein rassistischer, rechtsextremer, flüchtlingsfeindlicher und vermutlich auch (...) nationalistischer Terrorist.

Das wird vielen bestimmt nicht gefallen, da sie den Terrorismus auf islamistische Fundamentalisten beschränken wollen. Wie viel einfacher wäre die westliche Welt, wenn alle Terroristen beim Attentat 'Allahu akbar!' rufen würden. Aber im Verlauf des letzten Jahres haben im weitergefassten Westen diejenigen Anschläge verübt, die Muslime und andere 'Nicht-Weiße' hassen. Erst tötet in Christchurch ein Attentäter betende Muslime. Dann wurden in Halle eine Synagoge und ein Kebap-Imbiss zu Zielen. Und nun in Hanau - zwei Shisha-Bars. Das ist die Mitte Europas. Die Mitte Deutschlands, in dem ein von Rassenhass ausgelöster Terrorismus besonderes Entsetzen auslöst."

Bildergalerien

(Quelle: apa)

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