Wie staatliche irakische Medien berichteten, blieben zahlreiche Abgeordnete der Sondersitzung des Parlaments fern - von 325 Abgeordneten erschienen nur 128. Vor allem die Sitze der Parlamentarier der sunnitischen und kurdischen Fraktionen blieben leer - Regierungschef Nuri al-Maliki ist schiitisch. Damit wurde das Mindestquorum für ein beschlussfähiges Plenum nicht erreicht und die Entscheidung vertagt. Viele Abgeordnete lehnen eine Ausweitung der Befugnisse für den umstrittenen Ministerpräsidenten ab.
Maliki wollte mit dem Ausnahmezustand auf den Vorstoß der sunnitischen ISIL reagieren, die in den vergangenen Tagen Teile des ölreichen Golfstaates unter ihre Kontrolle gebracht hatte, darunter die zweitgrößte Stadt Mossul. Am Donnerstag rückten die Islamisten ins Umland der Hauptstadt Bagdad vor, in der die Schiiten dominieren. Laut Polizei und Augenzeugenberichten eroberten die Extremisten in der Früh die Stadt Dhuluiyah, rund 90 Kilometer nördlich von Bagdad. Nach anderen Angaben rückte ISIL bis auf 60 Kilometer vor die Hauptstadt. Bei Gefechten zwischen Islamisten und der irakischen Armee in der Region kamen Dutzende Menschen ums Leben.
ISIL-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani kündigte an, die ISIL-Einheiten würden weiter auf Kerbala und nach Bagdad vorrücken. "Unser Ziel ist Bagdad. Dort wird es die Entscheidungsschlacht geben", zitierte ein Stammesführer aus der von den Islamisten eingenommen Stadt Alam die Anweisung des ISIL-Kommandanten. In der Hauptstadt wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen kontrollierten die Kämpfer auch Teile der Kleinstadt Udhaim.
Tikrit, das die Rebellen am Mittwoch eroberten, ist nach Angaben des staatlichen irakischen Fernsehens und der Nachrichtenseite "Al-Sumaria News" nach "gewalttätigen Auseinandersetzungen" wieder unter Kontrolle der Armee. Ein Zusammenschluss von Armee- und Polizeikräften habe bereits über 60 Fahrzeuge von ISIL zerstört. Auch "tausende Stammeskämpfer" seien mobilisiert, die Streitkräfte zu unterstützen. Gemeinsam werde eine Front im 60 Kilometer nördlich von Bagdad gelegenen Bakuba errichtet. ISIL selbst behauptete, bereits ins 130 Kilometer von Bagdad entfernten Samara eingedrungen zu sein. Die Angaben ließen sich zunächst nicht verifizieren.
In der Öl-Stadt Kirkuk zog sich die irakische Armee unterdessen zurück und überließ den kurdischen Milizen die Kontrolle. Die irakische Regierung hatte angekündigt, zusammen mit der Regionalregierung in Kurdistan die Rebellen der ISIL, die auch gegen die Regierung im benachbarten Syrien kämpft und die eroberten Gebiete über die Grenze hinweg zu einem islamischen Staat verschmelzen will, zu bekämpfen.
Unterdessen bestätigten US-Beamte dem Fernsehsender NBC News am Mittwoch (Ortszeit), dass Maliki die US-Regierung um Luftunterstützung mit Drohnen bat. Beim Sender CNN hieß es, die USA schätzten die Lage als äußerst akut ein und überlegten, welche Hilfe geleistet werden könne. Drohneneinsätze lehnte Washington bisher laut "New York Times" ab. Aber die USA versprachen "im Kampf gegen die Bedrohung zusätzliche Hilfe", wie Außenamtssprecherin Jen Psaki mitteilte. Wie diese Hilfe aussehen soll, sagte sie nicht.
Die Türkei erwägte am Donnerstag einen Militäreinsatz im Irak. In den vergangenen Tagen waren rund 80 türkische Staatsbürger durch Islamisten im Irak entführt worden. Die 49 bei einem Angriff auf das türkische Konsulat in Mossul verschleppten Türken - darunter der Konsul und mehrere Kinder - sind weiterhin verschwunden. Auch ein Baby, die acht Monate alte Tochter eines Konsulatsmitarbeiters, befindet sich unter den Geiseln, berichteten türkische Medien am Donnerstag. Außenminister Ahmet Davutoglu drohte mit Vergeltung, sollte den Geiseln etwas zustoßen.
Um die verschleppten türkischen Lkw-Fahrer herrscht weiter Unklarheit. Die rund 30 in Mossul von ISIL-Kämpfern als Geiseln genommenen Fahrer sollen freigelassen worden sein, berichtete CNN-Türk am Donnerstag. Anschließend soll aber eine andere dschihadistische Gruppe die Lkw-Fahrer erneut gefangenen genommen haben. Andere türkische Medien hatten kurz zuvor berichtet, die Fahrer seien in Freiheit.
In einer Dringlichkeitssitzung debattierte indes der UNO-Sicherheitsrat am Donnerstag über den Vormarsch der Jihadisten im Irak. Das Treffen hinter verschlossenen Türen begann am Vormittag Ortszeit (17.30 Uhr MESZ). Der UNO-Gesandte im Irak, Nickolay Mladenov, sollte das Gremium per Videoschaltung über die aktuelle Entwicklung informieren.
Russlands UNO-Botschafter Witali Tschurkin sagte vor Beginn des Treffens, er wisse nicht, was der UNO-Sicherheitsrat in dem Konflikt ausrichten könne. Gleichwohl sei es eine "extrem dramatische Situation", die ihren Ursprung in den Ereignissen der Jahre 2003 und 2004 habe, sagte Tschurkin mit Blick auf die US-geführte Invasion im Irak. "Wir glauben, dass diese Mission nicht vollendet wurde", sagte er.
Die Türkei erwägt wegen der Eskalation einen Militäreinsatz im Irak, der zu zerfallen droht. US-Präsident Barack Obama äußerte sich besorgt und sicherte der Regierung in Bagdad Hilfe zu. "Ich schließe dabei nichts aus", sagte er in Washington auf die Frage, ob dazu Drohnenangriffe oder andere Einsätze gehörten. Er wolle sicherstellen, dass die Extremisten gestoppt werden könnten, sagte der Präsident.
Zuvor hatte es geheißen, die USA wollten sich nicht an Luftangriffen auf die Aufständischen beteiligen. Obama forderte die irakische Führung auf, an einer politischen Lösung zu arbeiten. "Dies sollte ein Weckruf für die irakische Regierung sein", sagte er.
(Quelle: salzburg24)