Eine Woche vor der Präsidentenwahl in der Ukraine treten die Bemühungen um eine Entschärfung des Konflikts in den östlichen Landesteilen auf der Stelle. Auch der zweite Runde Tisch mit Regierungsvertretern und politischen Akteuren aus der Region ging am Samstag in der Stadt Charkow ohne greifbares Ergebnis zu Ende.
Am Mittwoch will Regierungschef Jazenjuk den nächsten Versuch starten, durch Gespräche die von separatistischen Bestrebungen bedrohte Einheit des Landes zu erhalten. Durch die Gefechte gibt es laut Wahlkommission in etlichen Wahlbezirken im Osten erhebliche Verzögerungen bei der Vorbereitung der Abstimmung am 25. Mai.
Beobachter sprachen nach dem Treffen in Charkow immerhin von einer deutlich besseren Gesprächsatmosphäre als zuletzt. Der "Tisch" sei diesmal offener gewesen, weil Vertreter der Opposition und der russisch geprägten Regionen dabei gewesen seien, sagte der ukrainische Ex-Präsident Leonid Krawtschuk. Wie beim ersten ergebnislosen Treffen in der Hauptstadt Kiew am vergangenen Mittwoch blieben die militanten prorussischen Kräfte aber außen vor.
Jazenjuk sprach sich für den Schutz der russischen Sprache und eine "Dezentralisierung der Macht" aus - also mehr Zuständigkeiten für die Regionen. "Wir sind bereit, alles für eine Einheit des ukrainischen Staates zu tun", sagte er. Am Mittwoch (21. Mai) soll in Tscherkassy rund 200 Kilometer südlich von Kiew weitergesprochen werden.
Die militanten Kräfte, die in vielen Großstädten in der Ostukraine öffentliche Gebäude besetzen, hatten nach einem international nicht anerkannten Referendum am 11. Mai die unabhängigen Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgerufen. Der neue "Regierungschef der Donezker Volksrepublik", Alexander Borodaj, kündigte am Samstag die baldige Vereinigung der "Volksrepubliken" an. Gespräche mit Kiew könne es erst geben, wenn die Regierung ihre "Anti-Terror-Operation" beende.
Am Wochenende gab es neue, teils widersprüchliche Berichte über Kämpfe im Osten. Die Aufständischen in der Stadt Slawjansk sagten der Agentur Interfax, sie hätten Beschuss durch Regierungstruppen abgewehrt und sieben Angreifer getötet. Das Verteidigungsministerium in Kiew sprach dagegen von einem Angriff prorussischer "Terroristen" auf eigene Stellungen, der abgewehrt worden sei. Das Innenministerium berichtete von einen Überfall auf ein Lager der Nationalgarde.
Die Wahlkommission forderte Interimspräsident Alexander Turtschinow auf, die Arbeit der Wahlbüros und das Recht der Bürger auf Teilnahme an der Abstimmung zu garantieren, wie Medien in Kiew am Samstag berichteten. "Die Lage verschlechtert sich", warnte die Behörde.
Unter den derzeitigen Bedingungen sei es unmöglich, die Wahl in den beiden ostukrainischen Regionen vernünftig vorzubereiten und abzuhalten, warnte die Wahlkommission. Ohne ein entschlossenes Eingreifen der Sicherheitskräfte könnten fast zwei Millionen der insgesamt rund 36 Millionen Wahlberechtigten an der Stimmabgabe gehindert sein.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen kamen seit Ausbruch des Konflikts etwa 250 Menschen ums Leben. Der "Volksbürgermeister" des umkämpften Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, behauptete hingegen, die Regierungstruppen hätten im Osten deutlich höhere Verluste erlitten als eingeräumt.
Mindestens 650 Menschen seien seit Anfang Mai verletzt, gefangen oder getötet worden. Unter den Toten seien auch Mitarbeiter der CIA, des FBI und des ukrainischen Geheimdienstes SBU, brüstete er sich laut Agentur Interfax in einer Videobotschaft.
In der "Volksrepublik Lugansk" berichtete die illegale Vereinte Armee Süd-Ost, dass sie den "Volksgouverneur" Waleri Bolotow aus dem Gewahrsam ukrainischer Grenztruppen befreit habe. Der von der Zentralregierung gesuchte Bolotow war demnach bei seiner Einreise aus Russland festgenommen worden. Medien zufolge warteten die Truppen vergeblich auf ein Hilfskontingent. Etwa 150 militante prorussische Kräfte entrissen Bolotow schließlich den 70 Grenzbeamten.
Der Westen beschuldigt den Kreml, den Konflikt in der benachbarten Ex-Sowjetrepublik anzuheizen. Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel drohte Moskau mit weiteren Sanktionen, sollte die Ukraine-Wahl scheitern. "Europa wird nicht einfach zuschauen, wenn die Abstimmung von außen gestört wird", sagte der SPD-Politiker der "Bild am Sonntag". Auch US-Präsident Barack Obama hatte Russland am Freitag mit "bedeutenden weiteren Kosten" gedroht.
Indes gibt es Befürchtungen bezüglich einer Ausweitung der Krise. Die NATO sieht sich bei einer etwaigen russischen Bedrohung nicht in der Lage, die drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland mit konventionellen militärischen Mitteln zu schützen. Dies geht einem Bericht des "Spiegel" zufolge aus einer Einschätzung des Bündnisses für den Fall einer russischen Aggression hervor.
"Russlands Fähigkeit und Absicht, ohne große Vorwarnung bedeutsame Militäraktionen zu unternehmen, stellt eine weitreichende Bedrohung für den Erhalt von Sicherheit und Stabilität in der Euro-Atlantischen Zone dar", heißt es dem "Spiegel" zufolge im Entwurf eines Papiers des NATO-Verteidigungsplanungsausschusses.
Polens Außenminister Radoslaw Sikorski forderte Militärpräsenz der NATO in seinem Land: "Es gibt Basen in Großbritannien, Spanien, Deutschland, Italien und der Türkei. Das sind sichere Plätze. Doch da, wo Basen wirklich nötig wären, gibt es sie nicht."
(Quelle: salzburg24)