Fall Rammstein

Sexualisierte Gewalt: Warum stehen Frauen am Pranger?

Veröffentlicht: 31. Juli 2023 15:43 Uhr
Rund um die Vorwürfe der sexualisierten Gewalt gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann werden auch Stimmen laut, die die Schuld eindeutig bei den betroffenen Frauen suchen. Zwei Salzburger Expertinnen erklären, wie es zur "Täter-Opfer-Umkehr" kommt und wie man Betroffenen glauben und dennoch die Unschuldsvermutung wahren kann.

Werden Vorwürfe der sexualisierten Gewalt gegen Promis laut, ist das Interesse der Öffentlichkeit meist riesig. Wie der Fall Rammstein in den vergangenen Wochen wieder deutlich zeigte, geraten dabei auch die mutmaßlichen Opfer schnell in die Schusslinie. Diese seien schließlich freiwillig mit Rammstein-Frontmann Till Lindemann mitgegangen oder hätten ja ahnen können, wie es im Backstage-Bereich eines Rock-Konzerts zugehe, hieß es etwa in den Kommentarspalten der sozialen Medien. Auch Anschuldigungen, die Frauen seien nur auf Bekanntheit, Geld oder Rache aus, waren zu lesen. Aber woher kommt dieser Drang, Opfern sexualisierter Gewalt zumindest eine Teilschuld oder gar eine Falschaussage zu unterstellen? Und was macht das mit den Betroffenen?

Täter-Opfer-Umkehr aus Angst vor eigener Betroffenheit

Die „Täter-Opfer-Umkehr“ sei wie auch das Verharmlosen von Straftaten eine weit verbreitete Manipulationsstrategie, meint Christina Riezler, Geschäftsführerin des Salzburger Gewaltschutzzentrums, am Montag im Gespräch mit SALZBURG24. Gerade bei Vorwürfen gegen Berühmtheiten würden Fans die Anschuldigungen gegen ihre Idole oftmals nicht wahrhaben wollen. Dazu käme vor allem bei Frauen die Angst, selbst Opfer eines Übergriffs zu werden. Unterstelle man den Betroffenen ein „falsches“ Verhalten, fühle man sich wieder sicherer – denn man selbst verhalte sich ja „richtig“ und könne dementsprechend nicht betroffen sein. Das sei aber ein Trugschluss: „Man hat das überhaupt nicht in der Hand“, betont die Juristin. Bei Betroffenen von sexualisierter Gewalt sorge dieses öffentliche Victim-Blaming für große Verunsicherung und Ohnmachtsgefühle. „Im Grunde wird man zum zweiten Mal Opfer.“

Wenn sexualisierte Gewalt zur Meinungsdebatte wird

Dasselbe beobachtet auch Agnes Menapace vom Frauennotruf Salzburg. Die Psyche befände sich nach einem Übergriff ohnehin bereits in einem „extremen Stresszustand“ und begebe sich auf die Suche nach einem Grund für das Geschehene, erklärt sie am Montag gegenüber S24. Schuldgefühle seien ein Teil der Dynamik, die sexuelle Gewalt bei den Betroffenen auslöse. Denn der Gedanke, dass man zumindest teilweise selbst schuld wäre, sei in unserer Gesellschaft tief verwurzelt. Käme dann noch ähnliches Feedback von außen, befeuere das diese Dynamik noch weiter und halte Betroffene auch vom Erstatten einer Anzeige ab, ist sich die Salzburgerin sicher.

Bei Fällen mit großer Öffentlichkeitsnähe entstehe durch die vielen verschiedenen Ansichten auch schnell der Eindruck, es handle sich hier um eine Meinungsdebatte. „Obwohl das sowohl fachlich als auch strafrechtlich ganz klar nicht so ist“, betont sie. Denn das Gesetz lege eindeutig fest, dass allein der:die Täter:in für einen Übergriff verantwortlich sei.

Nur wenige Falschanzeigen bei Vergewaltigungen

Auch der Mythos, dass es häufig zu falschen Anschuldigungen käme, sei statistisch nicht nachvollziehbar. Nur etwa 2,5 Prozent aller Vergewaltigungsanzeigen in Österreich würden laut Menapace auf Falschaussagen basieren. „Und das sind dann meist ganz bestimmte Fallkonstellationen“, betont sie. Hier seien die Betroffenen etwa stark von Außenstehenden unter Druck gesetzt worden oder die Anzeige durch Dritte erfolgt. Setze man die 2,5 Prozent in Relation zur hohen Dunkelziffer bei Vergewaltigungen – nur etwa jeder zehnte Fall kommt zur Anzeige – werde deutlich, dass es sich dabei um einen verschwindend geringen Anteil handle.

Dennoch: Für Beschuldigte gilt selbstverständlich immer die Unschuldsvermutung. Das ist auch richtig und wichtig, betonen die beiden Sozialarbeiterinnen. „Das steht auch gar nicht im Widerspruch zum Opferschutz“, findet Riezler. Denn der:die mutmaßliche Täter:in sei schließlich noch lange nicht verurteilt, nur weil man dem Opfer glaubt. Zudem gelte die Unschuldsvermutung „natürlich auch für die Opfer“, wenn sie etwa mit Vorwürfen der Verleumdung konfrontiert sind, stellt die Juristin klar. Außerdem müsse man bedenken, dass ein Freispruch nicht automatisch die Unschuld des:der Beschuldigten beweise. Oftmals würde es schlichtweg aus einem Mangel an Beweisen nicht zu einer Verurteilung kommen.

Wie derzeit in den sozialen Medien auf die Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann reagiert wird, zeigt laut Menapace einmal mehr, „wie wenig Verständnis es für das Thema in der Gesellschaft gibt.“ Dem 60-Jährigen werden von mehreren Frauen sexuelle Übergriffe vorgeworfen, einige von ihnen versicherten ihre Aussagen an Eides statt. Teilweise sollen die Betroffenen unter Drogeneinfluss gestanden haben. In Deutschland ermittelt mittlerweile die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Rockstar. Es gilt die Unschuldsvermutung.

(Quelle: salzburg24)

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