Schwarz-weiß-Denken

Können wir überhaupt noch debattieren?

Veröffentlicht: 19. August 2021 13:35 Uhr
Schwarz oder weiß, ja oder nein, links oder rechts? Diese Denkweise scheint sich bei vielen von uns eingebürgert zu haben. Denn wir sind häufig nicht mehr offen für andere Meinungen, bestätigt der Salzburger Psychotherapeut Friedrich Faltner. Woran das liegt, warum das bedenklich ist und wie wir das Problem lösen könnten, erklärt der Experte im SALZBURG24-Interview.

Aggression, Beleidigungen oder Belehrungsversuche: Auf vielen Social-Media-Plattformen gehört das fast schon zur Tagesordnung. Besonders Themen wie die Corona-Pandemie und die Klimakrise lassen derzeit die Wogen hochgehen. Wut-Postings über einen angeblichen Impfzwang oder wüste Beschimpfungen gegenüber jenen, die den Klimawandel vermeintlich leugnen, sind keine Seltenheit mehr. Haben wir mittlerweile verlernt, vernünftig zu debattieren?

 

„Debattenkultur gibt es kaum“

„Es ist weniger geworden, miteinander zu reden, auch wenn man anderer Meinung ist. Eine Debattenkultur gibt es kaum“, stellt Friedrich Faltner besorgt fest. Diese Entwicklung sei aber schon länger erkennbar. „Corona zeigt etwas, das immer da war und jetzt stärker sichtbar wird.“

Zwang und Gewalt sind fehl am Platz

Faltner versteht unter einer funktionierenden Debatte ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Personen, die sich medial treffen und eine Gesprächsbeziehung zueinander haben. Die Beteiligten haben Meinungen, die sich auch unterscheiden können. Es gehe aber nicht darum, den anderen zu überzeugen. „Das hat nichts mit Gewalt oder Zwang zu tun.“ Mittlerweile sei aber genau das Gegenteil der Fall. Als Negativbeispiel führt er die Impfthematik an: „Es gibt entweder Impfen oder Nicht-Impfen. Es geht vor allem darum, nach vorne zu tragen, was ich sagen will. Die Grundeinstellung ist anders als früher.“

Eine andere Meinung anzuhören, auch zu verstehen und die jeweiligen Sorgen ernst zu nehmen, vermisst Faltner stark. Zugespitzt werde das durch oft einseitige Informationen, die gerade Nicht-Informierte dann so übernehmen würden.

Weniger Offenheit wegen Angst

Aber warum ist es für uns so schwierig geworden, offen für andere Meinungen zu sein? Ein wesentlicher Faktor ist die Angst, sagt Faltner: „Wir sind wenig bereit, uns auf Fremdes einzulassen. Denn unser gewohnter Wohlstand und die Sicherheit geraten durch Ereignisse wie Corona oder die Klimakrise in Gefahr.“ Es gelte die Einstellung: „Ich habe meine eigenen Probleme und will mich mit den anderen gar nicht beschäftigen.“ Wer ohnehin wenig habe, habe häufig eine geringere Verlustangst.

Schnelligkeit bekommt mehr Gewicht

Der zweite Faktor sei die Zeit. „Wir versuchen, alles möglichst kurz zu formulieren, alles muss schnell passieren. Man kann so gar nicht verstehen, was der andere sagen will und ein Lernen voneinander gibt es nicht.“ Die Zeit bzw. Schnelligkeit habe eine Überwertigkeit bekommen. Im Beziehungsbereich sei das aber kein guter Ratgeber. „Wir Menschen brauchen unsere Zeit. Zeitdruck verhindert, dass man sich auf eine Debatte einlässt, gerade mit ‚schwierigen‘ Menschen und Themen.“ Die Geduld zu warten werde geringer. „Wir sind bequem geworden und haben ein hohes Anspruchsniveau.“

Ungeduld in der Online-Welt

Besonders in der Online-Welt sei diese Ungeduld erkennbar, sagt Faltner. Im Unterschied zur Face-to-Face-Kommunikation würde man hier aber Vieles vom Gegenüber nicht sehen. Nur ein gewisser Teil einer Person werde anhand eines Profils abgebildet, während andere Eigenschaften verborgen bleiben. Funktionen wie „Like“ und „Dislike“ würden zu einem sogenannten „0 oder 1 Denken“ führen.

 

Auch bei Dating-Portalen wie Tinder gäbe es nur zwei Optionen, man wischt entweder nach links oder rechts. „Diese Mentalität könnte sich auch in unser Offline-Leben einschleichen und sich in den Positionen ‚ich will‘ oder ‚ich will nicht‘ äußern.“ Dieses Vorgehen würde zwar Zeit sparen, aber die Anwendung auf menschliche Dinge sei problematisch, weil man nicht anhand eines Profils beurteilen könne, ob jemand zu einem passt oder nicht. „Schnelle Entscheidungen sind praktisch, im Job zum Beispiel wird das honoriert und man gilt als zackig. Bei zwischenmenschlichen Beziehungen ist das aber falsch.“

Ablehnung kränkt Menschen persönlich

Dazu komme noch, dass eine Ablehnung, etwa in Form eines „Dislikes“, häufig als schwere persönliche Kränkung gesehen werde. Bei einem „Like“ hingegen werde Dopamin ausgeschüttet und man freue sich. Das könne auch süchtig machen. Das werde zum Beispiel bei Diskussionen auf Twitter oft sichtbar. „Wenn ich in der Grünen-Bubble Kritik an der ÖVP äußere, bekomme ich wahrscheinlich viele Likes. Ich bin deswegen vorsichtig, meine eigene Meinung zu sagen. Das ist aber konformistisch und das ist bedauerlich.“

Kritik führt zu Rückzug

Ein maßgeblicher Unterschied zu früher sei, dass sich der Kreis der Themen, über die besser nicht gesprochen wird, erweitert habe. Denn die Gefahr, dass man Kritik ernten könnte, steige. „Das führt zu Rückzug, ich baue mir meine eigene Welt, schreibe böse Postings oder umgebe mich nur mit Gleichgesinnten.“ Inhaltliche Konflikte würden häufig mit Heftigkeit und Böshaftigkeit geführt.

 

Was Faltner derzeit fehlt, ist eine integrierende Komponente. Diese sei momentan nicht stark genug vorhanden. Stattdessen gäbe es mehr Aggression. „Das sind manchmal fast religiöse Empfindungen, die ausgelöst werden. Zum Beispiel zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern oder Fleischessern und Vegetariern. Das Thema, um das es geht, ist so groß, dass Kritik als eine Kränkung an meiner Person aufgefasst wird.“

Persönliche Entwicklung leidet

Für den Salzburger Psychotherapeuten ist die Erkenntnis zentral, dass etwas Fundamentales und Lebendiges verloren gehe, wenn man sich nicht auf andere Menschen und Meinungen einlassen kann. „Dann bleibe ich in meiner persönlichen Entwicklung stecken.“ Man sollte sich die Frage stellen: Wie viele gleiche Meinungen brauche ich? Und wie viel brauche ich von außen in Form von anderen Meinungen und Kritik? Eines ist für Faltner hierbei klar: „Ich brauche etwas aus beiden Töpfen.“

Humor lässt Emotionen weniger schnell hochkochen

Aber wie könnte man gegensteuern? „Eine Idee wäre vielleicht, sich selber und seine Meinungen nicht zu wichtig zu nehmen. Man sollte zudem aufpassen, dass Diskussionen keine religiösen Züge annehmen und ich andere nicht belehre.“ Außerdem sollten wir versuchen, den Humor hereinzuholen. „Über gewisse ‚Spiele‘ in der Politik oder Wirtschaft muss ich lachen können. Das würde die Emotionen nicht so schnell hochkochen lassen.“

(Quelle: salzburg24)

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