Interview

Was hat Salzburg von der EU, Herr Schausberger?

Franz Schausberger hat uns in seinem Büro des Instituts der Regionen Europas im Salzburger Nonntal begrüßt. 
Veröffentlicht: 06. Juni 2024 14:17 Uhr
Franz Schausberger ist nicht nur ein Verfechter der Europäischen Union, er ist Insider. In seiner Funktion als Chef des Instituts der Regionen Europas haben wir den ehemaligen Salzburger Landeshauptmann anlässlich der bevorstehenden EU-Wahl am 9. Juni zum Interview gebeten. Und unter anderem gefragt: Was bringt die EU für Salzburg?

In drei Tagen ist EU-Wahl in Österreich. Insgesamt haben die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Möglichkeit, für die kommenden fünf Jahre die Richtung der EU mitzubestimmen. Gewählt werden insgesamt 720 Abgeordnete für das Europäische Parlament. Österreich stehen 20 Sitze zu. Doch warum braucht es die EU, mit welchen Problemen ist sie konfrontiert und wie wird Salzburg in Brüssel wahrgenommen? Salzburgs Landeshauptmann a. D. (ÖVP, 1996 - 2004), Franz Schausberger, ist Vorsitzender des Insituts der Regionen Europas (IRE) und hat die Entwicklung der EU seit dem Beitritt von Österreich vor 30 Jahren hautnah miterlebt. Wir haben ihn zum Interview getroffen.

SALZBURG24: Österreich gehört seit 1995 zur Europäischen Union und ist damals gemeinsam mit Finnland und Schweden beigetreten. In der Zeit waren Sie gerade noch Klubobmann der Salzburger ÖVP, ehe Sie dann 1996 Landeshauptmann von Salzburg geworden sind. Wie haben Sie die Zeit des EU-Beitritts, aber auch die Zeit der Volksabstimmung 1994 erlebt?

FRANZ SCHAUSBERGER: Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, weil ich als Klubobmann im Salzburger Landtag in den Werdungsprozess des Beitrittes sehr stark involviert war und weil es doch eine sehr heftige Debatte rund um die Bundesländer gegeben hat. Die Länder hatten ursprünglich große Sorge, dass der EU-Beitritt gewisse Gestaltungsmöglichkeiten wegnehmen könnte. Und auch deshalb haben wir sehr darum gekämpft, dass wir innerhalb Österreichs ein entsprechendes Mitspracherecht bekommen, sowohl was den Beitritt, als auch was dann später die Politikgestaltung betrifft.

Es wurde also viel diskutiert und viel verhandelt bis es letztendlich für die Länder tatsächlich akzeptabel wurde. Und schließlich waren es dann auch die Länder, die sehr dafür eingetreten sind, dass wir der EU beitreten. Ohne dieses starke Engagement und die Unterstützung seitens der Bundesländer hätten wir nie diese Zweidrittelmehrheit bekommen, weil die Leute doch sehr stark auch auf die regionalen Politiker gehört haben. Das ist das, an was ich mich noch sehr gut erinnern kann.

Sie haben es gerade gesagt, 66 Prozent haben damals dafür gestimmt. Wie hat sich die Einstellung der Menschen zur EU in den letzten 30 Jahren in Ihrer Wahrnehmung verändert?

Es gibt die Generationen, die den EU-Beitritt voll miterlebt hat und dann gibt die Generation, die nach 1995 auf die Welt gekommen ist und für die ist alles, was die EU an Positivem gebracht hat, selbstverständlich. Und alles, was selbstverständlich ist, wird dann nicht mehr so positiv bewertet. Jene, die den Beitritt miterlebt haben, vergessen mitunter wiederum sehr schnell wie es vorher war. Ich sage immer, als wir früher in der Studienzeit nach Italien oder nach Frankreich gefahren sind und einen Wein mitgebracht haben, dann haben wir bei jeder Grenze gezittert, ob wir erwischt und bestraft werden. Weil wir natürlich ein paar Flaschen zu viel mitgehabt haben. Heute rührt das keinen Menschen mehr, man fährt einfach über die Grenze.

Aber ich sage auch, ja, es gibt eine ganze Reihe kritischer Punkte. Doch Kritik alleine ist zu wenig. Man sollte auch immer gleich dazu sagen, wie es besser gehen könnte.

Sie haben also das Gefühl, die Meinung über die EU ist heute nicht mehr die allerbeste?

Ich glaube, dass die Zugehörigkeit zur Europäischen Union von der Mehrheit der Bevölkerung durchaus bejaht wird. Es kommen jetzt aber sehr viele extreme Kräfte dazu – sei es links oder rechts – die den Leuten vermeintliche Lösungen versprechen, die nicht umsetzbar sind. Auf der einen Seite plakatieren die Kommunisten „Wohnen statt Kanonen“. Gleichzeitig hat die EU aber keine Kompetenzen im Bereich Wohnen. Das ist Sache der nationalen Gesetzgebung, Sache der Länder. Und auf der anderen Seite hört man die Rufe „Ausländer raus!“. Das geht einfach gar nicht.

Ich kann nur an die Menschen appellieren, vernünftig zu denken. Und ich glaube auch, dass die Mehrheit der Leute das tut, sie keinen Radikalismus, sondern eine solide Politik wollen.

In ganz Europa ist ein Erstarken extrem rechter Parteien zu beobachten, viele Experten rechnen auch mit einer Zunahme im Europa-Parlament. Macht ihnen das Sorge, wenn Sie an die Zeit vor 90 bis 95 Jahren zurückdenken?

Grundsätzlich sind historische Perioden nicht eins zu eins vergleichbar. Ich bin der Meinung, dass wir deshalb in der Gefahr sind, in eine ähnliche Richtung zu gehen, weil wir mit einer Radikalisierung der Sprache konfrontiert sind und eine Radikalisierung dieser immer zur Tat führt.

Das sehen wir jetzt in Deutschland und das beobachte ich mit großer Sorge. Wir haben lange Perioden gehabt, wo der Diskurs, wo die Diskussion, die Auseinandersetzung hart, aber fair geführt worden ist. Jetzt wird nicht mehr das Wort ausgetauscht, sondern zugestochen.

Aber wissen Sie, wenn ich lese, dass zum Beispiel bei Umfragen junge Leute sagen, wozu gehe ich zur Wahl, ich habe eh die Möglichkeit über die Social Media etc. meine Meinung kundzutun, dann geht das in eine völlig falsche Richtung. Wahlen sind dazu da, dass man seine politische Meinung kundtut und nicht über irgendeine Social Media. Und das macht mich sehr nachdenklich.

Da müssten die konstruktiven Kräfte im politischen Spektrum viel aktiver und auch selbstbewusster werden. Man hat manchmal das Gefühl, dass die Mitte – von Mitte rechts bis Mitte links – keine wirkliche Kraft mehr hat. Das ist sehr gefährlich.

Zurück zur Europäischen Union. Wie hat diese sich in den letzten 30 Jahren in ihrem Selbstverständnis weiterentwickelt und wo sehen Sie die kritischen Punkte?

Die Europäische Union ist in vielen Bereichen stärker und selbstbewusster geworden. Aber letztendlich muss man auch sagen, die EU ist eben nur so stark, soweit es ihre Mitgliedstaaten zulassen. Das heißt, wenn in der EU zunehmend auch Regierungen am Werk sind, die EU-skeptisch oder überhaupt EU-ablehnend sind, dann wird auch die EU schwächer. Dann wird blockiert, es werden Abstimmungen verschoben, verzögert und so weiter. Und das wirkt sich so aus, dass die Leute dann den Eindruck haben, dass nichts weitergeht. Nach dieser Wahl muss meiner Meinung nach in diesem Bereich intensiv über Reformen nachgedacht werden.

Der zweite Punkt betrifft ein Grundprinzip der Europäischen Union, das Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dass alles, was auf der jeweils unteren Ebene gut gemacht werden kann, auch dort gemacht werden soll. Und nur dann, wenn es dort nicht gut geht, geht man auf die nächste Ebene. Im Laufe der Zeit sind viele Bereiche entstanden, bei denen diese Zuständigkeit nicht ganz geklärt sind. Und daher kommt es dazu, dass die Europäische Union in manchen kleinen Detailbereichen Regularien hinausgibt, die bei den Leuten einfach nicht akzeptiert werden.

Als Drittes kommt dazu, dass vieles von der Grundidee gut, aber in der konkreten Durchführung verbesserungswürdig ist. Ich nenne da nur das Lieferkettengesetz als Beispiel. Damit verärgere ich schlussendlich die Kleinen. Auch deswegen ist es wichtig, dass die Leute von der EU direkt mit den betroffenen Unternehmern reden und sich vor Ort die Praxis anschauen.

Was bedeutet die EU für Sie?

Im Großen gesehen ist die EU natürlich nach wie vor das Friedensprojekt. Wir haben in Europa und am Rande von Europa zwei Kriege und wir haben aber seit Jahrzehnten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, der Europäischen Union, Frieden. Und das müssen wir schon sehen. Das Zweite ist natürlich die Wirtschaftsunion, die ist ganz entscheidend, denn der einzelne Staat würde überhaupt nicht wettbewerbsfähig sein. Es bedrängt uns China, es bedrängt uns Amerika und es bedrängen uns andere asiatische Staaten wie Indien etc. Und da können wir nur bestehen, wenn wir eine starke Wirtschaftsgemeinschaft sind.

Und das Dritte ist die politische Gemeinschaft. Ich bin der Meinung, dass wenn wir diese gemeinsame politische Plattform nicht hätten, wären wir den großen Mächten als Einzelstaaten ausgeliefert.

Wie wird Salzburg in der EU wahrgenommen und welche Vorteile zieht Salzburg ganz konkret aus der Österreichischen Mitgliedschaft?

Ursprünglich war es so, dass Verantwortliche in der Europäischen Kommission Regionalpolitiker gar nicht empfangen haben. Das hat sich inzwischen völlig gewandelt. Unsere Landespolitiker können heute jederzeit zu den Kommissaren in der Europäischen Union fahren und ihre Anliegen vorbringen und man versucht auch ihnen entsprechend zu helfen.

Wir zahlen ungefähr 35 Millionen Euro pro Jahr nach Brüssel, bekommen aber ein Vielfaches zurück. Es sind oftmals zwar nur kleine Beträge, die aber ein Projekt draußen in einer Gemeinde oder in einem Bezirk überhaupt erst ermöglichen. Das sind Projekte im Sozialbereich, im Natur- und Umweltschutzbereich oder im Bildungsbereich – und es gab viel Geld für den Internetausbau.

Außerdem könnten viele der Kulturdenkmäler gar nicht wiederhergestellt werden, wenn die Europäische Union da nicht entsprechend dabei wäre. Das wissen viele Menschen nicht und ich würde mir wünschen, dass das auch mehr kommuniziert würde.

Welche Themen sind Ihrer Meinung nach die drängendsten, die die EU angehen sollte?

Ich habe es schon angedeutet. Ich glaube die nächste Periode wird eine ganz entscheidende für entsprechende Reformen innerhalb der Europäischen Union sein. Dann halte ich es wirklich für notwendig, dass eine gute Vorgangsweise im Bereich der Migration gefunden wird. Man muss darüber sachlich diskutieren können, ohne ins rechtsextreme Eck gestellt zu werden.

Dann muss weiterhin die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU gestärkt werden. Und da gehört auch eine Entbürokratisierung, für die Unternehmen und auch für die Landwirte dazu.

Und das dritte ist eine Klimapolitik, die unbedingt notwendig ist mit der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in Einklang zu bringen. Hier braucht es beides und muss man einen konstruktiven und vernünftigen Weg finden.

In weiterer Folge müssen wir natürlich das Thema Sicherheit – auch im Zusammenhang mit der Ukraine – angehen. Da wird man halt schauen müssen, wie weit kann die Europäische Union selbst für ihre Sicherheit sorgen.

Und dann würde ich auch sagen, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, müssen wir in der nächsten Periode in der Frage der Erweiterung weiterkommen. Die Länder, die wir schon über Jahrzehnte hinhalten, werden sich sonst von uns abwenden. Hier müssen wir unbedingt einen Weg finden.

Und zum Abschluss: Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft der Europäischen Union aus?

Ich wünsche mir, dass in den 27 Mitgliedstaaten der EU positive und demokratische Regierungen an der Macht sind und dass man innerhalb der Europäischen Union bei allen Konflikten immer eine gemeinsame Lösung findet, damit wir den Menschen, die in der Europäischen Union leben, auch in Zukunft Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand garantieren können.

Franz Schausberger ist seit 1996 Mitglied im Ausschuss der Regionen der EU (AdR). Von 2004 bis 2006 war er Vorsitzender der Kommission für Konstitutionelle Angelegenheiten und Regieren in Europa des AdR, seit Jänner 2006 ist er Vizepräsident der Europäischen Volkspartei (EVP) im Ausschuss der Regionen. Mehrfach war er Vorsitzender der Arbeitsgruppe Westbalkan des AdR. Im Oktober 2016 wurde er von der EU-Kommission zum Sonderberater für EU-Erweiterungsländer, insbesondere den Balkan und die Ukraine, bestellt. 2020 wurde er erneut zum Sonderberater von EU-Kommissar Johannes Hahn bestellt.

(Quelle: salzburg24)

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