In Deutschland und der Schweiz wurde das Aus der Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP in Österreich am Mittwoch in den Medien wie folgt kommentiert:
"Süddeutsche Zeitung" (München):
"Das Harmonie-Theater ist zum unwürdigen Schauspiel verkommen. Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ sind gescheitert. (...) In den vergangenen Wochen wurde immer deutlicher, wie groß die inhaltlichen Gräben zwischen den Parteien sind. Was die Europa- und Sicherheitspolitik betrifft, die Rolle von Kultur und Medien und das Verständnis von Demokratie ganz allgemein. Sichtbarer wurde auch, wie radikal Herbert Kickls FPÖ ist. Nicht nur liefen seine Forderungen auf ein sich abschottendes, gesellschaftlich rückwärtsgewandtes Land hinaus. Kickl stellte auch Selbstverständlichkeiten infrage, wie die Unabhängigkeit der Medien oder die Tatsache, dass Österreich Urteile des Europäischen Gerichtshofs als bindend anerkennt. (...) Die Lage in Österreich könnte nicht prekärer sein: Nicht nur gibt es 136 Tage nach der Nationalratswahl noch immer keine Regierung, ÖVP und FPÖ haben auch ein verbreitetes Vorurteil gegenüber der Politik bestätigt - nämlich, dass es nicht um Kompromisse geht, sondern nur um die eigenen Interessen."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Online-Kommentar):
"Genauso richtig wie es war, eine Koalition mit der FPÖ in Österreich auszuloten, ist es nun, die Reißleine zu ziehen. Denn Herbert Kickl hat in den Verhandlungen einmal mehr seine radikale Kompromisslosigkeit gezeigt. (...) Dass er in den Koalitionsverhandlungen alle zentralen Schaltstellen der Macht für seine Partei beanspruchte und davon nicht abrücken wollte, musste Beweis genug sein, dass es Kickl offenbar nicht nur um das Wiener Kanzleramt ging, sondern um den fundamentalen Umbau des österreichischen Staates. Dieser Punkt war und ist für die ÖVP (...) eine rote Linie. Hier musste sie hart bleiben und staatspolitische Verantwortung zeigen. Wer wird es der ÖVP danken? Für Neuwahlen ist die Ausgangsposition der ÖVP nun reichlich schlecht, zumal ihr personell ein Zugpferd fehlt. Ihr bleibt die Hoffnung, dass es mancher Wähler danken wird, dass sie im richtigen Moment Rückgrat gezeigt hat."
"Stuttgarter Zeitung" (laut dpa):
"Es ist ein guter Tag für die Demokratie und den Rechtsstaat im Nachbarland. Der Ultrarechte Herbert Kickl von der FPÖ wird nun nicht ins Kanzleramt einziehen. Viele Menschen dürften zumindest vorerst aufatmen – Minderheiten, Zugewanderte, Kulturschaffende und Journalisten. Ihnen hatte Kickl den Kampf angesagt. Er wollte die Republik umbauen in einen autoritären Staat. Er hat nie ein Hehl aus seinen Plänen gemacht. Kickl sagt, was er denkt. Und er macht, was er sagt. Die konservative ÖVP hat damit immerhin den Kern ihrer Glaubwürdigkeit verteidigt, indem sie sich bei grundlegenden Werten der Übernahme durch Kickl verweigerte. Für die Union in Deutschland sollte dies ein mahnendes Beispiel sein, wenn es um eine Zusammenarbeit mit der AfD geht."
"Neue Zürcher Zeitung" (Online-Kommentar):
"Herbert Kickl hat sein wahres Gesicht gezeigt - und ist deshalb gescheitert. Der FPÖ bot sich erstmals die Chance, Österreichs Kanzleramt zu erobern. Doch ihr Chef trieb die Provokation zu weit. Der Umbau, der ihm vorschwebt, hat keine Mehrheit im Land. Am Schluss verkamen die österreichischen Regierungsverhandlungen zur Farce. Noch vor dem offiziellen Scheitern richteten sich ÖVP und FPÖ gegenseitig Schuldzuweisungen aus - nicht persönlich, sondern per Communiqué oder Facebook-Filmchen. In den vergangenen Tagen war überdeutlich geworden, dass es an allem fehlt, was es für eine gemeinsame Koalition braucht: Einigkeit über grundlegende Inhalte, Kompromissfähigkeit und, vor allem, Vertrauen. FPÖ-Chef Herbert Kickl war zu wenig kompromissfähig, um mit der ÖVP eine Koalition zu bilden."
"Neue Zürcher Zeitung":
"Sie hätten sich zu unterwerfen, gab (FPÖ-Chef Herbert) Kickl den Konservativen sinngemäß zu verstehen, obwohl sein Vorsprung bei der Wahl keineswegs riesig war. Was er damit meinte, wurde in den vergangenen zehn Tagen deutlich. Er sah nicht nur alle wichtigen Ministerien für die FPÖ vor. (...)
Erschreckender waren die inhaltlichen Forderungen, die Kickl laut den publik gewordenen Verhandlungsprotokollen stellte. Die FPÖ verweigerte laut diesen unter anderem ein Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, zur Rechtsprechung internationaler Gerichte sowie zur historischen Verantwortung gegenüber Israel. Sie verlangte die Legalisierung völkerrechtswidriger Pushbacks an den EU-Außengrenzen, eine Überprüfung der Russland-Sanktionen und eine orthodoxere Neutralitätspolitik.
All das sind Punkte, welche die selbsterklärte Europapartei ÖVP nicht mittragen kann. Sie stellen die Westorientierung der Republik infrage, ja das von Kickl viel kritisierte 'System', das die Konservativen zusammen mit den Sozialdemokraten seit 1945 aufgebaut haben. Hätte die ÖVP das akzeptiert, wäre es einer Selbstverleugnung gleichgekommen."
"Le Monde" (Paris):
"Ein Ende der CO2-Steuer, 'Null-Asyl', Angriffe auf NGOs, Medien oder sexuelle Minderheiten ... Die FPÖ ist von ihrem Willen, alles auf den Kopf zu stellen, keinen Millimeter abgerückt. Dabei hat sie ein parlamentarisches System, das auf Kompromissen beruht, völlig in den Wind geschlagen.
Nach dem Donnerschlag der (Nationalrats)Wahl hatte die Rechte (gemeint ist in diesem Fall die ÖVP, Anm.) zunächst versucht, mit den Linken und den Liberalen eine Koalition 'bloß ohne Kickl' zu bilden, ohne dass es ihnen jedoch gelang, einen Kompromiss zu finden. Die geschwächte ÖVP streckte daraufhin dem Gegner die Hand aus und entfernte sich damit von einem Wahlversprechen. Die Spannungen wuchsen allerdings rasch: Herbert Kickl brüskierte die Partei (ÖVP, Anm.), die es seit 1987 gewohnt ist, an der Macht zu sein."
"Corriere della Sera" (Mailand):
"Herbert Kickl, der schon fest davon überzeugt war, zum Volkskanzler aufrücken zu können, ist gescheitert: Der Streit um Ministerposten und Russland ist ihm zum Verhängnis geworden. In den vergangenen Monaten hatten die ausländischen Partner davor gewarnt, dass die Zusammenarbeit mit den österreichischen Geheimdiensten beeinträchtigt sein könnte, sollte die FPÖ die Führung des Innenministeriums übernehmen."
"El País" (Madrid):
"Die Verhandlungen hatten schon im Zeichen des Misstrauen begonnen. Kickl hatte sich mit Aussagen voller Vorwürfe gegen die Christdemokraten (ÖVP, Anm.) über deren Gebaren in der vergangenen Legislaturperiode (in der Koalition mit den Grünen) so angekündigt, wie sie eher zu einem Oppositionsführer als zu einem künftigen Partner gehören. (...)
Obwohl die FPÖ die Wahl mit 28,8 Prozent gewonnen hatte, erstmals Platz eins bei Nationalratswahlen: Die übrigen Parteien lehnten eine Koalition mit Kickl, den sie als Radikalen einstufen, ab. (...)
Ohne Zweifel, in dem Maße wie die Koalitionsverhandlungen immer holpriger wurden, sind auch die Stimmen in der Partei (ÖVP, Anm.) (...), die gegen das Bündnis (mit der FPÖ) waren, immer mehr geworden.
Die Kritik und die Warnungen vor der Koalition mit den Ultras (FPÖ, Anm.) scheinen auch bei den österreichischen Konservativen Wirkung gezeigt zu haben. Zuletzt forderten sie von Kickl schriftlich, dass er die Achtung grundlegender Prinzipien garantieren soll, etwa die Souveränität eines von russischem Einfluss freien Österreich, das Engagement als verlässlicher Partner in der EU, die Verteidigung eines Rechtsstaats, der den Extremismus bekämpft. Im Gegenzug erklärte sich die ÖVP bereit, die Einwanderungspolitik - ein zentrales Thema der FPÖ - zu verschärfen, bis hin zur Ablehnung neue Asylanträge - etwas, das internationalem Recht widerspricht."
"de Volkskrant" (Amsterdam):
"Sofern Österreichs Bundespräsident keine Neuwahlen ansetzt, wird die FPÖ bis auf weiteres im Abseits stehen. Die von ihr erhoffte am weitesten rechtsradikale Regierung Europas kommt also doch nicht zustande. Dass zuvor eine Regierungsbildung zwischen Österreichs Mitteparteien scheiterte, wurde in Deutschland mit großem Interesse beobachtet. In eineinhalb Wochen finden dort Wahlen statt. Das deutsche Pendant der FPÖ, die AfD, liegt in den Umfragen mit rund 20 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz.
Allerdings wurde um die AfD ein 'Cordon sanitaire' ('Brandmauer', Anm.) errichtet. Die konservative CDU - Spitzenreiter in den Umfragen - stellte diesen Sperrgürtel zwar auf die Probe, als sie mit der AfD für ein besonders strenges Einwanderungsgesetz stimmte. Doch die CDU hat hoch und heilig versprochen, niemals eine Regierung mit der AfD zu bilden. Das Schreckensbild für Deutschland besteht in einem österreichischen Szenario, bei dem sich die Parteien der Mitte in Machtkämpfen verzetteln und die radikale Rechte am Ende doch noch einen Weg an die Macht findet."
"Il Giornale" (Mailand):
"Kickl floppt: In Österreich ist nach einem Monat Verhandlungen der Angriff der extremen Rechte zur Regierungsübernahme gescheitert. Die ÖVP beschuldigt die FPÖ für das Scheitern der Gespräche. Das Schreckgespenst der Neuwahlen wird konkreter."
"Il Fatto Quotidiano" (Rom):
"Seit den Wahlen im September befindet sich Österreichs Präsident van der Bellen zum zweiten Mal in derselben Situation: Die Koalitionsverhandlungen sind gescheitert, aber Neuwahlen würden die FPÖ stark begünstigen. Zum Verhängnis sind der FPÖ die Divergenzen mit der ÖVP über die Verteilung der Ministerien geworden".
(Quelle: apa)