Vier Gründe

Welchen Einfluss hat taktisches Wählen auf die Nationalratswahl?

Veröffentlicht: 26. September 2024 15:36 Uhr
In Österreich wird am Sonntag ein neuer Nationalrat gewählt. Während die Umfragen seit Wochen ein mehr oder weniger knappes Rennen zwischen FPÖ und ÖVP voraussagen, gibt es am Wahltag eine große Unbekannte: Die taktischen Wähler:innen. Wir haben mit dem Salzburger Politikwissenschafter Armin Mühlböck über die Motivation dieser Wählergruppe und ihre möglichen Auswirkungen gesprochen.

In Österreich geht am Sonntag die Nationalratswahl über die Bühne. Seit Wochen führen die Parteien Wahlkampf, Umfragen zufolge zeichnet sich ein knappes Rennen zwischen FPÖ und ÖVP ab. Unklar ist beim Wahlausgang am Sonntag das Verhalten der taktischen Wähler:innen. Denn diese dynamische Wählergruppe stimmt nicht für die inhaltlich bevorzugte Partei, sondern wählt nach bestimmten politischen Zielen – etwa, um eine Partei zu verhindern oder zu fördern.

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Die Ziele können dabei stark variieren – für das taktische Wählen gibt es vier Gründe:

  1. "Underdog-Effekt"
  2. "Bandwaggon-Effekt"
  3. "Lesser-evil voting"
  4. Mögliche Koalitionskonstellationen

Für den Einzug in den österreichischen Nationalrat muss eine Partei die 4-Prozent-Hürde erreichen. Das macht es für kleinere Parteien schwierig, ins Parlament zu kommen. Taktische Wähler:innen könnten hier eine Kleinpartei wählen, um den Einzug zu ermöglichen. "Diese Strategie greift dann, wenn die bevorzugte Partei ohnehin genügend Stimmen bekommt und so die Schwächere unterstützt werden kann", erklärt der Salzburger Politikwissenschafter Armin Mühlböck den "Underdog-Effekt" im Gespräch mit SALZBURG24 am Donnerstag.

Mitmischen im Kampf um Platz 1

Im Umkehrschluss gibt es den "Bandwaggon-Effekt" – dabei geht es um das Mitmischen im Kampf um Platz 1. "Die Wähler:innen, die zwar eine kleinere Partei bevorzugen, strömen zu den größeren Parteien, damit ihre Stimme nicht ‚verschwendet‘ wird." Dies sei häufig dann der Fall, wenn das Rennen um die Spitze ein enges ist, wie sich das gerade bei der anstehenden Nationalratswahl abzeichnet.

Das geringere Übel wählen

Das "Lesser-evil voting" beschreibt jenes Wahlverhalten, bei dem sich die abstimmende Person für das geringere Übel oder die zweitbeste Wahl entscheidet. "Wenn Wähler:innen befürchten, dass eine ungewünschte Partei gewinnt oder zumindest sehr stark wird, könnten sie für eine Partei stimmen, die eine realistische Chance hat, diese Partei zu schlagen", führt der Politikwissenschafter aus. Das Ziel sei, die unerwünschte Partei zu schwächen.

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Im vierten Punkt geht es um die Koalitionsbildung nach der Wahl. Taktische Wähler:innen könnten sich für die Partei entscheiden, die eine Koalition mit der unerwünschten Partei verhindern kann.

Strategisches Wählen zum Nachteil der Kleinparteien

Bei der Wahl am Sonntag könnten nach Ansicht Mühlböcks vor allem ÖVP und SPÖ vom taktischen Wählen profitieren. Beim Stimmen für die ÖVP könnte das Motiv sein, die Volkspartei gegenüber den Freiheitlichen zu stärken. Auch die SPÖ könnte gestärkt werden, um eine Koalition mit der ÖVP zu ermöglichen und so die FPÖ zu verhindern. Dieses Vorgehen passiere allerdings zum Nachteil der Kleinparteien, die beim Mitmischen im Kampf um die Spitze vernachlässigt würden.

Gefahr durch Vertrauen auf Umfragen und Analysen

Das taktische Wählen stützt sich stark auf Umfragen und Analysen in der Wahlkampfzeit. Diese entsprechen jedoch nicht immer dem tatsächlichen Wahlergebnis. In der jüngeren Geschichte besonders auffällig war das Verhalten der taktischen Wählerinnen und Wähler bei der Nationalratswahl im Jahr 2017. Damals wanderten viele Stimmen von den Grünen zur SPÖ mit der Hoffnung, eine Koalition aus Türkis und Blau zu verhindern. Das Resultat war, dass die Grünen die 4-Prozent-Hürde nicht mehr schafften und aus dem Nationalrat flogen.

Das taktische Wählen bringt somit auch eine demokratiepolitische Gefahr mit sich. So kann es vorkommen, dass im Wahlergebnis nicht mehr die tatsächlichen Präferenzen der Wähler:innen abgebildet werden, was zu einer Verzerrung führt. Vorausgesetzt, es findet in einem entsprechend großen Ausmaß statt. Wie groß der Anteil der Wählergruppe ist, könne laut Mühlböck übrigens nicht genau gesagt werden. Dies variiere je nach Wahl und sei oftmals schwierig zu erheben.

Parteien bemühen sich um taktische Wähler:innen

Dass sich die Parteien um die Stimmen der taktischen Wähler:innen bemühen, merkt man auch am zu Ende gehenden Wahlkampf in Österreich. So bezeichnet SPÖ-Parteichef die Sozialdemokratie als "Brandmauer" gegen die FPÖ. Die NEOS warnen hingegen davor, dass eine Stimme für die ÖVP auch eine Stimme für die Freiheitlichen sei.

Die tatsächlichen Auswirkungen der taktischen Wähler:innen lässt sich erst bei Analysen nach der Wahl genauer einschätzen. Etwa, in dem die Wahlmotive abgefragt und die Wählerstromanalyse unter die Lupe genommen wird.

(Quelle: salzburg24)

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