„Queer sein ist doch bloß ein Trend“: So oder so ähnlich heißt es häufig in den sozialen Medien. Wie viel an dieser Aussage dran ist, hat uns Andreas Brunner, Leiter des Zentrums für queere Geschichte in Wien, erklärt. Er war im Rahmen des Pride Festivals Salzburg in der Mozartstadt zu Besuch. Kurz gesagt: Gar nichts ist dran, queere Menschen, also Menschen, deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nicht den traditionellen heteronormativen oder binären Vorstellungen entspricht, gab es schon immer. Ganz so einfach ist die Sache dann aber doch nicht. Denn dafür, dass der Eindruck einer Modeerscheinung entsteht, gibt es Gründe – und die liegen nicht nur in der fernen Vergangenheit, sondern auch im heutigen Blick auf und den Umgang mit Geschichte.
Belege für queeres Leben in der Geschichte nur aus „herrschenden Schichten“
Früher sei Queerness oft verschwiegen worden oder es habe schlichtweg keine Begriffe dafür gegeben, stellt Brunner zunächst im Gespräch mit SALZBURG24 fest. Belege gebe es für queere Menschen aus der Elite, den „herrschenden Schichten“. Barockkaiser Karl VI. etwa „würden wir heute als bisexuell bezeichnen“, so Brunner. Auch das queere Leben von Erzherzog Ludwig Viktor von Österreich, der 1861 nach Salzburg zog und 1919 in Kleßheim verstarb, ist vergleichsweise gut dokumentiert: Es gibt Zeitungsberichte, die sich unterschwellig über den Kaiserbruder lustig machten sowie Tagebucheinträge, die von der Sexualität Ludwig Viktors berichten. Akzeptiert war diese nur, solange sie kein Aufsehen erregte: Wegen Skandalen und Gerede rund um den Adeligen habe ihn Kaiser Franz Joseph I. quasi nach Salzburg „verbannt“, berichtet Brunner.
Wie viele Menschen in der Geschichte tatsächlich queer waren und wie sie gelebt haben, darüber wisse man so gut wie nichts. Zudem seien die Begrifflichkeiten, die wir heute für Menschen der LGBTQIA*-Community haben, für historische Personen wohl oft nicht passend. Der Begriff der Homosexualität beispielsweise ist sehr jung, er stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. „Es ist einfach nicht klar, wie sich diese Menschen heute definieren würden“, führt Brunner aus. Immer wieder hätten sich etwa Frauen als Männer „verkleidet“ und seien dem Militär beigetreten. Nicht ohne Risiko: Während es für manche von ihnen kaum Konsequenzen hatte, wurden andere hingerichtet. Ob diese sich heute in irgendeiner Form als queer identifizieren würden? Erfahren werden wir das wohl nie. Überhaupt werde Sexualität erst seit dem 19. Jahrhundert als „eigenes Merkmal“, als Teil der eigenen Identität verstanden, erklärt der Historiker. Damals sei die gleichgeschlechtliche Liebe erstmals in der Wissenschaft, vor allem der Psychologie, zum Thema gemacht worden.
Akten über homosexuelle NS-Opfer in Salzburg vernichtet
Es geht aber nicht nur um die wenigen Quellen für queeres Leben in der Geschichte und die schwierige Anwendbarkeit moderner Begrifflichkeiten im historischen Kontext. Es geht auch um die Vernichtung und das Verbergen von Belegen. In Salzburg etwa seien noch in den 1990er-Jahren sämtliche NS-Akten, die die Verfolgung von queeren Menschen dokumentierten, entsorgt worden. „Weil sie als nicht von geschichtlichem Wert erachtet wurden“, so Brunner. Für den Historiker bitter: „Generationen an Forschenden hätten sich diese Akten ansehen können.“
Wie es queeren NS-Opfern in Salzburg ergangen ist, kann er sich nun nur ausmalen – anhand von zehn Fällen, die exemplarisch erhalten wurden. In all diesen Fällen hätten die Salzburger Richter im Vergleich zu Richtern in anderen Bundesländern sehr hohe Strafmaße verhängt: „Ich würde deshalb annehmen, dass Gerichte in Salzburg eher strenger entschieden haben.“ Aus Wien wisse man, dass homosexuelle Männer stärker verfolgt wurden als homosexuelle Frauen: Weil man Frauen zum einen keine eigene Sexualität zugestand und sie eine geringere Bedeutung im gesellschaftlichen Leben hatten, zum anderen aber auch, weil man Frauen gegebenenfalls zur Fortpflanzung hätte zwingen können und sie deshalb die Geburtenrate nicht gefährdeten. Ziel seien außerdem vorwiegend Homosexuelle aus sozial unterrepräsentierten Schichten gewesen: „Es war blanke Klassenjustiz.“
Queerness auch in Medien und Geschichtswissenschaften lange Tabu
Und wie sieht es mit der jüngsten Geschichte aus? Mit den vergangenen, sagen wir mal, 50 Jahren? Auch da war es mit der Sichtbarkeit von queeren Menschen so eine Sache, wie Brunner erklärt. Selbst sehr bekannte Personen seien mit ihrer Sexualität erst sehr spät an die Öffentlichkeit gegangen – wenn überhaupt. Wenn sie diesen Schritt machen wollten, sei außerdem unklar gewesen, ob Medien darüber informieren würden: „Journalisten hatten Angst, selbst als homosexuell gebrandmarkt zu werden, wenn sie über sowas berichten.“
Ähnlich sei das bei Historikerinnen und Historikern gewesen: Queere Geschichte wurde teils einfach geleugnet, erzählt der Historiker. Und das, obwohl die Belege oftmals da waren. Rund um Schriftstellerin Adele Schopenhauer habe es etwa ein „richtiges lesbisches Netzwerk“ gegeben, von dem unzählige erhaltene Briefe zeugen würden. „Es wollte einfach niemand hinsehen.“
Von einem Trend zur Queerness könne man also nicht reden, meint Brunner. Nur der öffentliche Umgang mit LGBTQIA*-Themen ändere sich langsam. Es gebe also nur einen Trend heutzutage: Den zu mehr Sichtbarkeit.
(Quelle: salzburg24)