Podcast-Interview

Erzbischof Franz Lackner mahnt vor "abgepuffertem Ich"

Veröffentlicht: 10. März 2023 09:00 Uhr
40 Tage dauert die österliche Fastenzeit. Was Verzicht mit uns macht, wie er uns dabei helfen, mit den multiplen Krisen dieser Zeit etwas besser zurechtzukommen und warum es im Leben immer einen Ausgleich braucht, darüber haben wir mit Salzburgs Erzbischof Franz Lackner gesprochen.
SALZBURG24 (nic)

Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit. Sie dauert 40 Tage, von Aschermittwoch bis zum Ostersonntag. Die Sonntage sind ausgenommen. Folgt man der Tradition der Kirche gelten Fasten und Beten als Vorbereitung auf das österliche Hochfest. Doch Fasten bedeutet mehr, als Verzicht. Das Fasten lasse den Menschen Schicht für Schicht mit der eigenen Endlichkeit begegnen, erklärt uns Salzburgs Erzbischof Franz Lackner beim Interview im Salzburger Bischofshaus.

Das Interview mit Erzbischof Franz Lackner zum Nachlesen

SALZBURG24: Warum gibt es die österliche Fastenzeit?

ERZBISCHOF FRANZ LACKNER: Der Urgrund ist im Vorbild Jesu. Bevor sein öffentliches Wirken begonnen hat, hat er sich in die Wüste zurückgezogen und dort 40 Tage gefastet. Die Wüste ist ein Ort des Todes, aber auch ein Ort Gottes. Fasten ist so etwas wie Einüben in die Endlichkeit der je eigenen Existenz. Wir alle sind beschränkte Wesen. Und das „Aus dem Vollen schöpfen“ hat einmal ein Ende. Dies ist die eine Dimension. Dazu kommt dann noch die Buße, wo es darum geht, wirkliche Wiedergutmachung zu leisten und zu hinterfragen, wie ich in meinem Tun auf andere wirke, was ich dabei nicht bedenke und was anderen weh tun könnte. Ein Beispiel dafür könnte das achtsame Sprechen sein.

Fasten wird vor allem mit Verzicht auf bestimmte Lebensmittel verbunden, in der heutigen Zeit gibt aber auch eine Reihe weiterer Möglichkeiten, Verzicht zu üben: Verzicht aufs Auto, also das bekannte Autofasten, weniger Fernsehen, weniger Soziale Medien oder Einschränkung der Handynutzung. Sind für die Kirche alle Formen des Fastens in Ordnung?

Ja. Früher ist es vor allem um den Verzicht auf Fleisch gegangen. Heute geht es vielmehr darum, dass man sich dort einschränkt, wo man gewöhnlich übertreibt. Das kann Fernsehschauen genauso sein wie Spielen mit dem Handy. Worin gefastet wird, ist jedem selbst überlassen.

Auf was verzichten Sie im Moment eigentlich?

Bei mir ist es schon das Essen. Essen ist für mich etwas Sinnliches und Gutes. Vor allem Süßigkeiten haben es mir angetan. Und daher habe ich mir vorgenommen, vollständig auf Süßes zu verzichten. Ich bin ein Mensch, dem Maßhalten schwerfällt, deswegen mache ich auch am Sonntag keine Ausnahme. So gelingt mit das Fasten leichter. Und zum Fasten gehört bei den Christen auch das Beten. Denn Beten ist ein Ausgleich zum Fasten.

Warum braucht es für den Verzicht die Fastenzeit?

Es ist wichtig, den Dingen einen Ort und eine Zeit zu geben. Es gibt eine Zeit des Übertreibens und es gibt eine Zeit des sich Zurücknehmens. Solche Zeiten sind wichtig. Wenn man diese Dinge einfach dem Alltag und dem Augenblick überlässt, dann verliert man etwas.

Ist Fasten nicht auch ein Zeichen für Überfluss und Luxus? Denn jemand, der nichts hat, kann auch nicht verzichten.

Ja, das ist teilweise sicherlich so. Manches muss man sich schon irgendwo leisten können. Zum Beispiel jemand, der auf das Auto verzichtet – damit er das kann, muss er ein Auto haben. Nicht jeder besitzt eines. Aber eigentlich halte ich das eher für einen Nebeneffekt. Fasten muss meiner Meinung nach auf jeder Ebene möglich sein.

Herr Erzbischof, während wir hier in der Fastenzeit auf etwas verzichten können, das wir im Überfluss haben, haben die Opfer des Ukraine-Krieges oder des verheerenden Erdbebens in der Türkei und in Syrien alles verloren. Wie können wir, als mitfühlende Wesen, mit dieser Diskrepanz umgehen?

Ja, diese Diskrepanz spüre ich extrem. Wenn ich an dieses furchtbare Erdbeben denke, ist das einfach ungeheuerlich. Wie geht man damit um?

Ich habe einen Bischof aus Holland kennengelernt, der mit 60 Jahren an einem schweren Hirntumor erkrankt ist und bald sterben wird. Ist man so schwer krank, denkt man oft als erstes: „Warum ich?“ Und dieser Bischof sagt: „Warum ich nicht?“ Also, warum kann das uns nicht passieren? Wenn man darüber nachdenkt, dann würde uns das in unseren Ansprüchen ein bisschen demütiger werden lassen. Das ist das eine. Das zweite ist: das Leben schafft nie die optimal gleiche Situation, Rechte oder Ausgangspositionen für uns alle. Das gibt es einfach nicht. Daher muss jedes System, jedes Volk, jede Regierung und die Kirche bedacht auf den Ausgleich sein. Und – wenn ich an Syrien denke, ist das Spenden eine Möglichkeit, um Ausgleich zu schaffen. Auch aus der eigenen Tasche, es muss schon ein bisschen wehtun.

Wir leben aktuell in einer Zeit der multiplen Krisen. Und in jeder Krise steckt auch viel Veränderung. Wie erleben Sie persönlich die aktuelle Zeit, wie gehen Sie damit um und welche Veränderungen an Ihnen selbst stellen Sie fest?

Bei mir fängt das meiste mit einem schlechten Gewissen an. Nehmen wir die Klimakrise: Da müssen wir uns schon fragen, welchen Fußabdruck wir hinterlassen. Und die jungen Menschen zeigen uns jetzt schon in fast radikalisierter Form: wir müssen umdenken.

Bei Krieg und Krisen ist es so, dass diese ihren Anfang darin nehmen, dass der einzelne Menschen nicht mit sich selbst im Frieden ist. Wir müssen uns daher immer selbst hinterfragen: „Neige ich zu Radikallösungen? Hau ich mit der Faust auf den Tisch?“ Wir müssen uns bemühen, auch wenn manches fast nicht friedlich zu lösen ist. Denn bis zu einem bestimmten Grad muss man auch mit Unfrieden leben – und nicht unbedingt siegen wollen oder müssen. So sehe ich es als unsere Aufgabe, mit diesem Mangel, dieser Wunde, diesem Unfrieden – oder wie immer man es nennen will – halbwegs friedvoll zu leben. Ich spüre die Tendenz unserer Zeit zu einer vermeintlich starken Hand, aber ich glaube, das wäre die falsche Reaktion.

Herr Erzbischof, unser letztes Interview in dieser Form ist schon lange her. Es war im Dezember 2016. Auch da haben wir schon über Krieg, Flüchtlingskrise und das Leid der Menschen gesprochen. Das ist bis heute unverändert. Ist das das Leben?

Als Bischof kann ich politisch nicht viel beisteuern. Die Kirche vermag dies auch nicht mehr in dem Ausmaß wie früher. Aber was wir tun können, ist uns zu bemühen, Geschwisterlichkeit zu leben. Jeder und jede kann einen Teil beitragen. Es geht darum, das Andere und die Andersartigkeit, die da und dort vielleicht ungewohnt ist und vielleicht sogar bisweilen ein bisschen weh tut, gelten zu lassen. Es geht auch hier wieder um Ausgleichsbewegungen, die einen offen sein lassen für Neues. So könnten wir einfach versuchen, öfters bewusst etwas zu tun, worin wir nicht gut sind. Etwas, das ich üben muss – ein Instrument zum Beispiel – und wo ich ein bisschen auf die Gunst des Gegenübers angewiesen bin. Vor einem „abgepufferten Ich“, wie es der Philosoph Charles Taylor nennt, das nicht mehr durchlässig für andere ist und schon gar nicht für das Transzendente, sollten wir uns hüten. Wir müssen uns fragen, was ist uns Friede im Alltag wert und wo sind wir bereit, auch etwas dafür zu geben.

Herr Erzbischof, vielen Dank für das Gespräch. Gibt es abschließend noch etwas, das Sie unseren Leserinnen und Lesern mitteilen möchten?

Mir liegt etwas auf dem Herzen, das möchte noch sagen. Das ist etwas, das mir einmal von einem Priester gesagt wurde als ich junger UNO-Soldat auf Zypern war und den Glauben gesucht habe: „Gib Gott in deinem Leben eine Chance.“ Denn dieser Gott kann Trost spenden, wo es nach menschlichem Ermessen keinen Trost mehr gibt.

(Quelle: salzburg24)

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