Sucht man auf Instagram nach dem Hashtag #goodvibesonly (dt. nur gute Schwingungen) stößt man auf knapp 16 Millionen Beiträge, meist inspirierende Sprüche oder glücklich lächelnde Menschen am Strand, die den Lifestyle der guten Laune propagieren. Diese Kultur des Zwangsoptimismus hat als Phänomen einen Namen bekommen: Toxic Positivity (dt. giftige Positivität). Dabei handelt es sich um den vergeblichen Versuch, negative Gefühle mit einer überschwänglichen Portion an guter Laune zu bewältigen. Ein Versuch, der zumeist schiefgeht, wie die Lebens- und Sozialberaterin Renate Eschenlohr im Gespräch mit SALZBURG24 am Montag erklärt.
Zwangsoptimismus auf Social Media
„Wirft man einen Blick in die sozialen Medien, bekommt man fast den Anschein, die ganze Welt wäre glücklich und zufrieden. Man hat beinahe ein schlechtes Gewissen, wenn man da nicht mithalten kann“, erzählt Eschenlohr. Dabei gebe es zwischen einem positiven Denken und „Zwangsoptimismus“ große Unterschiede. „Wenn ich in jeder schwierigen Situationen sofort etwas Gutes suche, gebe ich mir gar nicht die Chance diese wirklich zu erfassen“, erklärt sie.
Warum nicht in allem etwas Gutes steckt
In allem etwas Gutes zu sehen, sei generell nicht förderlich. „Wir Menschen neigen dazu, Gefühle in positiv und negativ einzuteilen, um einen Umgang damit zu finden“, so die Lebensberaterin und Atemtrainerin. Vermeintlich negative Empfindungen würden dann häufig verdrängt werden. „Entweder, weil man diese Gefühle nicht spüren möchte oder weil man gar nicht weiß, wie man diese bewältigen kann“, erklärt sie.
Toxic Positivity: Angst vor „schlechten“ Gefühlen
Gefühle wie Trauer oder Wut seien wichtig, um emotional wachsen zu können, erklärt die Expertin. „Wenn ich merke, ich kann mit einem Rückschlag oder einem Verlust umgehen und gestärkt daraus hervorgehen, fällt mir das auch in Zukunft leichter.“ Wird so etwas aber unter einem Haufen Optimismus vergraben, könne unbewusst die Angst vor solchen Umständen wachsen. „Das kann im Extremfall sogar psychische Erkrankungen mit sich bringen“, so Eschenlohr.
Negative Gefühle zeigen Bedürfnisse
Wer seine eigene Gefühlswelt kennt und versteht, kann mit dieser auch selbstbewusst und sicher umgehen, erklärt die Lebens- und Sozialberaterin. „Emotionen sind immer ein Signal und helfen uns dabei, das Leben zu erfassen.“ Vermeintlich negative Gefühle würden intensiver erlebt werden, da diese unsere Bedürfnisse anzeigen. „Das kann auch nur das Bedürfnis sein, sich mit etwas auseinanderzusetzen oder etwas zu bewältigen.“
Genug Raum für Emotionen
Bewältigung verlaufe grundsätzlich in drei Schritten, erklärt die Lebensberaterin. Zunächst sei es wichtig, sich seiner Gefühlswelt bewusst zu sein und das Empfundene zuzulassen. „Im nächsten Schritt sollte man seinen Emotionen Raum geben, also sich auch die Zeit nehmen, diese bewusst zu erleben.“ Das sollte im Idealfall im geeigneten Rahmen und ohne Stress passieren, so die Expertin. „Diese Zeit kann man auch nutzen, um Worte zu finden, mit denen man sich dann an jemanden wendet.“
„Sieh's positiv“ – Besser nicht!
Man solle dabei aber nicht zögern, auszusprechen, was man sich von dieser Person und dem Gespräch wünscht. „Manchmal möchte man sich einfach nur alles von der Seele reden. Drückt man das klar aus, wird Pseudo-Ratschlägen wie ‚Sieh’s positiv‘ oder ‚Das wird schon wieder‘ vorgebeugt“, rät die Coachin. Zwar werden solche Dinge nur in bester Absicht geraten, aber die Empfindungen würden dadurch auch kleingeredet.
„Diese Kultur der permanenten Zuversicht vermittelt, dass man negative Gefühle gar nicht erst zulassen und vor allem nicht ausdrücken soll. Aber manchmal muss man traurig, wütend oder auch ratlos sein, um voranzukommen“, so die Expertin abschließend.
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