Mediziner im Interview

Corona und mögliche Langzeitfolgen fürs Immunsystem

Veröffentlicht: 01. August 2024 16:44 Uhr
Das Coronavirus ist wieder in aller Munde. In vielen Fällen gehe es zwar weniger um die Schwere der akuten Verläufe, dafür um die Langzeitfolgen auch durch Neuansteckungen. Wir haben mit dem Immunologen Richard Greil über die aktuelle Covid-Lage in Salzburg sowie mögliche Folgen der Erkrankung auf das Immunsystem gesprochen. Auch mehr als vier Jahre nach Beginn der Pandemie sei es "keine Infektion wie jede andere".
  1. Unterschied zwischen Long-Covid und Post-Covid
  2. Über 200 unterschiedliche Symptome
  3. Studie zeigt Langzeitveränderungen im Immunsystem
  4. Salzburger Immunologe Richard Greil im Interview

In Österreich zeigt das Abwasser-Monitoring in den vergangenen Wochen wieder einen Anstieg der Viruslast – zwar weit unter den Zahlen früherer Wellen, aber auch in den Arztpraxen werden die Corona-Fälle wieder mehr. Außerdem liegen die Fallzahlen laut aktuellen Abwasserwerten bereits auf deutlich höherem Niveau als im August des Vorjahres. Fachleute drängen angesichts Re-Infektionen und den daraus resultierenden möglichen Langzeitfolgen darauf, dass mit Booster-Impfungen für Risikogruppen für den Herbst vorgesorgt wird. Als Risikogruppe gelten ältere Menschen und jene mit Grunderkrankungen sowie Krebs- und Transplantationspatient:innen.

Corona-Infektionen meistens nicht mehr akut

Zwar gehe es Expert:innen zufolge mittlerweile in vielen Fällen – dank der Impfung und einer durch die Infektionen erworbenen Immunität der Bevölkerung – weniger um die Schwere der akuten Verläufe. Das Risiko von Langzeitfolgen bestehe aber bei jeder neuerlichen Ansteckung, auch nach leichten Verläufen.

Long-Covid beginnt in der Regel früh nach der akuten Infektion, während Post-Covid Symptome beschreibt, die über einen längeren Zeitraum (drei Monate oder mehr) anhalten.

Zahlreiche Symptome für Post-Covid

Das Post-Covid-Syndrom umfasst über 200 Symptome mit variierender Ausprägung, darunter Durchblutungsstörungen, Fatigue (Ermüdungs- bzw. Erschöpfungszustände), Konzentrationsprobleme (auch als "brainfog" bekannt, Anm.), Sehkraftveränderungen und erektile Dysfunktion. Weitere Symptome betreffen den Magen-Darm-Trakt, mit möglichen Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfällen oder Verstopfungen. Und es kann zu Schäden an der Bauchspeicheldrüse kommen, die Diabetes auslösen. Das Herz kann ebenfalls betroffen sein. Auch Störungen der Mitochondrien werden als mögliche Folge betrachtet. Betroffene bilden eine sehr heterogene Patientengruppe mit unterschiedlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen im Alltag, die Forschenden zufolge individuell behandelt werden müssen.

Unklar sei für die Wissenschaft derzeit, ob bestimmte Personengruppen ein besonderes Risiko für Langzeitschäden haben. Klar sei, dass Frauen häufiger von post-infektiösen Erkrankungen betroffen sind als Männer.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der MedUni Wien zeigt, dass SARS-CoV-2-Infektionen zu erheblichen Langzeitveränderungen im Körper führen, selbst bei milden Krankheitsverläufen. Wissenschafter:innen stellten eine deutliche Verringerung von Immunzellen im Blut von Genesenen fest, was auf ein möglicherweise weniger optimal reagierendes Immunsystem hinweist. Untersucht wurden kurz nach Beginn der Pandemie insgesamt 133 Covid-19-Genesene und 98 nicht infizierte Personen – alle ungeimpft. Zehn Monate nach der Erkrankung wurden neben dem Rückgang von Immunzellen auch ein Abfall von SARS-CoV-2-spezifischen Antikörpern und Veränderungen der Wachstumsfaktormuster im Blut festgestellt, was eine Erklärung für Long-Covid sein könnte.

Salzburger Immunologe Richard Greil im Interview

SALZBURG24: Und wie steht’s um die Corona-Lage an den Salzburger Landeskliniken?

RICHARD GREIL: Wir haben die Situation, dass wir im Moment die ersten Infektionen bei schwer immunkompromittierten Patienten haben. Das ist noch nicht dramatisch, aber wir sehen bei den Patienten, die transplantiert sind, also immunologische oder solide Tumorerkrankungen haben, wieder einen beginnenden Behandlungsbedarf.

In Hinblick auf das Spital selbst ist es so, dass wir zunächst einmal im Moment keine wesentliche Zunahme der Krankenstände vom Pflegepersonal bemerken. Es gibt bei den Ärzten vielleicht eine geringe Veränderung nach oben, aber es ist derzeit noch keine dramatische Entwicklung. Aber es ist ganz klar, dass es eine deutliche Zunahme geben wird und dass wir vor der beginnenden Herbstwelle stehen, in anderen Ländern ist es schon die Sommerwelle. Der Höhepunkt wird wahrscheinlich heuer etwas früher sein – man kann annehmen, so um den Oktober herum. Und es ist daher sinnvoll, wenn sich die Menschen im September impfen lassen. Der angepasste Impfstoff sollte in den nächsten Wochen überall verfügbar sein.

Im Moment sind die Zahlen natürlich alle nicht wahnsinnig verlässlich, weil das ja keine meldepflichtige Erkrankung mehr ist, da in den meisten Fällen auch keine Testung mehr stattfindet.

Wie bewerten Sie die Situation? Wünschen Sie sich Maßnahmen wie die Maskenpflicht zurück?

Das hat mehrere Komponenten. Die erste ist die gesetzliche Basis, die ja aufgehoben wurde. Nachdem es keine meldepflichte Erkrankung mehr ist, gibt es die generellen Vorsichtsmaßen für die Allgemeinheit in Wirklichkeit nicht mehr. Der zweite Punkt sind die Tests und das werden wir bei steigenden Infektionen bemerken. Wir testen in der Medizin III alle Patienten mit PCR auf Covid und machen das gleiche ab Herbst mit der Influenza und RSV, weil wir uns weder eine massive Bettenreduktion oder Krankheit des Personals noch der Patienten, geschweige denn Ansteckungen im Spital leisten können. Von daher gilt für die Medizin III eine andere Regelung, die wir entsprechend an die Notwendigkeiten adaptieren, die gegeben sind.

Die generelle Situation ist aber so, dass die Patienten in einem sehr viel höheren Ausmaß selber sorgfaltspflichtig sind. Das heißt, die Patienten, die immunsupprimiert sind oder die über 60 Jahre alt sind, die Diabetes oder rheumatologische Erkrankungen oder auch Nierenschäden und all die bekannten Risikofaktoren haben, sollten sich in jedem Fall impfen lassen. Und sie sollten darauf schauen, dass die Erwachsenen in ihrem Umfeld auch geimpft werden. Sie müssen vorsichtig sein, wenn die Infektionswelle anrollt und Menschen aus dem Umfeld besser vorerst meiden, wenn diese verkühlt sind oder andere Symptome haben, die für eine Covid-Infektion sprechen.

Wenn eine deutliche Einschränkung im Hinblick auf die Immunkompetenz besteht, dann wird es auch klug sein, wenn diese Menschen zu Beginn wieder Masken tragen – in ihrem eigenen Interesse. Das wird nicht ganz einfach sein, weil natürlich die Stigmatisierung, die damit verbunden ist, inzwischen wahrscheinlich sehr hoch ist. Aber zum eigenen Schutz sind die Menschen gut beraten, das für sich selbst zu tun und dass die Familienmitglieder auf andere aufpassen.

Es ist auch wichtig, dass Menschen mit Atemwegsinfektionen, die jetzt nicht mehr getestet werden – auch wenn sie in Heimen oder im Krankenhaus arbeiten – die Patienten nicht belasten. Wenn sie schwere Symptome haben, sollten sie zu Hause bleiben. Das ist natürlich schwierig, weil wir wenig Personal haben. Auf der anderen Seite ist es jedoch noch schlechter, wenn wir dann große Infektionswellen haben. Aber noch ist es nicht so weit, noch läuft es relativ gut. Aber es ist sicher wichtig, dass die Menschen anfangen, sich zu fragen, wo kann ich mich impfen lassen und dann auch entsprechend zur Impfung gehen.

Da es nun eine zusätzliche Infektionsform gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass im Herbst und Winter mehr Infektionen hintereinander auftreten, deutlich an, da unser Immunsystem viel stärker mit Infektionen der Atemwege beschäftigt sein wird. Wenn beim Patienten solche Infektionen hintereinander auftreten, ist das Immunsystem eine ganz schön lange Zeit damit beschäftigt. Das erhöht zugleich das Risiko für bakterielle Infektionen.

Stichwort Immunsystem: Eine Studie von der MedUni Wien hat zuletzt Langzeitveränderungen nach einer Covid-Infektion festgestellt. Können Sie die Erkenntnisse bestätigen?

Das ist zunächst nicht überraschend, weil die SARS-CoV-2-Infektionen – vor allem in den ersten Wellen mit der Wuhan- und der Delta-Variante – extrem schwere und hochentzündungsauslösende Infektionen gewesen sind, die mit vielen Begleiterkrankungen verbunden waren, die das Immunsystem und die Entzündungswerte im menschlichen Körper beeinflussen. Dass das mittelfristig eine Bedeutung haben kann, ist klar.

Wenn eine Immunreaktion entwickelt wird, es also eine neue Infektion ist, die der Körper noch nicht kennt, dann muss sich die Immunität erst entwickeln. Dafür braucht es dann eine in sehr kurzer Zeit erfolgende massive Erhöhung der Zahl der Abwehrzellen, die spezifisch für dieses Virus sind. Und damit ist das Immunsystem normal ordentlich beschäftigt, weil es eine riesige Zahl von Abwehrzellen produzieren muss, die mit dieser Infektion zurechtkommen können. Wenn die erste Infektion mit dem Virus sehr stark gewesen ist, können etwa Gürtelrose oder Lippen-Herpes entstehen. Das alles sind Zeichen dafür, dass das Immunsystem nicht in der vollen Breite reagieren kann, sondern nur hochspezialisiert auf das, was primär vorhanden ist.

Wir wissen, dass die Patienten, die etwa bei der ersten Infektion eine starke Reaktion gehabt haben und schwer krank geworden sind, bei einer Reinfektion wieder den gleichen Schweregrad entwickeln, während diejenigen, die eine leichte Infektion ursprünglich oder einen leichten Schweregrad hatten, typischerweise bei einer Wiederinfektion auch kein besonders schweres Krankheitsbild entwickeln. Die individuellen Immunsysteme machen auch die Reaktionen auf die Krankheit so unterschiedlich.

Und dann gibt es noch Long- und Post-Covid.

Genau. Was man schon auch beachten muss, ist, dass es nach wie vor eine beträchtliche Anzahl von Patienten mit Long-Covid-Syndromen gibt. Man muss damit rechnen, dass Long-Covid unterschiedlich lange dauert und ein kleinerer Teil dieser Menschen hat dann wirklich schwere und langanhaltende Symptome. Das ist in dieser Häufigkeit neu. Es ist keine Infektion wie jede andere. Und wir wissen noch gar nicht, was alles noch an langfristigen Konsequenzen aufkommen wird.

Die Dunkelziffer dürfte ja recht hoch sein, weil nicht jede:r mit etwa schwächeren Symptomen zum Hausarzt bzw. zur Hausärztin geht.

Ja, natürlich. Zum einen ist die subjektive Empfindlichkeit unterschiedlich, zum anderen ist die Abklärung zur Diagnosestellung sehr schwierig. Die Symptome können hochgradig unterschiedlich sein. Ein Problem ist, dass personalbedingt in den meisten Ordinationen dafür zu wenig Zeit zur Verfügung steht.

Heißt das im Umkehrschluss, dass auch mehr medizinische Einrichtungen ihre Behandlungsmöglichkeiten ausgebaut werden müssten, weil es ja in den kommenden Jahren einen steigenden Bedarf geben dürfte?

Damit ist zu rechnen. In Deutschland und den USA gibt es milliardenschwere Programme für die Erforschung und der Therapieentwicklung für Long-Covid. Ich muss allerdings klar sagen, dass es jetzt noch keine Evidenzen gibt, wie man neue Medikamente oder neue Therapieverfahren gegen das Long-Covid-Syndrom entwickeln kann. Und derzeit gibt es keine effiziente medikamentöse Therapie.

Gibt es denn überhaupt die Möglichkeit, dass sich das Immunsystem trotz Langzeitveränderungen wiederherstellen kann?

Dafür gibt es eigentlich keine ausreichenden Langzeituntersuchungen. Man muss sagen, die Covid-Infektion ist in Wirklichkeit aus den Spitälern verschwunden, sodass es natürlich auch schwierig ist, zu diesem Thema zu forschen und auch es wenig Geld für diese Form der Forschung gibt. Also wissen wir eigentlich weniger, sehr viel weniger, als uns recht wäre. Der Aufwand wäre auch recht hoch. Man müsste Menschen über viele Jahre hinweg entsprechend beobachten, die Krankengeschichte erfassen, komplizierte Blutentzüge machen und dazu muss man ganz eindeutig sagen, dafür gibt es in der Regelversorgung kein Geld und kein Forschungsprogramm.

Der Erkenntnisgrad ist aber wie gesagt sehr schwierig, weil die Corona-Erkrankung in der allgemeinen Bevölkerung derzeit untergeht.

Danke für das Gespräch.

(Quelle: salzburg24)

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