Für 55 Schülerinnen und Schüler beginnt an der Sonderschule in Hallein (Tennengau) wochentags um 8 Uhr der Unterricht. Die Schulglocke läutet den Tag ein. Was auf den ersten Blick nach einer „ganz normalen“ Schule klingt, unterscheidet sich aber recht schnell und deutlich. So sind in den elf Klassen der Schule jeweils maximal sieben bis acht Kinder, nicht jedes davon kann den (Schul-)alltag alleine bewältigen. Manche brauchen bereits Hilfe, um in das Klassenzimmer zu kommen.
Denn: In der Griesmeisterstraße 1 in Hallein werden 35 schwerstbehinderte Kinder, sieben Schülerinnen und Schüler mit einer Lernbehinderung und 13 Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die eine spezielle Unterstützung bei der Entwicklung ihrer sozial-emotionalen Entwicklung benötigen. In manchen Klassen braucht es trotz geringer Kinderanzahl eine zweite Lehrperson oder auch Pflegekräfte.
Rund 2.700 Kinder in Salzburg mit sonderpädagogischem Bedarf
Insgesamt gibt es im Bundesland Salzburg 21 Sonderschulen. Dort werden 971 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. 1.730 weitere Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf sind in Inklusionsformen in Volks-, Mittel- und Polytechnischen Schulen. Salzburg ist hier gut aufgestellt, wie Schuldirektorin Gabriela Wieser im Gespräch mit SALZBURG24 betont. Sie selbst arbeitet seit rund 35 Jahren im sonderpädagogischen Bereich, seit 2019 leitet sie die Sonderschule Hallein. „In vielen Bundesländern gibt es diese Kombination aus eigenen Sonderschulen und inklusiven Klassen an Regelschulen gar nicht mehr so ausgeprägt“, weiß die Direktorin. So sind es in ganz Kärnten nur vier Sonderschulen. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler steige aber stetig. Es würden in Salzburg inzwischen auch Kinder aus anderen Bundesländern oder dem angrenzenden Bayern unterrichtet.
„Für mehrfach behinderte Kinder ist es fast nicht anders möglich. Oder stellen Sie sich eine reguläre Volksschulklasse mit einem Pflegebett vor. Ich glaube, der Egoismus des Einzelnen und das Leistungsdenken ist zu hoch, um das tragen zu können“, sagt Wieser. Diese Kinder könnten in einem Sonderschul-Setting besser gefördert werden, ist sie überzeugt.
Schulabschluss steht nicht immer im Fokus
Nicht für jedes Kind ist zudem ein Schulabschluss ein erreichbares Ziel. So haben beispielsweise Kinder mit erhöhtem Förderbedarf – Kinder mit mehrfachen schweren Behinderungen – die Möglichkeit bis zur zwölften Schulstufe die Schule zu besuchen, ohne einen Abschluss zu erlangen. Einige können im Anschluss jedoch in einer Werkstätte der Lebenshilfe arbeiten.
In den ASO-Klassen – Kinder mit körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen – geht es hingegen um einen Pflichtschulabschluss, der nach neun Schuljahren erreicht werden kann. Bei Bedarf besteht hierfür die Möglichkeit eines freiwilligen zehnten, elften und zwölften Schulbesuchsjahres. Es gibt auch eigene Berufsvorbereitungsklassen. Ziel ist, dass die Jugendlichen die Möglichkeit auf eine reguläre Lehrstelle bekommen. Einige Kinder wechseln aber auch an den Campus Oberrain in Unken (Pinzgau), eine Ausbildungseinrichtung für Jugendliche mit Handicaps.
Unterschiedliche Lehrpläne und Altersstufen in einer Klasse
Zurück nach Hallein: Die Schülerinnen und Schüler sind zwischen sechs und 18 Jahre alt, für jedes von ihnen wird ein individueller Förderplan erstellt, wie Direktorin Wieser erläutert. So wird an der Halleiner Schule in jeder Klasse nach unterschiedlichen Lehrplänen für unterschiedliche Schulstufen unterrichtet. „Wir haben Kinder, die können nicht sprechen, andere sind auf den Rollstuhl angewiesen. Wiederum andere kommen aus dem Autismusspektrum“, schildert Wieser. Bei manchen schwerstbehinderten Kindern gehe es wiederum rein um basale Stimulation, wie beispielsweise die Wahrnehmung von Berührung, Geräuschen oder Gerüchen. „Auch das ist Lernen“, stellt sie klar.
Um all diesen Anforderungen gerecht zu werden, kommen im Sonderpädagogischen Unterricht derzeit sechs verschiedene Lehrpläne zur Anwendung. Die Kinder sitzen auch nicht, wie in Regelschulen üblich, nach Jahrgängen in den Klassen, sondern nach ihren persönlichen Kompetenzen. „Ich versuche bei der Einteilung möglichst homogene Gruppen zu finden“, erklärt Wieser.
Diese Lehrpläne gelten derzeit für die Sonderschulen:
- Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule (ASO 1. bis 8. Schulstufe)
- Lehrplan für Schüler mit erhöhtem Förderbedarf (1. bis 8. Schulstufe)
- Lehrplan der Sondererziehung
- Lehrplan der Berufsvorbereitung (9. Schulstufe)
- VS Lehrplan
- NMS Lehrplan
Neuer Lehrplan im kommenden Schuljahr
Im kommenden Schuljahr soll es im Sonderschulbereich allerdings eine Anpassung an das Regelschulsystem geben. Die Lehrpläne, die bereits im Herbst in der Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe ausgerollt worden sind, werden angepasst auch in den Sonderschulen eingeführt. „Die modernisierten Lehrpläne kombinieren die Lerninhalte sowie die didaktischen Grundsätze der Volksschule und Mittelschule bei entsprechend angepassten Kompetenzanforderungen. Mit den flexibleren Förderschwerpunkten kann noch besser auf die Bedürfnisse der Kinder eingegangen werden“, wie es auf Anfrage von SALZBURG24 seitens der Bildungsdirektion Salzburg heißt.
Konkret bedeutet das:
- formal gleicher Aufbau
- gleiche theoretische Grundlagen mit Konkretisierungen für die Zielgruppe
- gleiche Inhalte, Fächerbezeichnungen und Stundentafel
- Lehrplan der Primarstufe entspricht jenem der VS, Lehrplan der Sekundarstufe I jenem der MS
- Kompetenzbeschreibungen sind vereinfacht oder in höhere Schulstufen verschoben
- Primarstufe: Gliederung in Grundstufe I und Grundstufe II bleibt erhalten
Je nach sonderpädagogischem Förderbedarf werden folgende vier Förderbereiche angeboten:
- Sehen/Blindheit
- Hören/Kommunikation
- Motorik/Bewegung sowie
- Emotional-Soziale Entwicklung
Für Direktorin Wieser ist die Änderung keine Neuerung, sondern eine Anpassung an die bereits gelebte Unterrichtspraxis, wie sie erklärt. „Wir arbeiten bereits so, wie es in den neuen Lehrplänen kommen soll.“ Der bisherige Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule – seine Grundsätze stammen noch aus den 1960er-Jahren – sei längst überholt.
Reform der Sonderschulausbildung für Wieser missglückt
Ein Zurück zum Alten wünscht sie sich allerdings in Bezug auf die Ausbildung der Sonderschullehrkräfte. Im Zuge einer Reform wurde vor zehn Jahren das eigene Sonderschulpädagogik-Studium an den Pädagogischen Hochschulen (PH) abgeschafft. Stattdessen können sich Studierende der PH im Rahmen ihres Lehramtsstudiums Primarstufe – der regulären Ausbildung für Volksschullehrkräfte – auf „Inklusive Pädagogik“ spezialisieren. Auch im Bereich der Sekundarstufe wird diese Spezialisierung an der Universität Salzburg angeboten. „Junge Kolleginnen und Kollegen, die nach der Ausbildung an die Schulen kommen, sind zwar bemüht und engagiert, aber auch total überfordert“, kritisiert Wieser. „Inklusive Pädagogik als Wahlfach kann keine fundierte Sonderschulausbildung ersetzen.“ Noch-Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) – 2015 war er als Vorsitzender des Forums Lehre in der Universitätenkonferenz Mitautor der Reform – hatte sich im April des Vorjahres in einer Rede im Bundesrat für eine Rückkehr zu einer eigenständigen Ausbildung ausgesprochen. Die Abschaffung habe sich auch aus seiner Sicht nicht bewährt. Ob eine neuerliche Reform von einer künftigen Regierung angestrebt wird, bleibt abzuwarten.
(Quelle: salzburg24)