Der Iran steht nach dem Wahlsieg des gemäßigten Präsidentschaftskandidaten Massud Peseschkian vor einem möglichen Politikwechsel. Der frühere Gesundheitsminister setzte sich mit 53,7 Prozent der Stimmen gegen seinen ultrakonservativen Herausforderer Said Jalili durch, sagte ein Sprecher der Wahlbehörde in Teheran Samstagvormittag. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder von Anhängern, die den Wahlsieg des 69-Jährigen in den frühen Morgenstunden mit Hupkonzerten feierten.
Angesichts der komplexen politischen Gemengelage und mächtigen Interessengruppen im Iran ist jedoch unklar, inwiefern vom Stichwahlsieger Peseschkian tatsächlich ein signifikanter Kurswechsel zu erwarten ist. In der Hauptstadt Teheran waren die Reaktionen zunächst jedoch verhalten.
Peseschkian will "am Aufstieg des Landes arbeiten"
"Wir werden allen die Hand der Freundschaft reichen", sagte Peseschkian nach seinem Wahlsieg. "Lasst uns alle am Aufstieg des Landes arbeiten." Auch politische Konkurrenten seien Brüder. Jalili äußerte sich zunächst nicht zum Wahlausgang. "Wir sind alle Menschen dieses Landes. Wir sollten jeden für den Fortschritt des Landes nutzen."
Rund 61 Millionen Menschen waren am Freitag dazu aufgerufen, sich in der zweiten Abstimmungsrunde zwischen Peseschkian und Jalili zu entscheiden. Das Innenministerium verlängerte die Möglichkeit zur Stimmabgabe mehrfach bis in die späten Abendstunden. Letztlich entschieden sich gut 16,4 Millionen Wahlberechtigte für den moderaten Kandidaten Peseschkian, etwa 13,5 Millionen für Jalili.
Wie bereits bei der diesjährigen Parlamentswahl waren die Wochen vor der Abstimmung von auffälliger Gleichgültigkeit geprägt. In der ersten Runde schlug sich das in einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von rund 40 Prozent nieder. In der zweiten Runde erreichte die Beteiligung dann 49,8 Prozent.
Raisi kommt bei Heli-Crash ums Leben
Die vorgezogene Wahl folgte auf den Tod von Amtsinhaber Ebrahim Raisi, der im Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Seine knapp dreijährige Regierungszeit war von großer politischer Repression, Protestwellen und einer Verschlechterung der Wirtschaftslage geprägt.
Peseschkian stammt aus dem Nordwesten des Landes. Während des Ersten Golfkriegs mit dem Nachbarn Irak absolvierte er ein Medizinstudium und diente zwischenzeitlich auch an der Front. Nach dem Krieg führte er seine Arbeit als Arzt fort und machte in der Millionenmetropole Tabris als Herzchirurg Karriere.
Peseschkian wirbt für neues Vertrauensverhältnis
Im Wahlkampf warb der eher unscheinbare Politiker für ein neues Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Volk, denn die meisten Iraner sind nach gescheiterten Reformversuchen maßlos enttäuscht von der Politik. Wie viele andere Politiker des Reformlagers auch forderte Peseschkian eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen, auch um das Land zu öffnen und die angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln.
Der Witwer, der Anfang der 90er Jahre seine Ehefrau und einen seiner Söhne bei einem Verkehrsunfall verlor, erschien auf seinen Wahlkampfterminen auch mit Tochter und Enkelkind. Mit seinem Bemühen um Nahbarkeit und dem Wahlkampfslogan "für Iran" wollte Peseschkian deutlich machen, dass er sich für das Volk einsetze.
Uneingeschränkte Loyalität zu Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei
Inwieweit er dieses Versprechen einlösen will und kann, ist unklar. Peseschkian bekundete seine uneingeschränkte Loyalität zu Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei, der in allen strategischen Belangen das letzte Wort hat und der mächtigste Mann in der Islamischen Republik ist.
Während der zweiten Präsidentschaft Mohammed Chatamis (2001-2005) sammelte Peseschkian bereits Regierungserfahrung als Gesundheitsminister. Trotz seiner gemäßigten Rhetorik stellte er sich hinter die mächtigen Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht, und lobte den jüngsten Angriff mit Drohnen und Raketen auf den Erzfeind Israel im April. In den TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der jedoch Reformen für notwendig hält.
(Quelle: apa)