Die Musiker beziehen ihr Quartiere am Campus der Fachhochschule Puch-Urstein, im Schülerwohnheim des Holztechnikums Kuchl und in zehn Salzburger Hotels. Der logistische Aufwand ist groß. Bereits jetzt hat der Konzertchef der Salzburger Festspiele, Florian Wiegand, 141 Bustransfers vom Flughafen zu den Unterkünften gezählt. "Für eine Fahrt brauchen wir bis zu zehn Reisebusse." Es sei gar nicht so einfach gewesen, einen behindertengerechten Bus zu finden, denn fünf Kinder des "White Hands Choir" sind auf einen Rollstuhl angewiesen. Das Busunternehmen Schweighofer&Zöhrer schuf Abhilfe. Ein Reisebus sticht besonders hervor. Er ist im El Sistema-Design affichiert. Abgebildet ist eine lachende Kinderschar, in deren Mitte ihr Top-Star, Dirigent Gustavo Dudamel, herausragt.
Junge Musiker aus aller Welt
Die jungen Musiker - sie reisen nicht alle zur gleichen Zeit an - absolvieren innerhalb von drei Wochen ein geballtes Konzertprogramm. Es bleibt aber noch Zeit für die Besichtigung der Salinenwelt in Hallein und von Mozarts Geburtshaus, wie Festspielintendant Alexander Pereira der APA erzählte. Zudem werden die venezolanischen Gäste mit Kinder- und Jugend-Ensembles aus Salzburg, Wien und dem Ausland zusammentreffen und auch gemeinsam proben, um sich untereinander auszutauschen. Sie dürfen auch Generalproben von Festspielaufführungen besuchen.
Für die acht- bis zwölfjährigen Kinder reisen über 80 Betreuer mit. Insgesamt zählen die vier Betreuergruppen an die 150 Personen. Die erwachsenen Begleiter sind für die Bedürfnisse und Sicherheit der Nachwuchskünstler verantwortlich. Gerade bei jenen, die sich erstmals auf Auslandsreise begeben, wie der White Hands Choir, „herrscht noch etwas Nervosität vor", erzählte Wiegand. Jene Kinder dieses Chors, die hörgeschädigt, stumm oder taubstumm sind, nehmen einen besonderen Part ein: Sie tragen bei den Konzerten weiße Handschuhe und "malen" den Gesang in ausdrucksstarken Bewegungen nach.
Musiker "zum Anfassen"
Die Reise nach Salzburg werde jedenfalls das Zusammengehörigkeitsgefühl und das eigene Identifikationsgefühl der Kinder und Jugendlichen aus Venezuela stärken, meinte Pereira. Und umgekehrt werde ihr Besuch für das Festspielpublikum und die hiesige Gesellschaft die Gelegenheit bieten, die El Sistema-Musiker einmal aus der Nähe zu studieren und die Idee, die dahinter steht, zu begreifen. "Sie werden hier zum Anfassen sein."
Die El Sistema-Residenz nach Salzburg zu bringen, war ein Herzenswunsch von Pereira. Er reiste vor zwei Jahren zum Gründer der Musikinitiative, Jose Antonio Abreu, nach Venezuela und konnte die Musiker dort hautnah miterleben. "Ich bin fasziniert von der Tatsache, dass jemand den Mut hat den Erwachsenen zu sagen: 'Gib mir dein Kind, ich schicke es in die Schule, ich gebe ihm zu essen, und am Abend schicke ich es zurück'. Auch die Eltern, die in tristen finanziellen Verhältnissen leben, sind glücklich. So hat Abreu Hunderttausende Kinder von der Straße geholt und zum Musizieren gebracht."
Alternative zum Leben auf der Straße
Das Bestreben von Abreu ist, sich um die Schwächsten in der Gesellschaft zu kümmern. Er will Kindern eine Alternative zum Leben auf der Straße bieten und durch klassische Musik die sozialen Verhältnisse in seinem Land verbessern. Rund 400.000 Kinder und Jugendliche erhalten derzeit in 286 Musikschulen Venezuelas kostenlosen Unterricht, 75 Prozent davon leben unter der Armutsgrenze.
"Abreu hat erkannt, wie wichtig das gemeinsame Musizieren auch für das Selbstbewusstsein der Heranwachsenden ist. Das gibt ihnen eine gesunde Basis fürs Leben", erklärte Konzertchef Wiegand. In 25 Ländern gibt es bereits ähnliche Projekte. In Wien wurde z.B. die europäische Initiative "superar" gegründet.
El Sistema - Impuls zum Umdenken
Mit dem Konzertreigen von El Sistema bei den Salzburger Festspielen erhofft sich der Intendant einen Impuls für ein Umdenken in der Gesellschaft und neue Initiativen nach dem Vorbild von El Sistema. In den Schulen werde zugunsten technischer Fächer immer weniger Musikerziehung geboten, kritisierte Pereira, Musikschulen würden geschlossen. Auch deshalb habe ihn das Gefühl begleitet, El Sistema in Salzburg vorstellen zu wollen. So werde Abreus revolutionäre Idee international noch bekannter gemacht und in die Welt weitergegeben.
Für Pereira wäre es eigentlich selbstverständlich gewesen, dass sich schon aufgrund der sozialen Bedeutung des El Sistema-Auftrittes in Salzburg die Republik Österreich, die Stadt und das Land Salzburg an den Kosten finanziell beteiligen würden. Doch das Festspiel-Kuratorium habe darauf bestanden, dass das Projekt privat zu finanzieren sei. "Ich habe so viel Unverständnis erlebt, dass mich auch das nicht erstaunt", meinte er resignierend. Pereira konnte gleich drei Sponsoren gewinnen: Erste Stiftung, Hilti Foundation und Red Bull Media House.
Sechs El Sistema-Ensembles bei den Salzburger Festspielen
Folgende sechs El Sistema-Ensembles reisen nach Salzburg: Simon Bolivar Symphony Orchestra, Simon Bolivar National Youth Choir, Teresa Carreno Youth Orchestra, Youth Orchestra of Caracas, White Hands Choir und das National Children's Symphony Orchestra. Beim Auftakt am 24. Juli im Großen Festspielhaus steht Gustav Mahlers Symphonie Nr. 8, Es-Dur, auf dem Programm. Es treten 450 Mitwirkende auf. Sie setzen sich aus El Sistema-Ensembles und den Chorsängern von "superar" sowie dem Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor und dem Wiener Singverein zusammen. Dirigent ist Gustavo Dudamel. (APA)
(Quelle: salzburg24)