Die Verhandlungen für eine Dreierkoalition von ÖVP, SPÖ und NEOS im Bund sind geplatzt. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger erklärte am Freitag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Wien, dass ihre Partei aussteigt. Am Vortag hatten die drei Parteivorsitzenden bis in die Nacht verhandelt. ÖVP und SPÖ wollen nun zu zweit weiterverhandeln.
Kein Durchbruch bei Verhandlungen
Meinl-Reisinger erklärte davor bei ihrem Presseauftritt, sie habe Nehammer und Babler sowie Bundespräsidenten Van der Bellen Freitagfrüh von der Entscheidung, die Verhandlungen zu verlassen, informiert. Vorausgegangen sei die Erkenntnis, dass kein Durchbruch mit "Schwarz-Rot" erzielt werden konnte. Für grundsätzliche Reformen habe es diese Woche mehrfach ein Nein gegeben.
Die NEOS vermissten zuletzt in den Verhandlungen bei mehreren Projekten Reformwillen - von Pensionen bis zu Föderalismusreform im Sinne von Kompetenzänderungen zwischen Bund und Ländern. Der Entschluss, aus den Verhandlungen auszusteigen, sei am Donnerstagabend in der pinken Steuerungsgruppe einstimmig gefallen, erfuhr die APA.
Wie es weitergeht ist nun unklar. Theoretisch könnte die ÖVP mit der SPÖ koalieren. Oder sie holen als dritten Partner die Grünen dazu. Klappt das nicht, besteht die Möglichkeit, sich doch mit der FPÖ in Koalitionsgespräche zu begeben oder Neuwahlen auszurufen.
"In letzten Tagen Rückschritte statt Fortschritte"
Die NEOS seien nicht naiv in die Verhandlungen gegangen und hätten sich bis zuletzt um Kompromissvorschläge bemüht, betonte Meinl-Reisinger. Aber in den letzten Tagen sei der Eindruck entstanden, dass in zentralen Fragen "leider nicht nur keine Fortschritte, sondern eigentliche Rückschritte gemacht wurden". Wieder einmal werde nur bis zum nächsten Wahltag gedacht und zum Schluss stehe ein Abtausch wie "auf einem Bazar", kritisierte die NEOS-Chefin.
Sie sprach von "Kurzsichtigkeit", ohne mit Schuldzuweisungen konkreter zu werden. Sie sage nicht, dass bei den anderen Parteien keine Ambitionen für Reformen vorhanden gewesen seien, "aber zu oft gab es ein mildes Lächeln uns gegenüber". Als notwendige große Reformbereiche nannte sie einmal mehr eine Föderalismusreform, eine Reform der Finanzierung des Gesundheitswesens, der Pensionssystems und eine Beschränkung des Einfluss der Parteien.
Namentlicher Dank an Nehammer, nicht an Babler
Namentlich dankte Meinl-Reisinger nur den Vertretern der ÖVP, Bundeskanzler Karl Nehammer und Klubobmann August Wöginger, denen sie auch den Willen zu Reformen und den Blick über den Tellerrand zuerkannte. In Bezug auf die SPÖ zeigte die pinke Parteichefin Verständnis, dass der Weg für die Sozialdemokratie in vielen Bereichen weiter sei, appellierte aber an die "staatspolitische Verantwortung, den Standort nicht aus dem Blick zu lassen".
ÖVP und SPÖ habe sie versichert, dass man weiter konstruktiv die Hand reichen werde und das bisher am Verhandlungstisch Erreichte auch im Parlament unterstützen werde, betonte Meinl-Reisinger. "Wir haben Schwarz-Rot eine klare Reformagenda hinterlassen am Verhandlungstisch.
ÖVP, SPÖ und NEOS hatten seit Mitte November über die Bildung einer gemeinsamen Dreierkoalition verhandelt. Knackpunkt war dabei von Anfang an das Thema Budget und Steuern - verschärft durch den großen Konsolidierungsbedarf. Unklar ist, wie es bei der Regierungsbildung jetzt weitergeht. Am Donnerstagabend hatte es noch geheißen, dass die Verhandlungen auf Chefebene am Freitagnachmittag fortgesetzt werden.
ÖVP sieht Schuld bei SPÖ
Die ÖVP reagierte am Freitag mit einer Schuldzuweisung an die SPÖ. "Das Verhalten von Teilen der SPÖ hat zur aktuellen Situation geführt", meinte Generalsekretär Christian Stocker in einer Aussendung. "Während sich Teile der Sozialdemokratie konstruktiv eingebracht haben, haben in den letzten Tagen die rückwärtsgewandten Kräfte in der SPÖ überhandgenommen", so Stocker. Nötig seien nachhaltige Veränderungen und Reformen, um Beschäftigung und Wohlstand zu halten, die Pensionen abzusichern sowie Sicherheit und klare Regeln in der Integration durchzusetzen. Offen ließ er, wie die ÖVP nun weiter zu tun gedenkt. ÖVP und SPÖ kommen gemeinsam im Nationalrat auf eine hauchdünne Mehrheit von einem Mandat Überhang. Sie könnten nun versuchen, eine Zweierkoalition zu bilden oder die Grünen als dritten Partner dazunehmen.
SPÖ kritisiert mangelnde Flexibilität bei NEOS
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim hat im Ö1-"Mittagsjournal" die Schuld unterdessen von sich gewiesen. Die NEOS hätten versucht, mit ihren neun Prozent der Wählerstimmen 100 Prozent ihres Wahlprogramms durchzubringen. "Offensichtlich haben sie jetzt gemerkt, dass ihnen das Ganze eine Nummer zu groß geworden ist." Deshalb seien sie vom Verhandlungstisch aufgestanden, so Seltenheim. Nach Gesprächen u.a. mit der ÖVP und dem Bundespräsidenten werde das SPÖ-Präsidium beraten, wie mit der neuen Situation umgegangen wird.
Der geschäftsführende oberösterreichische SPÖ-Vorsitzende Alois Stöger kritisierte gegenüber dem ORF Radio Oberösterreich, dass sich die NEOS bei Themen wie Erbschafts- oder Vermögenssteuern nicht bewegt hätten. Er hält es für möglich, die Grünen wieder in die Verhandlungen einzubeziehen, das müsse nun aber die ÖVP entscheiden.
Doskozil rechnet mit Expertenregierung und Neuwahl
Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), der in zwei Wochen eine Landtagswahl zu schlagen hat, rechnet nach dem Aus der Koalitionsgespräche mit einer Expertenregierung und dann mit einer Neuwahl. Für die SPÖ sieht er aufgrund des historisch schlechtesten Abschneidens beim Urnengang im September weiterhin keinen Regierungsauftrag. Andere rote Ländervertreter teilen diese Meinung nicht.
Man sollte nun also auch nicht damit liebäugeln, eine türkis-rote Regierung mit einem Mandat Überhang zu bilden, befand Doskozil: "Das wäre ein Schildbürgerstreich." Doskozil ging am Freitag im APA-Gespräch nicht davon aus, dass die FPÖ nun mit der ÖVP das Budget sanieren will. Auch würden die Freiheitlichen bei einer etwaigen Neuwahl mit weiteren Zugewinnen rechnen.
Grüne warten ab
Abwartend und gleichzeitig kritisch äußerten sich die Grünen, die alternativ ein potenzieller Partner einer Dreier-Koalition mit ÖVP und SPÖ wären. Bundessprecher Werner Kogler schrieb auf Social-Media-Kanälen, dass Volkspartei, Sozialdemokraten und NEOS nun erklären müssten, warum sie die Republik monatelang warten ließen und dann nichts zustande brächten: "Nach Sand im Getriebe und gegenseitigem Abputzen sehen wir jetzt eine Flucht aus der Verantwortung. Ein Schauspiel, das weiterer Aufklärung bedarf."Alle verhandelnden Parteien müssten sich jetzt erklären, meinte Kogler: "Das ist eine Notwendigkeit, bevor nächste Schritte gemacht werden können."
FPÖ fordert Nehammers Rücktritt
Die FPÖ warnte am Freitag vor einer neuen Dreier-Variante und forderte den umgehenden Rücktritt von Nehammer. "Nehammer muss sich umgehend zu den Vorgängen äußern. Er verursacht stündlich größeren Schaden", so der freiheitliche Generalsekretär Michael Schnedlitz.
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(Quelle: apa)