FPÖ und ÖVP haben am Freitag offiziell die Koalitionsverhandlungen aufgenommen. Als erstes haben sich die Parteien den wohl größten Brocken, die Sanierung des stark angeschlagenen Budgets, vorgenommen. Doch nicht Budget- oder Wirtschaftsfragen sollten in den Koalitionsverhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP zuerst geklärt werden, sondern die Grundsatzthematik – die Frage nach Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pressefreiheit, sagt der frühere Landeshauptmann Franz Schausberger (74) im S24-Interview. Denn unter einem Kanzler Kickl fürchtet er den Ausbau eines autoritären Staates. Bevor das nicht ausgeschlossen werden könne, sollte es keine Regierungsbildung zwischen FPÖ und ÖVP geben. Eine politische Krise erkennt der Historiker allerdings noch nicht.
SALZBURG24: Was sagen Sie den zu den jüngsten politischen Vorkommnissen?
FRANZ SCHAUSBERGER: Ich bedauere es zutiefst, dass es nicht zu einer anderen Koalition gekommen ist. Und ich hätte mir da vor allem vonseiten der SPÖ etwas mehr Flexibilität erwartet, weil die Übereinstimmung mit den NEOS und der ÖVP, die waren durchaus gegeben. Aber bei der SPÖ, die unter ihrem jetzigen Parteivorsitzenden einen gewaltigen Linksruck gemacht hat, hätte einfach einmal zur Kenntnis nehmen müssen, dass man zwar Positionen vertreten kann, aber wenn man mit anderen verhandelt, auch Kompromisse eingehen muss. Und das hat gefehlt. Die SPÖ hat den Weg geebnet, dass die Freiheitliche Partei den Regierungsauftrag bekommen hat. Und man darf auch nicht vergessen, dass die NEOS den Stein ins Rollen gebracht haben. Der Schritt des Ausstieges wurde nicht angekündigt, sondern über Nacht gesetzt. Das tut mir sehr leid, weil ich glaube, dass mit dem NEOS ganz gut etwas zu machen gewesen wäre. Aber man hätte noch ein bisschen mehr Geduld gebraucht.
Ja, ich bin kein Freund einer Regierung unter einem Bundeskanzler Herbert Kickl, aber ich muss auch zur Kenntnis nehmen - und muss das, was ich von Herrn Babler verlangt hätte, auch von mir selber verlangen: Man muss bereit sein, Abstriche zu machen und Kompromisse einzugehen. Und daher sage ich, es gibt derzeit keine Alternative, als mit der FPÖ zumindest einmal zu verhandeln und zu schauen, wo es Schnittmengen gibt. Nur wird es nicht ausreichen, sich in den finanziellen und wirtschaftlichen Fragen einig zu werden, sondern es geht um viel grundsätzlichere Dinge. Denn ich glaube, dass Herbert Kickl tatsächlich den österreichischen Staat umbauen will und das in Richtung mehr Autorität und weniger Demokratie. Bevor das nicht geklärt ist, dann sehe ich keine Möglichkeit einer Regierungsbildung. Und jetzt ist man gerade dabei, das abzutesten.
Sie haben schon Oktober in einem S24-Interview gesagt, ein Kanzler Kickl würde Österreich schaden. Jetzt könnte es bald soweit sein – mit Hilfe der ÖVP. Sind Sie von Ihrer Partei enttäuscht?
Nein, ich bin von meiner Partei überhaupt nicht enttäuscht, weil sie hat sehr klar die ganze Zeit gesagt, dass sie sich eigentlich keine Zusammenarbeit mit Herrn Kickl vorstellen kann. Die einzige Alternative wären Neuwahlen gewesen. Neuwahlen bringen wahrscheinlich eine leichte Stärkung der Freiheitlichen, die aber dann wieder einen Koalitionspartner brauchen. Und dann kommt wieder die gleiche Frage auf die ÖVP zu, weil die andere Variante möglicherweise auch wieder nicht möglich ist. Also man muss zumindest jetzt einmal abtesten, ob es möglich ist. Und auch der Herr Kickl muss zur Kenntnis nehmen, dass ÖVP und FPÖ nur wenige Prozentpunkte voneinander entfernt sind und dass 73 Prozent der Österreicher ihn nicht gewählt haben.
Sie sprechen da gerade auch an, dass Herbert Kickl bei seinem ersten Statement ja bereits klare Bedingungen an die ÖVP gestellt und gesagt hat, die ÖVP muss anerkennen, dass sie Zweite ist. Wie hoch ist Ihrer Meinung nach die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich zu einer FPÖ-ÖVP-Regierung, geführt unter Herbert Kickl, kommt?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Ich weiß, dass es im wirtschaftlichen Bereich und bei den Finanzbanken durchaus Einstimmungen gibt. Die sind wichtig, aber die sind weder für das Renommee noch für die internationale und europäische Positionierung eines Staates relevant. Und genau dort sind die Punkte, die geklärt werden müssen. Wir können nicht einfach sagen, wir sind jetzt Russland-freundlich und gegen die Ukrainer. Wir können nicht plötzlich unsere Beiträge an die Europäische Union streichen oder gar mit dem Austritt aus der EU spekulieren. Das sind übergeordnete Fragen, die jetzt in den Verhandlungen klargestellt werden müssen. Das ist gesellschaftspolitisch entscheidend. Passiert das nicht, werden wir zum Outlaw, so wie es zum Teil heute Ungarn und die Slowakei sind.
Also da geht es bei den Verhandlungen ans Eingemachte, an die Verteidigung der Demokratie.
Ja, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und so weiter. Das hat der Herr Stocker bereits sehr klar gesagt und sollte sich herausstellen, dass dem Herrn Kickl das kein Anliegen ist und er in eine andere Richtung geht, dann wird es schwierig.
Trauen Sie den Verhandlern der ÖVP das zu, sich in diesen Fragen durchzusetzen?
Ja. Christian Stocker ist nicht nur Anwalt, sondern auch jemand, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und sehr konsequent seine Positionierung vertritt. Ich glaube nicht, dass sich der über den Tisch ziehen lässt.
Schafft es eine FPÖ-geführte Regierung, die aktuellen, multiplen Krisen und Herausforderungen in diesem Land zu bewältigen?
Das ist schwer zu sagen. Ich würde mir wünschen oder hätte mir gewünscht, dass medial von den Freiheitlichen mehr eingefordert worden wäre. Es ist bis heute nicht klar, welche Maßnahmen die FPÖ gegen diese schwierigen Probleme umsetzen will. Und ich glaube, es wird sich bald herausstellen, dass da nicht viel da ist. Es wäre gut gewesen, das an den Tag zu bringen. Aber da war die mediale Öffentlichkeit sehr zurückhaltend. Denn wenn Sie mich fragen, obwohl ich glaube, dass ich einigermaßen informiert bin, ich könnte Ihnen heute keine einzige Maßnahme sagen, die von der FPÖ zur Lösung der großen Probleme am Tisch liegt.
Eine Maßnahme, mit der die FPÖ immer wieder liebäugelt, ist der Austritt aus der EU. Haben Sie Sorge, dass Österreich wirklich aus der Europäischen Union austritt oder wird das nicht möglich sein?
Ich glaube, dass das nicht möglich sein wird. Denn dafür braucht es eine entsprechende Mehrheit und das wird mit der ÖVP nicht zu machen sein. Aber wissen Sie, der politische Druck in diese Richtung allein würde uns schon sehr schaden. Sozusagen Erklärungen in der Öffentlichkeit von einem österreichischen Bundeskanzler Kickl, der sich ständig nur negativ und skeptisch gegenüber der EU äußert. Auch Worte können hier durchaus Schaden anrichten.
Würden Sie sagen, dass sich Österreich im Moment in einer politischen Krise befindet?
Das ist die Frage, wie man Krise definiert. Ich würde sagen, Österreich befindet sich in einer wie schon lange nicht mehr vorhanden gewesenen schwierigen Situation.
Die bewältigbar ist?
Ich glaube, es ist zu bewältigen, wenn Vernunft einkehrt. Im Dialekt würde ich sagen: „Owa vom Gas“, also herunter vom Gas. Aber das müsste von allen beherzigt werden, sowohl von den Politikern als auch von Medien und natürlich dann auch in der Gesellschaft. Es braucht wieder mehr wieder Geduld und ein bisschen mehr Verständnis füreinander.
Vielen Dank fürs Gespräch.
(Quelle: salzburg24)