Dem ehemaligen "Chefpropagandisten von Groß-Serbien" waren neben Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Balkankriege in den 90er-Jahren auch Zwangsvertreibung und Folter vorgeworfen worden. Sein Wunsch-Staat habe Serbien, Montenegro, Mazedonien und große Teile Kroatiens sowie Bosnien-Herzegowinas umfassen sollen, hieß es in der Anklageschrift. Die Anklage hatte 28 Jahre Haft gefordert.
Obwohl zahlreiche aufstachelnde Äußerungen Seseljs vor Gericht vorgebracht worden waren, sah es keine Grundlage für eine Verurteilung. So hatte er in einer Rede vor serbischen Soldaten unter Verwendung eines Schimpfworts für Kroaten gefordert: "Kein einziger Ustascha darf Vukovar lebendig verlassen." Das UN-Gericht sah diese Äußerung als nicht ausreichend für eine Verurteilung wegen Aufstachelung zur Tötung der Menschen. Sie hätte auch zu "Hebung der Moral der Truppe" gefallen sein können, sagte der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti.
Die Anklage reagierte enttäuscht und erwägt nun, Berufung einzulegen. Das Urteil entspreche nicht der bisherigen "konsistenten Rechtsprechung des Tribunals," hieß es in einer Erklärung. "Zahlreiche Opfer und Gemeinden werden enttäuscht sein."
Seselj feierte unterdessen seinen Freispruch: Die Richter hätten aus juristischer Sicht die "einzig mögliche Entscheidung getroffen", sagte er bei einer Pressekonferenz in Belgrad. "Nach all den Prozessen gegen unschuldige Serben, die drakonische Strafen erhalten haben, gibt es nun ein Urteil von ehrenwerten und fairen Richtern." Vor der Urteilsverkündung hatte Seselj noch per Twitter erklärt, er habe "geschlafen wie ein Baby" und ein "reines Gewissen".
Empört äußerte sich hingegen Kroatiens Regierungschef Tihomir Oreskovic. Das Urteil sei "schändlich" und eine Niederlage für das Haager Gericht und die Staatsanwaltschaft, sagte er vor Journalisten. Seselj habe keinerlei Reue gezeigt, "weder damals noch heute". Auch der Präsident einer Vereinigung früherer kroatischer Kriegsgefangener zeigte sich "zutiefst enttäuscht". Seseljs Freispruch trage nicht zur Versöhnung bei, sagte Danijel Rehak.
Die serbische Regierung äußerte sich zunächst nicht. Am Mittwoch hatte Seseljs ehemaliger Schützling, Premier Aleksandar Vucic, erklärt, das Urteil sei sowohl auf rechtlicher als auch auf politischer Ebene wesentlich unbedeutender als jene gegen den früheren Präsidenten der Republika Srpska, Radovan Karadzic, vergangene Woche. Dieser war wegen Kriegsverbrechen und Völkermordes zu 40 Jahren Haft verurteilt worden.
Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien fällte sein Urteil in Abwesenheit des Angeklagten. Seselj war im November 2014 aus Gesundheitsgründen aus der Untersuchungshaft entlassen worden. In Serbien trat er danach mehrfach bei politischen Demonstrationen gegen das UN-Gericht auf, das er bis heute nicht anerkennt. Trotz mehrmaliger Aufforderung weigerte sich Seselj seitdem ins Tribunalgefängnis nach Den Haag zurückzukehren.
Der Freispruch könnte auch seiner Radikalen Partei (SRS) weiteren Auftrieb geben, die einen Monat vor der Parlamentswahl in Umfragen derzeit leicht über der Fünf-Prozent-Hürde rangiert und damit nach vier Jahren wieder in das Parlament einziehen könnte. Die SRS werde mit bis zu 25 Prozent zur zweitstärksten politischen Kraft aufsteigen, gab sich Seselj am Donnerstag zuversichtlich.
Seselj war enger Gefolgsmann von Serbenpräsident Slobodan Milosevic, der in Haft verstarb, bevor ein Urteil gegen ihn gefallen war. Zehntausende Kroaten und Muslime wurden von den serbischen Nationalisten vertrieben, viele getötet. Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wurde 1993 eingerichtet.
(Quelle: salzburg24)