Es sollte eigentlich einer der schönsten Tage ihres Lebens werden: Vor exakt einem Jahr brachte Lisa Härtter in einer Salzburger Klinik ihren Sohn zur Welt. Die 36 Stunden dauernde Geburt entpuppte sich aber als Tortur – nicht wegen der Schmerzen, sondern weil sie den Umgang mit ihr im Kreißsaal als übergriffig und gewaltvoll empfindet. Damit ist sie nicht alleine: „Gewalt in der Geburtshilfe ist kein seltener Einzelfall, sondern bitterer Alltag für viele“, betont die Initiative Roses Revolution Österreich, die jährlich im November mit Aktionen auf diese Form der Gewalt aufmerksam macht, gegenüber S24. Wir sehen uns das Thema am Internationalen Tag der Hebammen genauer an.
Situation in Kreißsaal „in Sekunden gekippt“
Als ihr Mann sie ins Krankenhaus brachte, sei sie noch guter Dinge gewesen, erzählt Härtter: Die Klinik war ihr empfohlen worden, das Vorgespräch angenehm verlaufen. Sie habe sich in sicheren Händen gefühlt. Stunden später habe sich das Blatt aber gewendet. Zwei der vier Hebammen seien körperlich und verbal übergriffig gewesen. „Bei der Dritten ist die Situation schon in den ersten Sekunden gekippt“, berichtet sie. Die Geburtshelferin habe sich ihr nicht vorgestellt, sondern den Zeitpunkt ihres Dienstende genannt und verkündet: „Bis dahin ist das Kind da.“ In besagter Klinik werde ein Beleghebammensystem angewandt, wonach nur die Hebamme bezahlt wird, die auch tatsächlich das Kind entbindet.
Mutter berichtet von Vernachlässigung und Schikane
Härtter bekam stärkere Einleitungsmittel: Die Geburt sollte beschleunigt werden. Dann seien ihr Mann und sie alleine gelassen worden – stundenlang. Zwei Mal habe sie wegen starker Schmerzen geläutet, niemand sei aufgetaucht. „Es war eine Tortur.“ Es folgten Stunden der Schikane, erzählt die Mutter. Ihr Stöhnen wurde als unerträglich bezeichnet und eine Hebamme habe ihr ganz verbieten wollen, Schmerzlaute von sich zu geben. Die andere habe ihr das Badewasser ausgelassen, als sie noch in der Wanne saß, ihr zeitweise eine Decke verwehrt und sie als „schwerst adipös“ bezeichnet und erklärt: „Wenn mit Ihrem Kind etwas ist, sind Sie schuld.“
„Habe mich verloren gefühlt“
Sie sei unangekündigt und schmerzhaft untersucht und immer wieder zu einer PDA gedrängt worden. Irgendwann habe man ihr dann mit der Verlegung in eine andere Klinik gedroht, wenn sie der lokalen Anästhesie nicht zustimme. Aus Angst vor einem Kaiserschnitt willigte sie schließlich ein. „Ich wurde mundtot gemacht. Ich habe mich noch nie so verloren gefühlt.“ Könnte sie in der Zeit zurückreisen, würde sie anders entscheiden und sich verlegen lassen, meint sie heute.
Gegen Härtters Willen habe eine Hebamme später die Saugglocke hergerichtet und argumentiert, damit einen Placebo-Effekt auslösen zu wollen, damit sich die damals 35-Jährige „endlich mal richtig anstrengt“. Dann habe die Geburtshelferin den Arzt aufgefordert, den Kristeller-Handgriff anzuwenden. „Und der hat Gott sei Dank nachgefragt und respektiert, dass ich das nicht wollte.“ Der Kristeller-Handgriff ist ein umstrittenes Manöver in der Geburtshilfe, bei dem von außen mit den Wehen mitgeschoben wird. Wegen des Verletzungsrisikos für Mutter und Kind empfiehlt die WHO den Handgriff nicht.
Während des Bondings – dem ersten Körperkontakt zwischen Mutter und Kind – habe eine der Geburtshelferinnen angefangen, von toten Säuglingen zu erzählen. Ab dem nächsten Tag seien Härtter und ihr Mann gemieden und nur noch die notwendigsten Untersuchungen gemacht worden. Eine postpartale Präeklampsie, die unbehandelt tödlich enden kann, habe das Spitalspersonal übersehen.
Kritik am Beleghebammensystem
Wochen später forderte Härtter ein Nachgespräch. Zufriedenstellend sei das nicht verlaufen. Man habe sie in den Kreißsaal geführt, in dem sie traumatisiert worden war, schildert sie. Der Raum sei zu dem Zeitpunkt nicht einmal sauber gewesen. Dann habe ihr die Hebamme einen Zettel hingelegt, der beweisen sollte, dass sie fachlich im Recht war. „Aber mir ging es nie um die Fachlichkeit. Mir geht es um die Menschlichkeit.“ Sie will im nächsten Schritt klagen. Sie betont aber auch: „Solche Erfahrungen kann man in jeder Klinik machen.“ Beleghebammensysteme seien allerdings stark zu hinterfragen.
Kommunikationsprobleme im Kreißsaal
Oft gehe es um Respektlosigkeiten, wenn von Gewalt im Kreißsaal die Rede ist, meint Beate Lamprecht, Leiterin des Hebammen-Studiengangs an der FH Salzburg. In den allermeisten Fällen handle es sich dabei um ein Kommunikationsproblem. „Wenn ich ankündige, was ich tue, und mir dafür die Zustimmung einhole, dann wird die Gebärende mein Verhalten nicht als übergriffig empfinden.“ Da oft rasches Handeln gefragt sei, seien auch Nachbesprechungen wichtig – weil eine Erklärung notwendig werde. Ihrer Erfahrung nach gehe es hierzulande aber weniger um körperliche und mehr um verbale Übergriffigkeiten. „Manche Kommentare, die man hört, sind an der Grenze der Geschmacklosigkeit.“ Das Zwischenmenschliche sei wichtiger Teil der Ausbildung. Ein sensibler Umgang mit Schwangerschaft und Geburt sei generell wichtig, das zeige auch die Statistik: Während weltweit Blutungen die häufigste Todesursache von Schwangeren, Gebärenden und jungen Müttern ist, sei es in Österreich der Suizid.
Es brauche „echtes Hinsehen, Sensibilität und ernst gemeinte Maßnahmen“, um gegen Gewalt in der Geburtshilfe anzugehen, ist man sich bei Roeses Revolution Österreich sicher. Aktuell würden Betroffene meist noch das Gegenteil erleben: Ihre Erfahrungen würden relativiert, verdrängt oder geleugnet. Laut einer aktuellen EU-Studie erleben zwischen 21 und 81 Prozent der Gebärenden in den Mitgliedsländern Gewalt in der Geburtshilfe. Für Österreich liegen keine Zahlen vor.
Salzburger Klinik reagiert auf Kritik
Jene Klinik, in der Härtter entbunden hat, ließ auf S24-Anfrage wissen: „Jede Frau hat das Recht auf eine respektvolle, selbstbestimmte und sichere Geburtserfahrung.“ Gewalt beziehungsweise Misshandlung in diesem Zusammenhang verurteile man zutiefst. Sicherheit von Mutter und Kind hätten aber oberste Priorität. Während einer Geburt seien oft rasche Entscheidungen notwendig, die mitunter nicht den ursprünglichen Vorstellungen der Eltern entsprechen würden.
Für Härtter steht jedenfalls fest: Ihr zweites Kind wird sie Zuhause zur Welt bringen – sofern das medizinisch möglich ist. Betreut werden will sie von ihrer Schwester, die selbst Hebamme ist, und deren Kollegin.
(Quelle: salzburg24)