Familienbeihilfe und Co

Kocher will Sozialleistungen für Teilzeitkräfte kürzen

Martin Kocher hat es von seiner Heimat Altenmarkt in Pongau in viele Teile der Welt verschlagen. Gelandet ist er letztendlich in Wien.
Veröffentlicht: 14. Februar 2023 09:22 Uhr
Wer freiwillig in Teilzeit arbeitet, soll künftig weniger Sozialleistungen bekommen – zumindest wenn es nach Arbeitsminister Martin Kocher geht. Er will die Sozialpartner zum Umdenken bei Familienbeihilfe und Co bringen.
SALZBURG24 (AG)

Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will Vollzeitjobs stärken und Kürzungen bei den Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit, sagte er zum "Kurier" (Dienstagsausgabe). Dies hatte umgehend zu breiter Kritik geführt. Der Präsident der Salzburger Arbeiterkammer (AK), Peter Eder, sprach in einer Aussendung vom "Gipfel der Ungerechtigkeit". Vorerst skeptisch zeigte sich auch das Wifo.

Kocher präzisiert Aussagen nach Kritik

Zu Mittag präzisierte Kocher dann seine Aussagen. Es gehe nicht um Kürzungen von Sozialleistungen, sondern darum, bei neuen Maßnahmen, Änderungen und Reformen den Teilzeit-Aspekt stärker zu berücksichtigen.

 

Zuvor hatte Kocher im "Kurier"-Interview gemeint: "Wir brauchen weitere Schritte, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen, wie eine geringere Abgabenbelastung und noch treffsichereren Einsatz von Sozialleistungen. In Österreich wird bei Sozial- und Familienleistungen wenig unterschieden, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen."

Weiters hielt der Arbeitsminister Dienstagmittag fest: "Gerade vor dem Hintergrund des oft geäußerten Vorwurfs der Gießkanne ist ein treffsicherer Einsatz von Steuer- und Beitragsmitteln zentral. Selbstverständlich geht es bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung auch um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch qualitative Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen", so Kocher zur APA.

Das sagt Kanzler Nehammer

Nehammer meinte zum Vorschlag seines Parteikollegen vor Journalisten, dass Menschen, die Betreuungspflichten haben, "damit nicht gemeint" seien, dies sei "tabu". Man müsse aber Anreize für längeres Arbeiten setzen, Leistung müsse sich lohnen, bekräftigte Nehammer. So solle es sich etwa auszahlen, Überstunden zu machen. Er unterstütze Kocher "voll" dabei, das Thema nun rasch anzugehen.

Wifo sieht auch Betriebe in der Pflicht

Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo sieht zwar ein großes Potenzial darin, Teilzeitbeschäftigte auf Vollzeit umzustellen, denn der Wunsch bei den Beschäftigten sei da, aber: Es müssten auch die Betriebe diese Bereitschaft nutzen - und die Vorschläge von Kocher zu einer Einschränkung der Sozialleistungen seien zu unkonkret, um hier einen Beitrag zu mehr Vollzeitarbeit zu erkennen.

Zum einen gebe es die Universalleistungen wie die Familienbeihilfe oder die Krankenversicherung. Beides seien sogenannte "horizontale Leistungen", bei denen Kinderlose für Familien mit Kindern einzahlen bzw. Gesunde für Kranke. Dies sei unabhängig vom Erwerbsstatus, so WIFO-Expertin Christine Mayrhuber zur APA. Ebenfalls kein Ansatzpunkt zur Steigerung seien einkommensabhängige Abgaben, wie für die Arbeitslosenversicherung oder die Pensionen. Denn je weniger der Bürger verdiene, desto weniger zahle er ohnehin dafür ein.

Grüne gegen Kürzung von Sozialleistungen

Die Grünen hielten bereits am Vormittag fest: "Eine Diskussion um eine Kürzung von Sozial- und Familienleistungen bei Teilzeit ist nicht nur unangebracht, sondern widerspricht auch der bisherigen Regierungslinie." Frauensprecherin Meri Disoski betonte: "Eine derartige Kürzung würde nicht nur soziale Härten verursachen, sondern ginge insbesondere auf Kosten von Frauen und armen Familien. Wir wollen Armut halbieren, aber mit Sicherheit keine Sozial- und Familienleistungen."

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch reagierte heute Vormittag auf die Kocher-Aussage "in aller Schärfe": "Gegen den Arbeitskräftemangel fällt der Regierung nichts ein, außer die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer per Gesetz zu verschlechtern. Dabei müsste es doch genau umgekehrt sein", polterte er. Insgesamt sei Kochers Vorstoß ein unsozialer Angriff auf die Familien und "das Unsinnigste, was er gehört hat, seit die FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein behauptet hatte, man könne von 150 Euro im Monat gut leben".

Für die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch zeigt die Aussage von Kocher "wie dieser familienfeindliche und neoliberale ÖVP-Minister wirklich tickt". "Denn lapidar zu sagen, dass junge Mütter informiert werden sollten, dass sie bei längerer Erziehungszeit einen massiven Verlust bei ihrer zukünftigen Pension in Kauf nehmen müssen, zeugt schon von sozialer Armut", so Belakowitsch.

NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker wiederum meinte: "Der Minister hat das Problem erkannt - aber die Lösung ist falsch, weil er das Pferd von hinten aufzäumt. Die Teilzeitfalle wird nicht bekämpft, indem man Bedürftigen die Sozialleistungen streicht."

Kocher-Vorstoß "frauenfeindlich"

Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, wurde Dienstagvormittag ebenfalls deutlich: "Minister Kocher soll seine frauenfeindlichen Vorschläge zur Bestrafung von Teilzeitarbeit sofort zurückziehen." Wenig Verständnis zeigte auch AK-Präsidentin Renate Anderl: Acht von zehn Teilzeitbeschäftigten seien Frauen, es stelle sich deshalb die Frage, von welchen Sozialleistungen Kocher hier genau spreche. "Will der Minister die Höhe der Familienbeihilfe vom Arbeitszeitausmaß der Eltern abhängig machen oder was ist hier geplant? Diese Leistungen gebühren ja unabhängig vom Einkommen", betonte sie.

Der Handelsverband rechnete vor, dass im Einzelhandel 14.133 weitere Stellen besetzt werden könnten. Weiters meinte die Interessenvereinigung in einer Aussendung: "Die in Teilzeit arbeitenden Menschen tragen naturgemäß viel weniger zum heimischen Sozialsystem bei, haben jedoch gleichzeitig vollen Anspruch auf die verschiedenen Sozial- und Familienleistungen." Auch der Wirtschaftsbund unterstützte heute Kocher, dieser habe "den Nagel auf den Kopf getroffen". "Wenn wir langfristig Menschen in Vollerwerb bringen wollen, muss der Staat bei Sozialleistungen für Teilzeitarbeitskräfte unterscheiden", so der Wirtschaftsbund. Aber selbstverständlich solle eine alleinerziehende Mutter, die aufgrund ihrer Betreuungspflichten nur in Teilzeit arbeiten könne, unterstützt werden.

Minister warnt vor negativen Folgen von Teilzeitjobs

Kocher warnte in dem "Kurier"-Interview auch davor, die langfristigen Folgen von Teilzeitjobs zu negieren. "Wer mit 68 Jahren in Pension geht, der erhält deutlich mehr Pension im Monat als bei Pensionsantritt mit 62 Jahren. Aus wirtschaftlicher Betrachtung zahlt es sich jedenfalls aus, länger zu arbeiten", gibt der Arbeitsminister zu bedenken.

Die Unternehmen würden bereits auf die demografischen Veränderungen reagieren und Mitarbeiter bitten, länger im Berufsleben zu bleiben. "Es wird aber auch bei den Sozialpartnern ein Umdenken stattfinden müssen, weil ältere Arbeitnehmer am Ende ihrer Erwerbstätigkeit kollektivvertraglich oft mehr verdienen und damit teurer sind", so der Appell des Ministers.

(Quelle: apa)

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