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Barbara Blümel von Ärzte ohne Grenzen im Sonntags-Talk: "Es ist pures Glück, dass wir hier geboren wurden"

Veröffentlicht: 03. September 2017 13:06 Uhr
Weltweit leisten Ärzte ohne Grenzen bzw. Médecins Sans Frontières (MSF) unabhängige Hilfe für Menschen, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Wir haben mit Barbara Blümel im Sonntags-Talk über ihre Einsatzarbeit in den weltweiten Krisengebieten gesprochen und wie es sich anfühlt, wieder zurück nach Hause in die Stadt Salzburg zu kommen.

Barbara Blümel, gebürtig aus Dornbirn, wohnt seit Anfang der 1980er-Jahre in Salzburg und engagiert sich seit fast 20 Jahren für Ärzte ohne Grenzen. Die studierte biomedizinische Analytikerin war bereits in unzähligen Krisengebieten im Einsatz, am ersten September-Wochenende ging es für die 60 Jahre alte Mutter zweier erwachsener Söhne neuerlich in den kriegsgebeutelten Jemen. Weltweit leistet MSF unabhängige Hilfe für Menschen in mehr als 70 Ländern, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben – jährlich werden somit rund 8,2 Millionen Behandlungen durchgeführt. Vom 4. bis 15. Oktober präsentiert sich die Organisation mit einer Ausstellung am Salzburger Mozartplatz.

SALZBURG24: Wie kommt man auf die Idee sich für MSF zu engagieren?

BARBARA BLÜMEL: Das war absoluter Zufall – ich war in frühen Jahren bereits unabhängig von MSF öfter in Tansania und wollte immer etwas in Krankenhäusern machen. Dann habe ich meine beiden Söhne bekommen und vorerst in Österreich weitergearbeitet. Um 2000 bin ich zufällig über die MSF-Website gestolpert, es wurde jemand mit Tropenerfahrung für die schlimmen Überschwemmungen in Mosambik gesucht. Dann habe ich mich beworben und dachte, ich bleibe ein Jahr lang dabei (lacht).

Welche persönliche Motivation steckt dahinter?

Es ist ein bisschen wie ein Adrenalinkick und es reizt mich Länder zu besuchen, in die man normalerweise nicht kommt, wie Somalia oder den Sudan. Wir arbeiten sehr eng mit den Einheimischen zusammen und nach sechs Wochen im Einsatz erfährst du so viel, auch Persönliches. Diese Chance hat man sonst nie und das bereichert ungemein.

Mit welchem Gefühl fährst du in einen Einsatz – Angst oder Aufregung?

Angst habe ich nie, die Aufregung war am Anfang wahnsinnig groß. Man weiß nämlich nie, wann der Anruf für das richtige Projekt kommt. Heute bin ich eher freudig erregt, wenn es in einen Einsatz geht.

Wie schaut die Arbeit vor Ort aus?

Ich gehe als sogenannter "Expat" in den Einsatz und werde vor Ort von einem "National Team" unterstützt. Von dort wird alles koordiniert und in die Wege geleitet. Jeder Einsatz ist unterschiedlich, man kann hier nicht pauschalieren. Es kann sein, dass man in einem Krankenhaus ohne Strom mitten im Busch landet oder in einem Hightech-Mikrobiologielabor, wie in Jordanien. Oft stehe ich im Labor, während meiner Tätigkeit bei MSF hatte ich viel mit der Behandlung von Malaria und Tuberkulose zu tun.

Blümel im Einsatz für MSF in Uganda (2011, Anm.). /Ärzte ohne Grenzen Salzburg24
Blümel im Einsatz für MSF in Uganda (2011, Anm.). /Ärzte ohne Grenzen

Was ist deine Aufgabe als biomedizinische Analytikerin im Einsatz?

Zuerst evaluiere ich die Qualitätskontrollen: Wo ist das Labor, wie ist es ausgestattet, wie wird dort gearbeitet und welche Standards herrschen – was fehlt, sowohl technisch als auch vom Knowhow? Dann geht es auch um das Labor-Management: Wie kann effizienter gearbeitet und Ressourcen besser genützt werden? Aber ich lerne dort auch sehr viel, es ist ein stetiger Austausch mit den internationalen Kollegen. Oft arbeiten wir mit den staatlichen Gesundheitseinrichtungen zusammen, was häufig sehr schwierig ist.

Was sind die größten Herausforderungen?

Die Kommunikation, denn es ist oft schwierig mit den Offiziellen des jeweiligen Landes auf eine gemeinsame Ebene zu kommen. Auch Lieferengpässe bzw. Probleme mit der Logistik oder Projekte im Aufbau sind ständige Herausforderungen.

Einer meiner Aufgaben im Sudan (2004, Anm.) war es, in einem Spital in Darfur Bluttransfusionen zu ermöglichen. Als ich hinkam, war noch kein Equipment da. Einen Tag, bevor alles ankam, starben eine junge Mutter und ihr neugeborenes Kind, weil wir mitten im Busch keine Möglichkeit zur Bluttransfusion hatten. Wenn dann aber alles da ist und anläuft, spürst du eine unglaubliche Erleichterung. Aber vorher fühlt man sich furchtbar, wenn – für unseren Standard – einfachste Sachen nicht möglich sind.

Wie läuft die Koordination in etwa ab?

Die Zentrale schickt das technische Equipment von Bordeaux in die weltweiten Einsatzorte. In der Regel wird das ein halbes Jahr vor einem Einsatz bestellt, was eine große Herausforderung ist. Denn wer weiß schon, wie die Bedürfnisse in Krisensituationen sind? Wie viele Verletzte gibt es, wie viele Bluttransfusionen werden benötigt oder eskaliert die Situation von einem auf den anderen Tag? Die Planbarkeit ist oft überhaupt nicht gegeben.

Ein Beispiel: Ich war vor 2013, also noch vor dem Kriegsausbruch, im Jemen. Dort gibt es ein super Krankenhaus, das Feinste vom Feinsten. Als ich dort war, gab es jedoch nur wenig zu tun. Ein Jahr später war das Spital völlig am Limit.

Wie gehst du mit dem Leid um?

Eine Psychotherapeutin hat in einem Coaching erzählt, man muss mitfühlen, aber darf nicht mitleiden. Das ist richtig, denn wir können das ganze Leid dieser Welt nicht auf unseren Schultern tragen. Man braucht immer Abstand. Es tut mir natürlich leid, wenn es einem Menschen vor mir schlecht geht, aber du kannst sein Leid nicht auf dich nehmen. Das ist selbstzerstörerisch. Bislang geht es mir damit auch ganz gut.

In Kriegsgebieten und bei Epidemien ist es besonders schlimm, wenn Kinder wie die Fliegen wegsterben. Das ist schrecklich, aber damit musst du klarkommen und weiterarbeiten. Ich kann ja nicht mit Depressionen in meinem Zimmer hocken. So komisch wie es klingt: Man darf nicht zu gut bzw. zu empathisch sein. Zu viel davon macht dich fertig, du musst eine gewisse Distanz aufbauen.

Wie kommt man auf andere Gedanken?

Gespräche mit Kollegen, die auch im Einsatz sind, helfen – ein gutes Team ist das Um und Auf. Den anderen geht es ja genauso, sie sehen das gleiche wie ich.

Wie reagiert dein persönliches Umfeld auf das Leid?

Ich erzähle nicht viel daheim. Dort drüben ist eine völlig andere Welt und fast schon unwirklich – das versteht da niemand. Ich möchte auch nicht so viel mit ihnen darüber reden, weil man das nur versteht, wenn man es mit den eigenen Augen sieht. Man kann das nicht vermitteln, mir geht es zumindest so.

Wie ist es dann, wenn du vom Einsatz zurückkommst?

Es geht jetzt besser als am Anfang. Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt. Wenn ich wieder zurückkomme, fallen mir besonders die grellleuchtenden Reklamen und das Überangebot in den Supermärkten bei uns auf. Und wenn die Hauskatze ihr Essen auf dem Teller mit der Petersilie präsentiert bekommt, wird mir ganz anders. Wir sind sowas von dekadent, das ist unglaublich und dort verhungern die Leute. Es ist pures Glück, dass wir hier geboren worden sind und nicht 1.000 Kilometer weiter weg – in Albanien oder Ukraine sieht die Welt auch ganz anders aus, und das ist noch Europa.

Ab September bist du im Einsatz in Jemen. Warum bekommt man den Krieg medial kaum mit?

Warum sagt man nichts mehr über Darfur und den Sudan-Konflikt? Das war vor zehn Jahren medial dermaßen präsent und jetzt hört man nichts mehr davon. Aber ich denke, die Leute wollen einfach nichts mehr darüber hören. Über den Jemen hört man medial nur noch ein bisschen etwas über die Hungerkatastrophe und die Cholera-Epidemien – aber wirklich nur am Rande.

Aber ich bin auch froh, wenn nicht so viel über die Länder berichtet wird, in denen ich im Einsatz bin. Sonst regen sich Familie und Freunde nur auf (lacht).

Warum bekommt man Ebola, Cholera und Co. nicht in den Griff?

Nehmen wir das Beispiel Cholera: In Jemen herrscht Chaos, es gibt kein sauberes Wasser, was zu Cholera führt. Eigentlich ist diese bakterielle Infektionskrankheit recht einfach mit Infusionen zu behandeln. Aber man braucht Zugang zu sauberem Wasser und die Krankenhäuser sind allesamt überfordert. An diesen elementaren Dingen scheitert es.

Ich glaube, Ebola hat man mittlerweile ganz gut im Griff. Die betroffenen Länder sind arm und waren mit der Situation völlig überfordert. Mittlerweile wurde aber eine einheitliche Struktur geschaffen, man weiß, wie mit Verdachtsfällen umzugehen ist. Außerdem bildet sich ein Bewusstsein für die Krankheit. Wenn Ebola nochmals ausbrechen sollte, ist man gut vorbereitet.

Warum geht es großen Teilen Afrikas so schlecht? Wie kann der Kontinent eine Zukunft haben?

Die reiche Welt sollte in Afrika investieren, damit die Leute vor Ort Arbeit bekommen und keinen Grund mehr haben, zu flüchten. In Nigeria gibt es beispielsweise im medizinischen Bereich gut ausgebildete Leute. Ich war im verarmten und nicht sehr gebildeten Norden des Landes im Einsatz. Die gut Ausgebildeten aus dem Süden müssen zum Arbeiten dorthin, fühlen sich aber nicht wohl, weil es eine ganz andere Kultur ist. Aber sie sind dazu gezwungen dort zu arbeiten – die Familie bleibt zurück. Und wir reden hier nur von einem riesigen Land. Zusätzlich wütet die Terrorgruppe Boko Haram in den letzten Jahren in Nigerias Norden. Es ist verständlich, dass die Leute zu uns kommen und glauben, es wäre besser als bei ihnen daheim. Sie haben keine vernünftige Perspektive, auch die Gebildeten nicht.

Was war dein eindrucksvollstes Erlebnis im Einsatz?

Das war 2004 und 2008 jeweils im Sudan. Wir waren anfangs an der Grenze zum Tschad im Einsatz, wo kaum noch Weiße waren. Die Leute, die wir dort trafen, haben uns die Hand geschüttelt und sich bedankt. Sie wollten, dass wir der Welt sagen, wie es dort zugeht. Und sie waren voller Hoffnung. Nachdem die Medien kurze Zeit sehr viel darüber berichtet hatten, ist das Interesse danach sehr abgeflaut. 2008 war gar keine Rede mehr davon und die Situation war um ein vielfaches schlimmer als vier Jahre zuvor. Damals gab es nämlich zwei verfeindete Gruppen, aber 2008 hat man sich gar nicht mehr ausgekannt, wer mit bzw. gegen wen kämpft.

Die Leute in den Auffanglagern, das größte umfasste über 300.000 Menschen, dachten, sie wären nur für den Übergang dort. Die Menschen haben Jahre später immer noch dort gehaust, die Lager werden immer größer und darin wachsen ganze Generationen auf – es herrscht auch eine Art Anarchie. Das war sehr schrecklich, denn wir dachten anfangs selbst, dass wir etwas ändern könnten. So ist es aber nicht.

Das war Blümels Arbeitsplatz im Jahr 2008 in Darfur (Sudan). /Ärzte ohne Grenzen Salzburg24
Das war Blümels Arbeitsplatz im Jahr 2008 in Darfur (Sudan). /Ärzte ohne Grenzen

Ist das nicht oft sehr ernüchternd?

Ja, schon. Man muss lernen, dass man für den Moment nur einen Tropfen auf den heißen Stein gibt. Wir können nicht die Welt retten, aber immerhin einige Menschen.

Ein Problem ist auch die Koordination der Spenden. Bei einem Einsatz im indischen Bundesstaat Assam wurden gespendete Kühlschränke an eine andere Organisation geliefert, um Impfstoffe lagern zu können. Nur gab es keinen Stromanschluss. Wenn der Kühlschrank geschlossen war, hatte es draußen um 30 Grad und drinnen vielleicht 15 Grad. Wie kann man denn irgendwas spenden, ohne vorher zu überlegen, ob das überhaupt funktioniert? Wer repariert das Gerät denn, wenn es kaputt ist? Da geht wahnsinnig viel Geld den Bach runter. Spenden und Spendengelder werden manchmal nicht gut kanalisiert, das ist ein Problem.

Siehst du bei so vielen Problemen auch Gemeinsamkeiten zwischen Europa und Afrika?

Es sind die gleichen Leute. Die Menschen haben die gleichen Bedürfnisse, Freuden und Ängste wie wir – da sehe ich überhaupt keinen Unterschied.

Barbara, herzlichen Dank für das interessante Interview und alles Gute für die Zukunft.

 

Wir veröffentlichen jeden Sonntag ein Interview mit besonderen Menschen aus Salzburg – egal ob prominent oder nicht. Wir freuen uns über eure Vorschläge an: nicole.schuchter@salzburg24.at.

(Quelle: salzburg24)

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