85.200 Menschen lebten im Bundesland Salzburg 2018 alleine. Seit 2012 ist die Anzahl der Single-Haushalte um 7,2 Prozent gestiegen – die der Familien im Vergleich dazu nur um 2,2 Prozent. Was in Japan bereits Realität ist, wird auch in unserer Gesellschaft immer mehr zum Problem: Einsamkeit. Dabei gehen nicht nur Gespräche, sondern auch Berührungen verloren.
Kuscheln mit Fremden
„Kleine Berührungen, wie Händeschütteln oder Umarmen, verschwinden. Und wir steuern darauf hin, sehr berührungsarm zu werden“, befindet Carina Heinze. Die Salzburgerin will dieser Entwicklung etwas entgegensetzen. Deshalb kuschelt sie mit Fremden – und verdient dabei auch noch Geld. 60 Euro kostet eine Kuschelstunde bei ihr.

Heinze: "Dafür gibt's das Puff"
Die Assoziation mit Prostitution komme da vielen sehr schnell in den Sinn, erzählt die 32-Jährige. „Bei uns geht es in erster Linie um achtsame, liebevolle Berührung, das Gefühl von Geborgenheit. Das Sexuelle hat dabei nichts verloren, dafür gibt’s das Puff“, stellt Heinze klar. Aber: „Die Grenze zwischen Kuscheln und sexuellen Handlungen ist hauchdünn.“ Deshalb gibt es Regeln, die Klientinnen und Klienten vorher im Kuschel-Vertrag unterschreibt: Berührungen im Intimbereich und Schmusen sind Tabu, ebenso nackte Haut oder mangelnde Körperhygiene.
Zum Kuscheln kam Heinze über ein Facebook-Video, ihre Ausbildung machte sie bei Elisa Meyer in Wien. Meyer hat auch den Verein Kuschelkiste gegründet, er hat mittlerweile Mitglieder in mehreren Städten in Luxemburg, Deutschland und Österreich. Auch Heinze ist dabei.

Die unterkuschelte Gesellschaft
Den Befund, dass die Menschen heutzutage unterkuschelt sind, stellt nicht nur Carina Heinze auf. Das Thema beschäftigt auch die Wissenschaft. Die Schwedin Kerstin Uvnäs Moberg forscht seit Jahrzehnten am Kuschelhormon Oxytocin. Sie sagt: Das Bedürfnis nach Nähe ist urmenschlich. Experimente haben gezeigt, dass Kinder Berührungen genauso brauchen, wie Nahrung um sich gesund entwickeln zu können. Die Sterblichkeit von Frühchen ging rapide zurück, seit auch sie bei Müttern und Vätern auf der Brust liegen dürfen.

Das ist dran an Oxytocin
Oxytocin ist dafür verantwortlich, dass wir Vertrauen und Bindung zu anderen Menschen aufbauen können. Produziert wird es in der Hirnanhangdrüse, ausgeschüttet nicht nur beim Kuscheln, sondern auch bei innigem Blickkontakt oder bei der Geburt. Das Hormon wirkt außerdem stresslindernd, angstlösend und erhöht die Gedächtnisleistung. Tiffany Field vom „Touch Research Institut“ an der Universität Miami (USA) sagt gegenüber dem Magazin „Broadly“ sogar: „Gegenseitiges Berühren bewahrt den Frieden.“
Uvnäs Moberg befürchtet, dass durch unsere schnelle und digitale Lebensweise der Oxytocin-Spiegel in der Gesellschaft sinkt – mit negativen Auswirkungen. Kuschler und Kuschlerinnen wollen Streicheleinheiten wieder alltäglich machen, bereits seit 2004 gibt es in den USA Kuschelparties, auch in Europa sind sie auf dem Vormarsch.
Kuscheln: Skepsis in Salzburg
In Salzburg stehen die Menschen dem Konzept laut Heinze noch skeptisch gegenüber. Es gebe in unserer Gesellschaft einen gewissen Rahmen, in dem Berührungen legitim seien: Beim Masseur, beim Physiotherapeuten, in einer Partnerschaft. „Dann hat es plötzlich eine andere Verpackung und wird komisch, obwohl eigentlich nichts daran komisch ist“, schildert die Kuschlerin.

Von ihren Klienten hat sie bisher nur positives Feedback bekommen: „Die Gesichtszüge der Menschen sind viel weicher, sie sind ruhiger, entspannter. Durch das Plaudern, gemeinsame Lachen und Kuscheln wird doch eine Vertrautheit aufgebaut“ – auch, wenn man sich zuvor fremd war.
Offenheit und Empathie gefragt
Wichtige Eigenschaften für Kuschlerinnen und Kuschler seien Offenheit, Empathie und die Menschen so anzunehmen, wie sie sind, betont Heinze. Sie selbst habe durch die Tätigkeit gelernt, ihre Schubladen im Kopf langsam abzubauen. „Es hat viele Jahre gegeben, da habe ich mich eher vor Menschen versteckt. Ich habe mich sozusagen von einem Extrem zum anderen entwickelt“, erzählt die Salzburgerin und lacht.
Kuscheln als Herzensangelegenheit
Warum die Menschen mehr kuscheln sollten? „Weil ich der Meinung bin, dass es ihnen dann besser gehen würde“, ist sich die 32-Jährige sicher. Und fügt an: „Ich wünsche mir persönlich für unsere Gesellschaft, dass wir für Berührung wieder mehr Bewusstsein entwickeln.“ Das Kuscheln ist für Carina Heinze eine Herzensangelegenheit, das Ziel klar: „Ich will die Welt ein bisschen kuschliger machen.“
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(Quelle: salzburg24)