Angst und Unsicherheit

"Kinder nehmen Krieg auf jeden Fall wahr"

Veröffentlicht: 10. März 2022 14:26 Uhr
Der Krieg in der Ukraine beschäftigt derzeit nicht nur Erwachsene, sondern auch viele Kinder. Doch wie kann man ihnen dieses sensible Thema erklären? Wir haben mit einem Salzburger Kinder- und Jugendpsychotherapeuten gesprochen.

Seit zwei Wochen herrscht in der Ukraine Krieg. Täglich werden wir mit Bildern von weinenden Menschen, Soldaten oder zerstörten Gebäuden konfrontiert.

"Kinder nehmen Krieg wahr"

Diese kommen aber nicht nur bei Erwachsenen an. Auch viele Kinder bekommen mit, was gerade passiert, schildert der Salzburger Kinder- und Jugendpsychotherapeut Lars Larsen im SALZBURG24-Interview: „Prinzipiell nehmen Kinder den Krieg auf jeden Fall wahr. Sei es, weil mit den Eltern oder im Familienverband darüber gesprochen wird, oder es in der Schule Thema ist. Kinder mit Smartphones bekommen die Geschehnisse auch durch Kanäle wie Facebook oder TikTok mit. Aber die Wahrnehmung ist in fast allen Altersstufen präsent.“

 

Fragen tauchen meist im Volksschulalter auf

Wie viel Kinder mitbekommen, variiere allerdings. Jene im Kindergartenalter würden oft noch gar nicht genau wissen, was das Wort „Krieg“ überhaupt bedeutet, weiß Larsen. „Sie verstehen darunter oft eher einen Streit, den sie aus der eigenen Erfahrung schon kennen. Zum Beispiel, wenn Freunde streiten, wenn jemand etwas kaputt macht oder jemand geschimpft wird.“

In der Schule würden dann aber oft Fragen auftauchen, was mit dem Begriff gemeint ist. „Sie sehen Bilder und können das mit Erklärungen von Eltern oder Lehrer:innen besser einschätzen. Aber noch nicht in dem Ausmaß, wie wir Erwachsenen das sehen.“ Eine differenziertere Wahrnehmung oder Meinungsbildung finde meist gegen Ende der Volksschule oder bei Jugendlichen statt. „Sie alliieren oder identifizieren sich möglicherweise mit einer Kriegspartei.“

Interesse vs. Ablehnung

Ob sich Kinder für das Thema interessieren, könne man neben dem aktiven Fragen auch durch das Verhalten erkennen, erklärt Larsen. „Manche Kinder spielen den Krieg zum Beispiel mit Figuren nach.“ In diesem Fall empfehle es sich, nachzufragen, ob das Kind schon etwas über die Situation wisse, ohne zu viele Informationen zu geben. Im nächsten Schritt könne man fragen, ob das Kind noch etwas wissen möchte oder etwas nicht versteht. „Da merkt man auch, ob sie sachlich etwas wissen wollen oder ob sie Sorgen oder Bedenken haben.“

Andere Kinder hingegen stehen dem Krieg eher ablehnend gegenüber, wie der Therapeut ausführt: „Das ist ein Schutzmechanismus, wenn die Situation oder die Informationen zu bedrohlich sind. Dann wenden sie sich von der Gefahr ab.“ Ein Anzeichen dafür könne sein, wenn das Kind aus dem Raum geht, wenn über das Thema gesprochen wird.

Beispiele helfen bei Erklärungen

Wenn Erwachsene Erklärungen liefern, sollte dies kindgerecht geschehen. Das gelinge mit Beispielen, die das Kind selbst kennt. „Kleinere kennen Krieg zwar noch nicht, kennen aber Streiten. Dann kann man versuchen zu erklären, dass zwei Länder streiten, weil eines will, dass es zu ihnen gehört, aber das andere will lieber zu den anderen gehören.“ Außerdem sei es wichtig, eine realistische Einschätzung der Situation zu bekommen. „Krieg erzeugt Unsicherheit und Angst. Es empfiehlt sich, Unsicherheit mit mehr Objektivität entgegenzutreten.“ Man könnte also schauen, wie weit man von Salzburg aus mit dem Auto fahren müsste, um zum Kriegsschauplatz zu kommen. Den Weg könne man auch mit einer Strecke vergleichen, die Kind selbst kennt. „So wird deutlich, dass der Krieg zwar nah, aber gleichzeitig tausende Kilometer entfernt ist.“

Pauschalisierungen vermeiden

Jenen Kindern, die sich schon ein wenig mit Politik oder der EU beschäftigen, könne man außerdem erklären, dass Österreich neutral ist und was das bedeutet. „Das kann angstlösend sein, weil sie oft glauben, dass sie sich für eine Seite entscheiden müssen. Im Moment verhalten wir uns aber neutral und müssen weder zum einen noch zum anderen helfen.“ Denn Kinder würden dazu neigen, zu pauschalisieren und zum Beispiel zu sagen, „alle Russen sind so blöd, weil sie den Krieg angefangen haben.“

Gespräche nicht vor Schlafengehen

Ein absolutes No-Go sei es, Kinder mit seinen eigenen Ängsten zu „überfallen“. Aber nicht nur die Art der Erklärungen und die Themen sind wichtig, sondern auch der Zeitpunkt der Gespräche. Larsen rät, diese am Abend zu vermeiden: „Wenn Informationen kurz vor dem Einschlafen im Bewusstsein und im neuronalen Netzwerk präsent sind, werden sie in den ersten Schlafphasen eingespeichert. Das beeinflusst wiederum unsere Wahrnehmung am nächsten Tag. Wenn Dinge früher am Tag besprochen werden, vergisst sie das Gehirn schneller, weil es in der Zwischenzeit wieder neue Informationen bekommen hat.“

Augen auf beim Medienkonsum

Zudem sollten Eltern den Medienkonsum im Auge behalten. „Jüngere im Volksschul- und Kindergartenalter sollten gar keine Kriegsberichterstattung in den Nachrichten mitverfolgen, weil die Bilder oft überfordernd sein können.“ Bis zur Pubertät sei elterliche Präsenz wichtig. „Eltern müssen nicht alles kontrollieren, aber sie sollten schon wissen, auf welchen Seiten das Kind im Internet unterwegs ist.“ Wenn man das Gefühl habe, dass gewisse Kanäle nicht gut seien oder Falschinformationen verbreiten, sollte man mit dem Kind darüber sprechen, meint Larsen. „Man kann zum Beispiel erklären, dass manche Seiten vielleicht Aufmerksamkeit erregen wollen und die Informationen eher dazu dienen. Das muss nicht unbedingt dem entsprechen, wie es in Wirklichkeit ist.“

Hoffnung vermitteln

Besonders schwierig ist die Situation für jene, die Familie oder Freunde im Kriegsgebiet haben. Im Optimalfall kann man telefonischen Kontakt halten. Wenn das nicht möglich ist, sei es wichtig, Kindern das Gefühl zu vermitteln, selbst etwas beitragen zu können. „Man könnte zum Beispiel vorschlagen, dass sie einen Brief schreiben, auch wenn wir nicht wissen, ob oder wann er in Zeiten wie diesen ankommt.“ Zudem sollte man darauf achten, Hoffnung zu vermitteln. „Man könnte sagen, dass sie bestimmt einen sicheren Ort finden oder sie wegfahren können, wenn es keine Informationen über den Verbleib der Menschen vor Ort gibt.“ Außerdem könne man selbst ein Vorbild im Umgang mit Menschen in Not sein, indem man Kinder beim Spenden miteinbezieht. „Es wäre eine schöne Idee, gemeinsam Sachspenden zu suchen oder Dinge, die das Kind herschenken möchte.“ Das sollte man aber bei jenen vermeiden, die dem Thema ablehnend gegenüberstehen.

Informationsmaterial für Eltern

Zusätzlich gibt es Informationsmaterial, das online für Erwachsene zur Verfügung steht, etwa vom Land Salzburg oder von UNICEF. Larsen empfiehlt zudem zwei Bücher für Kinder zwischen fünf und zehn Jahren:

  • „Die Flucht“ von Francesca Sanna
  • „Das kleine WIR“ von Daniela Kunkel

Bei weiteren Fragen oder Problemen könnt ihr euch auch Hilfe von Expert:innen holen, zum Beispiel beim Salzburger Landesverband für Psychotherapie.

(Quelle: salzburg24)

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