Seit gut zehn Jahren bietet der Verein Hiketides in Salzburg Psychotherapie und psychologische Begleitung für kriegstraumatisierte Menschen an. Die Ermordung von Verwandten, Vergewaltigungen oder Folter – Erlebnisse wie diese haben „sehr häufig massive gesundheitliche Folgen“, warnt der stellvertretende Vereinsobmann Michael Schreckeis am Donnerstag im SALZBURG24-Interview.
Wie äußern sich Traumatisierungen?
Klassische Symptome von Traumatisierungen können erhöhte Reizbarkeit, generelles Misstrauen, die Neigung zu schweren Depressionen, Vermeidungsverhalten oder Panikattacken sein, führt der Psychotherapeut aus. „Auch die Suchthematik spielt eine Rolle.“ Zu möglichen Begleitsymptomen zählen etwa Schlafstörungen, Albträume oder Flashbacks (plötzliches, unwillkürliches Wiedererleben von traumatischen Ereignissen).
Derzeit sei ein Großteil der Menschen, die bei Hiketides betreut werden, aus der Ukraine oder dem Nahen Osten. „Das sind immer Wellen. Die Menschen kommen von dort, wo gerade Krisen sind – quer durch alle Altersgruppen.“ Einen besonderen Mangel gebe es jedoch bei Angeboten für Kinder und Jugendliche. „Es gibt viele, die in der Schule Probleme haben. Für sie werden zum Beispiel von der Bildungsdirektion oder dem Ambulatorium ‚Am Ball‘ Betreuungsplätze gesucht.“ Der Verein selbst habe jedoch nicht die Ressourcen oder genügend Personal, das auf die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist.
Land Salzburg streicht Förderung für Verein
Im Vorjahr arbeiteten zwölf Therapeut:innen in ca. 1.300 Stunden mit ca. 50 geflüchteten Menschen längerfristig zusammen, berichtet der Salzburger. „Angemeldet waren ungefähr 100 Personen, aber nicht bei allen war eine Betreuung sinnvoll oder aufgrund der Ressourcen möglich.“ Das Budget betrug zuletzt rund 160.000 Euro – neben der Stadt Salzburg, der ÖGK und privaten Spender:innen gehörte bislang auch das Land zu den Geldgeber:innen – doch ab dem kommenden Jahr wird die Förderung aus dem Sozialressort in Höhe von 34.000 Euro, wie gestern berichtet, gestrichen.
Bei Schreckeis stößt dieser Schritt auf Unverständnis. „Unsere Arbeit dient auch der Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Kinder, politischer Radikalisierung und Islamismus. Stellen Sie sich vor, wie wichtig eine fachlich adäquate Unterstützung bei ehemaligen Kindersoldaten oder jemandem, der beim IS war und als 'tickende Zeitbombe' lebt, ist. Wir haben Leute, die überwiegend als Opfer, aber mitunter auch als Täter unterwegs waren. Da ist einiges zu verarbeiten. Das ist der präventive Aspekt.“
Auch auf drohende Folgekosten macht Schreckeis aufmerksam: „Bei uns werden auch Leute angemeldet, die in der Psychiatrie sind und erst dann entlassen werden, wenn sie einen sicheren Psychotherapieplatz haben. Mit den Kosten für einen Tag im Krankenhaus kann man viele Psychotherapiestunden finanzieren.“ Ähnliches gelte für die Integration in den Arbeitsmarkt. Aufgrund der Erfahrungen mit den Jugoslawienkriegen wisse man, dass viele traumatisierte Menschen, die nicht behandelt werden, im Alter aus psychischen Gründen vorzeitig pensioniert werden. Das Streichen der Förderung nennt er deshalb „unsinnig“.
Landeshauptfrau-Stellvertreterin Marlene Svazek (FPÖ) begründet die Entscheidung mit dem Grundsatz, „keine Sonderleistungen und Extrabehandlungen für Asylwerber mehr anzubieten.“ Einen direkten Ersatz gebe es nicht. Die psychotherapeutische Versorgung über die ÖGK stehe weiterhin offen – sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, heißt es auf S24-Anfrage.
Künftig 800 statt 1.300 Therapiestunden?
Wegen des Wegfalls der Förderung hat der Verein das Dienstverhältnis der Geschäftsführerin – eine Halbtagsanstellung – aufgelöst, so Michael Schreckeis. Räumlichkeiten werden zum Teil untervermietet. „Der Vorstand wird großteils ehrenamtlich arbeiten, die Therapeut:innen erhalten 60 Euro pro Stunde, Dolmetscher:innen 40 Euro pro Stunde.“ Der Psychotherapeut geht davon aus, dass mit den übrigen Mitteln statt 1.300 Stunden künftig nur 800 Stunden finanzierbar sein werden.
Hoffnung in ÖGK und Spenden
Um das Angebot und den Pool an Expert:innen weitgehend aufrechterhalten zu können, hoffe der Verein einerseits auf Gespräche mit der ÖGK, andererseits müsse der Spendenanteil „massiv erhöht“ werden. „Wir sind ein Kompetenzzentrum und haben vor allem interkulturelle Kompetenzen. Wenn man zum Beispiel mit jemandem arbeitet, der beim IS war, braucht man Therapeut:innen mit Wissen über den Islam und die Kultur.“ Die Dauer sei ganz unterschiedlich – manchmal sei eine Stabilisierung mit wenigen Terminen möglich, bei schweren Fällen brauche es eine langfristige Begleitung. Wie bei allen Gesundheitsfragen gebe es zwar keine Erfolgsgarantie, „aber es ist wesentlich, dass es versucht wird.“
(Quelle: salzburg24)