Der Erfolgslauf von Österreichs Fußball-Nationalteam bei der EM in Deutschland ist im Achtelfinale jäh zu Ende gegangen. Die favorisierte ÖFB-Auswahl musste sich der Türkei am Dienstagabend in Leipzig nach frühem Rückstand mit 1:2 (0:1) geschlagen geben. Verteidiger Merih Demiral brachte die Türken mit zwei Toren in Front (1., 59.), den Österreichern gelang durch den eingewechselten Michael Gregoritsch nur noch der Anschlusstreffer (66.).
Zweites ÖFB-Aus im EM-Achtelfinale
Wie bei der EM vor drei Jahren scheiterte Österreich in der ersten K.o.-Runde. Damals war mit einem 1:2 nach Verlängerung gegen den späteren Europameister Italien das Aus gekommen. Diesmal hatte der Gruppensieg die Hoffnungen befeuert, erstmals seit der WM 1954 ein K.o.-Spiel bei einer Endrunde gewinnen und im Turnier noch weiter vordringen zu können. Statt des ÖFB-Teams darf sich nun aber die Türkei am Samstag im Viertelfinale in Berlin mit den Niederlanden messen.
"Wenn man sieht, was wir heute alles in dieses Spiel investiert haben und wie viele Torchancen wir ausgelassen haben, dann fühlt sich das Ganze schon ziemlich grotesk und surreal an. Ich glaube nicht, dass die Mannschaft gewonnen hat, die über das gesamte Spiel die bessere Mannschaft war. Aber darum geht es im Play-off nicht. Im Play-off geht es darum, Spiele zu entscheiden. Der einzige Vorwurf ist, dass wir zu wenige Tore gemacht haben und dass wir zweimal bei Standards nicht gut verteidigt haben", resümierte ÖFB-Trainer Ralf Rangnick gegenüber "ServusTV".
Die Türkei, angeführt von Doppel-Torschütze Merih Demiral, stellten ihre offensive Stärke unter Beweis und schockierten die ÖFB-Elf gleich zu Beginn des Spiels mit dem schnellsten Tor der EM-Geschichte, erzielt von Demiral 57 Sekunden nach Anpfiff aus einer Ecke heraus.
Neuer türkischer Held heiß Demiral
Trotz des frühen Rückstands fand Österreich zunehmend besser ins Spiel und erarbeitete sich mehrere Chancen, allerdings fehlte oft die letzte Präzision im Abschluss. Christoph Baumgartner, einer der aktivsten Spieler auf dem Feld, blieb insbesondere in der starken und intensiven Schlussphase ohne Torerfolg.
Die türkische Mannschaft, die sich hauptsächlich auf das Verteidigen konzentrierte und nach der Führung wenig offensive Akzente setzte, bestrafte die mangelnde Effektivität der Österreicher erneut in der 59. Minute. Demiral, erneut per Kopf und wiederum nach einer Ecke, erhöhte auf 2:0 und setzte Österreich noch stärker unter Druck.
In der 67. Minute konnte Michael Gregoritsch für Österreich das langersehnte Tor erzielen, nachdem ein Eckball von Posch in den Fünfmeterraum verlängert wurde. Trotz weiterer Anstrengungen und einem hohen Ballbesitzanteil reichte es für die österreichische Mannschaft nicht, den Ausgleich zu erzielen. Die Türkei, die kaum nach vorn spielte, verteidigte das Ergebnis bis zum Schlusspfiff.
Viertes Spiel, vierte Aufstellung: Rangnick rotiert wieder
Österreichs Teamchef Ralf Rangnick setzte vor 40.000 Zuschauern in seiner alten Wahlheimat Leipzig auf die erwartete Formation. Phillipp Mwene erhielt links in der Abwehr den Vorzug gegenüber Alexander Prass. Dazu begann in der Offensive der im abschließenden Gruppenspiel gegen die Niederlande (3:2) überzeugende Romano Schmid. Konrad Laimer rückte dadurch ins Mittelfeldzentrum zurück und Florian Grillitsch aus der Startelf.
Arnautovic spricht über ÖFB-Ende
"Es ist sehr bitter, es ist Wahnsinn. Ich muss jetzt mal zu meiner Familie zurück und nachdenken, was weiter passiert. Es kann sein, dass es das letzte Mal für mich war. Ich muss es jetzt mal verkraften. Wenn man verstehen würde, wie es in mir gerade zugeht, dann würde man mich auch verstehen. Das Gefühl ist Wahnsinn gerade. Ich muss das jetzt mit meiner Familie reflektieren und alles aufladen", betonte ÖFB-Kapitän Marko Arnautovic.
Kevin Danso und Philipp Lienhart bildeten im vierten Turnierspiel das vierte unterschiedliche ÖFB-Innenverteidiger-Duo. Als Mittelstürmer startete wie in den beiden vergangenen Partien Kapitän Marko Arnautovic. Bei den Türken fehlte unter anderen Kapitän Hakan Calhanoglu gesperrt. Benfica Lissabons Orkun Kökcü ersetzte den Inter-Mailand-Legionär, Real-Madrid-Jungstar Arda Güler agierte im Angriffszentrum.
Schnellstes EM-Tor nach 57 Sekunden
Das Spiel begann mit einem Paukenschlag: Nach einem Güler-Corner traf Christoph Baumgartner mit einem Klärungsversuch seinen Teamkollegen Stefan Posch. ÖFB-Goalie Patrick Pentz griff zwar auf der Linie noch ein, den Abpraller versenkte Demiral aber im oberen Tornetz. Da waren gerade einmal 57 Sekunden gespielt. Es war das schnellste Tor der EM-Geschichte in einem K.o.-Spiel. Das ÖFB-Team hatte seit Oktober 1965 kein so frühes Gegentor erhalten. Damals traf Jürgen Nöldner in der WM-Qualifikation in der ersten Minute für die DDR zu einem 1:0-Sieg - kurioserweise ebenfalls in Leipzig.
Österreich hätte um ein Haar zurückgeschlagen, Baumgartners Schuss ging aber knapp daneben (2.). Zudem verfehlte Österreichs auffälligster Offensivspieler einen flach zur Mitte gebrachten Eckball von Schmid am langen Eck knapp (5.). Ein Kopfball von Lienhart ging knapp über das Tor (7.). Österreich tat sich in weiterer Folge gegen die tief stehenden und früh auf Zeit spielenden Türken schwer, war nicht mehr so zwingend. Baumgartner tauchte erst in der Nachspielzeit der ersten Hälfte wieder gefährlich vor dem Tor auf.
Rangnick reagierte, brachte bereits zur Pause Prass für Mwene und mit Gregoritsch statt Schmid einen zweiten Stürmer. Das ÖFB-Team erhöhte bei zunehmendem Regen die Schlagzahl. Nach Zuspiel von Posch scheiterte Arnautovic mit einer Großchance an Türkei-Goalie Mert Günok (51.). Auch Laimer (54.) und Posch (56.) wurden mit Einzelaktionen im Strafraum vorstellig.
"Das ist sicher einer der traurigsten Tage in meinem Leben. Ich bin sehr, sehr enttäuscht. Ich tu mir sehr schwer, die richtigen Worte zu finden. Alaba hat gesagt, dass solche Momente einen stärker machen. In solchen Momenten ist es schwer, irgendwas anzunehmen, weil die Enttäuschung so groß ist. Es war nicht mein Spiel heute, habe es am Ende am Kopf gehabt, und einige Situationen, die sehr unglücklich waren. Es ist so enttäuschend, weil so viel drin gewesen wäre", sagte ein sichtlich enttäuschter Chrisoph Baumgartner.
Jaissle-Schützling trifft doppelt
Das Tor fiel auf der anderen Seite: Nach einem weiteren Eckball von Güler setzte sich Demiral am kurzen Eck im Luftduell gegen Lienhart durch und versetzte die türkischen Fans mit seinem Kopfball in Ekstase. Der 26-jährige Verteidiger vom saudi-arabischen Klub Al-Ahli, bei dem der Ex-Salzburger Matthias Jaissle Trainer ist, verdoppelte in seinem 48. Länderspiel seine bisherige Torausbeute im Nationalteam.
Rangnick schickte Maximilian Wöber für Lienhart und Grillitsch für den offensichtlich verletzten Laimer in die Partie. Sein Team schöpfte durch Gregoritsch Hoffnung. Einen Eckball des bis dahin nur mit neuer Cornrow-Frisur aufgefallenen Marcel Sabitzer verlängerte Posch, Österreichs "Joker" jagte den Ball unter die Latte. Gregoritsch hat nun als einer von nur drei Österreichern neben Baumgartner und Arnautovic bei zwei EM-Endrunden getroffen. Er sorgte dafür, dass der ÖFB-Auswahl in 20 der vergangenen 21 Partien immer zumindest ein Tor gelang.
Die Türken schafften nur noch wenig Entlastung. Ein Grillitsch-Schuss ging zu zentral auf das Tor (76.), ein Baumgartner-Kopfball nach Posch-Flanke relativ klar daneben (84.). Dazwischen war Sabitzer von einer von der Tribüne geworfenen Münze auf dem Kopf getroffen worden, er spielte aber weiter.
Baumgartner-Chance nicht mit Verlängerung belohnt
Nachdem Pentz tief in der Nachspielzeit den Matchball von Baris Alper Yilmaz pariert hatte, entschärfte Günök mit einer Glanzparade auf der Gegenseite auch die beste Ausgleichschance des ÖFB-Teams, einen Kopfball von Baumgartner. Die Österreicher haben damit weiter seit mehr als 35 Jahren kein Pflichtspiel gegen die Türkei gewonnen. In einem Test im März in Wien hatte die Rangnick-Auswahl das vom Italiener Vincenzo Montella betreute Team noch mit 6:1 abgefertigt.
Die Aufstellungen
Österreich: Pentz - Posch, Danso, Lienhart (65. Wöber), Mwene (46. Prass) - Seiwald, Laimer (65. Grillitsch) - Schmid (46. Gregoritsch), Baumgartner, Sabitzer - Arnautovic
Türkei: Müldür, Bardakci, Demiral, Kadioglu - Yüksek (58. Özcan), Ayhan - Yilmaz, Kökcü (83. Kahveci), Yildiz (78. Aktürkoglu) - Güler (78. Yokuslu)
Gelbe Karten: Lienhart, Schmid bzw. Yüksek, Kökcü
Österreich gegen Türkei im S24-LIVETICKER zum Nachlesen
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(Quelle: salzburg24)