Viele offene Fragen

Kika/Leiner will Insolvenzverfahren anmelden

Veröffentlicht: 07. Juni 2023 13:23 Uhr
Die Möbelkette Kika/Leiner will in der kommenden Woche ein Insolvenzverfahren anmelden. Die neuen Besitzer streben eine Sanierung des Unternehmens an, 23 Standorte sollen wie angekündigt geschlossen werden. Im Falle einer Insolvenz ist unsicher, ob die Mitarbeitenden Ende Juni ihr Gehalt erhalten.
SALZBURG24 (jp)

Wenige Tage nach dem Verkauf des operativen Kika/Leiner-Geschäfts durch die Signa Retail Gruppe des Tiroler Investors Rene Benko an den Handelsmanager Hermann Wieser wird nun eine Sanierung mit Insolvenzverfahren angestrebt. „Nach Prüfung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Unternehmens wird die Restrukturierung des Unternehmens über ein Sanierungsverfahren stattfinden, das kommende Woche angemeldet wird“, teilte Kika/Leiner am Mittwoch in einer Aussendung mit.

Das Maßnahmenpaket zur Rettung des Unternehmens werde – wie kommuniziert – „unverändert umgesetzt“, hieß es vom Unternehmen. Es werde wohl ein Insolvenzverfahren ohne Eigenverwaltung, hieß es von Kika/Leiner auf APA-Anfrage. Am Dienstag hatte der neue Eigentümer des operativen Geschäfts der Möbelkette angekündigt, 23 von 40 Standorte per Ende Juli zu schließen und 1.900 von 3.900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu kündigen. Auch die Zentralabteilungen und die Verwaltung sollen „erheblich“ verkleinert werden. In Salzburg werden zwei von vier Filialen geschlossen, 84 Mitarbeitende sind betroffen.

Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) sagte im EU-Unterausschuss im Nationalrat, dass er sofort nach Bekanntwerden der neuen Entwicklungen mit dem AMS Kontakt aufgenommen habe. Wichtig sei es, das Frühwarnsystem zu aktivieren und alles zu tun, damit Betroffene rasch wieder in Beschäftigung gebracht werden können.

Sind Gutscheine bei Kika/Leiner weiter gültig?

Sollte es tatsächlich zur Insolvenz kommen, habe das weitreichende Folgen sowohl für Kund:innen als auch für Mitarbeitende, betont Andreas Gollner, Fachsekretär bei der Gewerkschaft vida für den Fachbereich Dienstleistungen im SALZBURG24-Gespräch am Mittwoch. „Gutscheine würden damit grundsätzlich ihre Gültigkeit verlieren und es könnte kein Sozialplan mehr für das Personal erarbeitet werden“, erklärt er.

VKI-Chefjurist Thomas Hirmke erklärt am Mittwoch in der ORF-Sendung "Aktuell nach eins", dass Gutschein-Besitzer:innen diesen nach Anmeldung der Insolvenz als Forderung im Insolvenzverfahren anmelden müssten. Dies zahle sich meist nicht aus. Hirmke rät auch dazu, keine Anzahlungen mehr zu tätigen.

Laut dem Unternehmen sollen aber „alle geleisteten Anzahlungen und die erworbenen Gutscheine garantiert“ werden und weiterhin in allen Kika/Leiner-Filialen eingelöst werden können. Auch sollen die Bonus-Punkte erhalten bleiben und Kika/Leiner will alle bestehenden Aufträge so ausführen, wie es vereinbart wurde.

Juni-Gehälter von Kika/Leiner-Personal in der Schwebe

Sobald die Insolvenz feststeht, seien zwar die gesetzlichen Ansprüche der Mitarbeitenden gesichert, der Prozess diese geltend zu machen, sei aber umfangreich. „Für die Gehälter und Sonderzahlungen würde dann der Insolvenzgeld-Fond einspringen, dafür muss das Personal Vollmachten ausstellen, damit dieser die Ansprüche anmelden kann.“ Dass sich dieser Prozess bis zur nächsten Gehaltszahlung Ende Juni ausgeht, wäre laut vida-Fachsekretär Gollner eine "sportliche Leistung" – da zudem auch das Urlaubsgeld mit Ende des Monats fällig ist. Eine Insolvenz bedeute aber zumindest nicht automatisch den Jobverlust für das Personal der 17 Filialen, die geöffnet bleiben sollen.

Insgesamt hänge an einer Insolvenz ein langer Rattenschwanz für das gesamte Personal sowie Lieferanten und letztlich auch Kund:innen, so der Experte. Entscheidend für die Mitarbeitenden sei, dass sie nicht kündigen und auch keine einvernehmliche Kündigung unterschreiben. „Damit würden die wesentlichen Ansprüche verloren gehen.“ Leidtragend seien in jeden Fall – ob Insolvenz oder nicht – die Mitarbeitenden.

84 Kika-Mitarbeitende in Salzburg von Kündigung betroffen

23 von 44 Filialen schließen, 1.900 von 3.900 Mitarbeitenden werden entlassen: Der Verkauf des Möbelkonzerns Kika/Leiner schlägt gewaltige Wellen. Auch in Salzburg schließen zwei Kika-Standorte, 84 …

„Die Kündigungen werden entsprechend den rechtlichen Rahmenbedingungen (Kündigungstermine, -fristen) erfolgen. Ein wesentlicher Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird mit Ende Juli 2023 gekündigt werden“, heißt es am Mittwoch dazu von Kika/Leiner zur APA.

AMS-Vorstand: "Günstige Zeit, um neuen Job zu suchen"

"Es ist immer tragisch, wenn man seinen Job verliert", sagte AMS-Vorstand Johannes Kopf im Ö1-"Mittagsjournal" des ORF-Radio. "Es ist aber eine günstige Zeit, um einen neuen Job zu suchen." Es gebe tausende offene Stellen im Handel. Das AMS stehe aber auch bereit für Qualifizierungsmaßnahmen, etwa im Bereich Pflege, Digitalisierung und Green Jobs, so der AMS-Chef.

Andere Handelsketten werben um Personal

Kika/Leiner will in Zusammenarbeit mit Unternehmen aus Handel und Gewerbe wie OBI, Billa, Bipa, Penny, Tedi, Müller, Deichmann, Action und NKD eine Jobplattform einrichten, damit allen vom Stellenabbau betroffenen Mitarbeitern ein Jobangebot gemacht wird. Von den freigewordenen Fachkräften profitieren wollen auch die Supermarktketten Spar, Rewe (u.a. Billa) und Lidl. Sie unterbreiteten bereits allen gekündigten Kika/Leiner-Mitarbeitern per Aussendung ein Jobangebot. Interessierte könnten sich jederzeit bewerben.

Das Land Burgenland sicherte in einer Aussendung den Betroffenen in Eisenstadt und Unterwart Unterstützung zu. Man werde "alles unternehmen, um die Betroffenen zu unterstützen - sei es mit Maßnahmen zur Integration am Arbeitsmarkt oder im Falle einer Insolvenz über eine Insolvenzstiftung", erklärte Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) und nahm gleichzeitig die Bundesregierung in die Pflicht, der Entwicklung gegenzusteuern.

Kritik an Benko

Arbeitnehmervertreter übten indes Kritik an Benko. "Er hat immer gesagt wir sind eine Familie. Er ist irgendwie die Vaterfigur. Und wir sind alle in einem Boot", sagte ein Wiener Leiner-Betriebsrat im Ö1-"Mittagsjournal" des ORF-Radio. Es habe sich gezeigt, dass Benko" kein Familienvater" sei. "Das Boot war nicht für Kika/Leiner gedacht, sondern für was anderes. Er hat uns einfach im Stich gelassen." In den nächsten zwei Wochen will die Gewerkschaft GPA gemeinsam mit der Arbeiterkammer in allen 40 Filialen den Beschäftigten persönlich für Beratungen zur Verfügung stehen. "Kurz vor der Insolvenz hat Benkos Signa-Gruppe das Unternehmen noch verkauft und das als 'sehr gutes Investment' bezeichnet. Übrig bleibt: Benko verdient, der Steuerzahler muss herhalten", kritisierte die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, Barbara Teiber, in einer Aussendung.

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und FSG-Chef Rainer Wimmer sprachen am Rande des SPÖ-Präsidiums Dienstagnachmittag wortgleich von einer "Katastrophe". Katzian geht aber davon aus, dass die Beschäftigten bei der Gewerkschaft in guten Händen seien.

Gewinn bleibt aus

Einen Gewinn hatte das Möbelgeschäft für Signa in den vergangenen fünf Jahren nicht abgeworfen. Die Möbelkette sei mit einem operativen Verlust in Höhe von mehr als 150 Mio. Euro übernommen worden und um die laufenden Kosten zu decken, betrage der Liquiditätsbedarf bei sinkenden Umsätzen monatlich circa 8 bis 10 Mio. Euro, erklärte der neue Eigentümer Wieser.

Die Verbindlichkeiten von Kika/Leiner sollen sich auf rund 300 Mio. Euro belaufen, schreibt der "Standard" (Mittwochausgabe) ohne Angabe von Quellen. Über die Jahre kumulierte sich bis Ende September 2021 ein Bilanzverlust bei Kika und Leiner von 106 Mio. Euro bzw. 83,7 Mio. Euro, geht aus dem Firmenbuch (Wirtschafts-Compass) hervor. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.

In den vergangenen zehn Jahren wechselte Kika/Leiner mehrfach den Besitzer, der Marktanteil ging laut dem Marktforscher Branchenradar von 22 Prozent auf zuletzt 18 Prozent zurück. Im Jahr 2013 erwarb die südafrikanische Steinhoff Gruppe die Möbelkette und verkaufte dann das Unternehmen wieder, um eine Insolvenz der Möbelkette zu verhindern an die Signa Gruppe rund um Benko. Im Rahmen des damaligen Sanierungskurses von Kika/Leiner wurde die Filialzahl in Österreich reduziert und das Osteuropa-Geschäft sowie einige nicht strategische Immobilien in Österreich verkauft. Den Turnaround schaffte Signa bei Kika/Leiner nicht. Das Immobilien-"Filetstück" der Möbelkette in der Wiener Mariahilfer Straße kaufte Signa bereits Ende 2017 von Steinhoff um 60 Mio. Euro und errichtet dort derzeit das Luxus-Kaufhaus "Lamarr".

Was waren Gründe für Abwärtstrend?

Für den Abwärtstrend bei Kika/Leiner gibt es laut dem Branchenradar-Chef Andreas Kreutzer mehrere Gründe. Kika/Leiner sei aufgrund der niedrigeren Filialanzahl immer im Nachteil gegenüber XXXLutz und seinen Diskontern Mömax und Möbelix gewesen. Aufgrund seines hohen Abnahmevolumens könne XXXLutz und auch Ikea eine Eigenmarken-Strategie fahren. "Da war und ist Kika und Leiner immer im Nachteil", so der Marktforscher zur APA. Durch die geplante Reduktion der Kika/Leiner-Filialen von 40 auf 17 werde dies "nun nicht besser". Außerdem haben sich laut Kreutzer in den vergangenen zehn Jahren die Ausgaben für Möbel und Einrichtung in Österreich "eher mau" entwickelt. Ausnahme war nur der kurze Umsatzboom am Anfang der Corona-Pandemie mit den Lockdowns. Die Aussichten für den Möbelhandel seien auch "in nächsten zwei bis drei Jahren nicht so gut". Kreutzer erwartet, dass bei Kika/Leiner "nur eine Marke überbleiben wird". Ikea und XXXLutz seien wohl "primär" die Umsatzgewinner der geplanten massiven Filialreduktion des Mitbewerbers. Mittelständische Möbelhändler würden "eher nicht" profitieren.

(Quelle: salzburg24)

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