Salzburger Festspiele

"Lumpazivagabundus" als Schusters Meisterstück

gibt jedem etwas, ohne sich klar für eine Linie zu entscheiden.
Veröffentlicht: 02. August 2013 11:46 Uhr
Trägt das Böse karierte Golfhose und Polohemd oder schmutzige Unterwäsche auf verschorfter Haut zu blutiger Kopfwunde? Wer mit den aktuellen Modetrends der Hölle nicht so vertraut ist, sollte sich auf sein Gefühl verlassen.

Das lässt die Gesellen Zwirn und Knieriem deutlich reagieren: "Ich halte das nicht aus", flüchtet der eine aus der gastfreundlichen Spießbürgerholle des Freundes, und der Zweite geht gar lieber mitten durch die Wand zum Branntweiner statt dem Ex-Kumpel auf den Leim. Der böse Geist Lumpazivagabundus hat, so scheint es, bei den beiden ganze Arbeit geleistet. Dennoch wird der zerlumpte Verführer aus der Unterwelt künftig von der puppenhaften Fee Amorosa als Schoßhündchen an der Leine herumgeführt werden. Nicht nur im Schlussbild seiner Nestroy-Inszenierung zeigt Regisseur Matthias Hartmann eindeutig, dass seine Sympathien den Freigeistern und nicht den Biedermännern gelten.

Lumpazivagabundus: Premiere auf Perner-Insel

Dieser "Lumpazivagabundus", der gestern auf der Halleiner Perner-Insel seine umjubelte Salzburger Festspiel-Premiere feierte und ab 6. September im Repertoire des Wiener Burgtheaters zu sehen ist, wird dominiert von einem Elementarereignis: Nicholas Ofczarek ist als grobschlächtiger Knieriem mit stumpfem Blick und Walrossbart das unbestrittene Zentrum des dreistündigen Abends. Latent gewaltbereit und daueralkoholisiert geht dieser Schustergeselle geradlinig seinen Weg. Und der geht bergab: Von Bier zu Wein zu Schnaps zu Branntwein. Ihm bei dieser Studie des fortschreitenden Verfalls eines selbstzerstörerischen Menschen zuzuschauen ist faszinierend und bedrückend zugleich. Dass er daneben sein astronomisches Steckenpferd ("Der Komet kommt!") so behutsam reitet, als wäre es Pegasus, und auch das unaufdringlich aktualisierte Kometenlied mit Bravour absolviert, zeigt, dass er in seiner Figur tiefer gegraben hat als seine Kollegen.

Die haben nämlich alle Hände voll zu tun, an der Oberfläche zu bleiben und neben dieser darstellerischen Urgewalt nicht unterzugehen. Michael Maertens stellt ein geiles, fröhliches Schneiderlein in grünem Wams auf die Bühne, mit Ziegenbart und meckerndem Dauerlachen. Die Anbandelungsversuche des Möchtegern-Don Juan sind schön widerlich, seine Tanzeinlagen unwiderstehlich. Für seine durch den gemeinsamen Lottogewinn finanzierte Kurzzeit-Karriere als Besitzer eines Prager Modesalons verwandelt Stephane Laimé das mit hölzernen Gerüstaufbauten eher an eine Tischlerwerkstatt gemahnende Bühnenbild extra in einen Kitsch-Alptraum aus Gold und Rosa. Maertens fühlt sich darin wohl wie ein Goldfisch im Glas und dreht mit Lagerfeld-Schwänzchen, zwei protzigen Uhren und strahlenden neuen Zähnen seine Schau-Runden. Florian Teichtmeister bleibt da als aufrechter Tischlergeselle Leim nur die Chance, mit besonders pittoresken Ausformungen seiner Verbürgerlichung zu punkten. An der Seite des ebenso jovialen wie sportiven Schwiegervaters (Branko Samarovski) und der trotz Sportplatz-Bräune ziemlich blassen Braut Peppi (Katharina Knap) gelingt ihm das so halbwegs.

Lumpazi kommt direkt aus der Unterwelt

Hat sich Regisseur Hartmann in der Haupthandlung darauf beschränkt, seinem "liederlichen Kleeblatt" ordentlich Wasser und Dünger zuzuführen und sie in alle Richtungen sprießen lassen, so hat er sich für die Rahmenhandlung in der Feenwelt zwei Vorgaben einfallen lassen: Sein Lumpazi (Max Meyer) kommt direkt aus der Unterwelt, ein die (von Mitgliedern der "Jungen Burg" dargestellte) Jugend widerspenstig machender Satansbraten, der bocksfüßig auch durch manche weitere Szenen geistert und ebenso im "Jedermann" gute Figur machen würde. Die guten Geister dagegen sind offenbar im Ältestenrat der EU zu Hause, langbärtige Greise mit einer energischen Dame in der Mitte: Maria Happel spielt die glücklose Glücksfee Fortuna als brillante Angela Merkel-Persiflage. Sie ist nicht nur damit eine der akklamierten Attraktionen des Abends, sondern glänzt auch als geldgierige Signora Palpiti mit der musikalisch vorgetragenen Forderung nach "Money, Money, Money".

Wie überhaupt die Musik, live dargebracht von Karsten Riedel, Tommy Hojsa und Bernhard Moshammer in Lederhosen und Unterleiberln, sehr gelungen ist. Sie hält vom Heavy Metal Auftakt mit Lumpazis Höllenband über die sehr schön variierten Auftrittslieder der drei vazierenden Gesellen bis zu diversen Cover-Anspielungen buchstäblich für jeden Geschmack etwas bereit.

Hartmann entscheidet sich nicht für Linie

Damit ließe sich freilich auch ein Haupteinwand gegen Hartmanns Nestroy-Versuch formulieren: Er gibt jedem etwas, ohne sich klar für eine Linie zu entscheiden. Er gibt nichts vor, sondern wählt aus. Das ist bei manchen Schauspielern ein wahres Füllhorn (auch Hermann Scheidleder und Stefan Wieland nutzen ihre Chancen in verschiedensten Rollen), bei anderen (etwa Mavie Hörbiger) ein knallbuntes Sammelsurium. Ganz bei sich und bei Nestroy ist diese Inszenierung nur, wenn Knieriem die Sache in die Hand nimmt. Das zeigt sich auch im zentralen Moment des Abends: Ausgerechnet als Dirigent liefert der Schustergeselle sein Meisterstück (und quasi auch ein Vorspiel auf "Die Meistersinger von Nürnberg", die heute in Salzburg Premiere haben): Wie Ofczarek im Wirthaus die traurige Ballade von "Eduard und Kunigunde" dirigiert, mit strenger Hand dabei auch das Publikum miteinbezieht und den Chorgesang schließlich fast zur Wirtshausschlägerei ausarten lässt, das ist festspielwürdig in jeder Hinsicht und ganz, ganz große Show. (APA)

(Quelle: salzburg24)

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