SALZBURG24: Sehr geehrter Herr Erzbischof, wir feiern heute, am 25. Dezember, die Geburt Jesu Christi. Welche Bedeutung hat dieser Tag für Sie?
ERZBISCHOF FRANZ LACKNER: Der Christtag ist nach der Heiligen Nacht, der Tag des Friedens, der Ruhe und der Freude. Er ist anders als die anderen Tage. Das war er schon in meiner Kindheit. Wir haben am Christtag keine Besuche gemacht, sind zu Hause geblieben und haben etwas Besonderes gegessen und gefeiert.
Was gab’s da zum Essen?
Ich komme aus eher armen Verhältnissen und am 25. Dezember hat es bei uns immer Rindfleisch gegeben. Das Fleisch wurde ausnahmsweise gekauft, sonst haben wir am Bauernhof ja selbst produziert.
Weihnachten ist auch ein Familienfest mit Adventkranz, Christbaum und gegenseitigem Beschenken. Gleichzeitig bedeutet Weihnachten für den Handel die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Viele Menschen sind zu dieser Zeit gestresster denn je. Welche grundlegenden christlichen Werte erkennen Sie in der heutigen Tradition eigentlich noch?
Sicherlich ist heute vieles sehr überladen. Aber das ist meiner Meinung nach nicht negativ zu sehen. Man will Schenken, man will Freude machen, man will – mehr als sonst im Jahr – an den anderen denken. Das ist grundsätzlich etwas Gutes. Natürlich bringt es auf der anderen Seite etwas Stress mit sich. Und natürlich ist auch die Gefahr da, dass das Wesentliche in dem ganzen Trubel übersehen wird.
Weihnachten ist ein demütiges, unaufdringliches Fest. Der bleibende Wert besteht darin, dass man in sich gehen und spühren sollte, wo im Herzen bin ich klein? Und wo möchte etwas in mir groß werden? Wie es der Heilige Augustinus sagt, „Geh in dich, du wirst Gott finden, du wirst dich selber finden“. Dafür steht Weihnachten. Sich die Zeit dafür zu nehmen, tut den Menschen gut.
Wenn Sie jemandem, der noch nie etwas von Weihnachten gehört hat, Weihnachten erklären müssten, wie würden Sie das tun?
Meine erste Frage wäre, glaubt derjenige? Ich würde ihm erklären, wie Christen glauben und warum sie glauben. Ich würde ihm sagen, dass Weihnachten das Fest der Christen ist und sie an diesem Tag daran denken, dass Gott Mensch geworden ist und sich Himmel und Erde inniglich berührt haben. Das passierte an einem Ort namens Bethlehem, abseits einer großen Stadt und außerhalb des Zentrums. Daran denken und erinnern wir uns. Für uns gläubige Menschen heißt das, dessen werden wir uns Inne.
Wie verbringen Sie die Weihnachtsfeiertage?
Jetzt wird es langsam ruhig. Weihnachten ist für mich eine Zeit, in der weniger zu tun ist und ich bin mehr zu Hause. Jedes Jahr am Nachmittag des 24. Dezember gibt es im Dom eine Vesper mit schöner Musik und Segen. Anschließend gehe ich mit meiner kleinen Familie – ich lebe mit meinen vier Schwestern, Ordensschwestern und eine weltliche Schwester, zusammen – mit Weihrauch durch das Bischofshaus. Wir beräuchern die Räume, beten und segnen. Danach gibt es ein Abendessen und wir feiern Weihnachten vor dem Christbaum, es wird das Evangelium gelesen und ich spreche ein paar Dankesworte. Vor der Mette um 23.30 Uhr gehe ich meistens noch alleine im Dunkeln durch die Stadt. Zu der Zeit ist die Stadt eigentlich immer sehr leer.
Gibt es einen Platz, einen Ort oder eine Umgebung in Salzburg, abseits der Kirche, wo Sie ganz bei sich sein können und sich richtig wohl fühlen?
Um ehrlich zu sein, ich bin noch suchend. Ich gehe viel durch die Stadt. Der Ort ist momentan für mich das Gehen, denn ich habe immer die gleiche Strecke. Aber ich suche schon einen Platz, wo ich mich hinsetzen und auf die Stadt schauen kann. Zum Beispiel im Sommer oben am Mönchsberg. Das könnte ich mir gut vorstellen, aber diesen Platz habe ich bisher noch nicht wirklich gefunden.
Fühlen Sie sich wohl in Salzburg?
Ja. Ich bin dankbar, dass ich hier sein darf.
Das Jahr 2016 war sehr ereignisreich und bewegend. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Jahr?
Ein Bild hat sich tief in mir eingegraben. Das kann ich nicht vergessen und ich will es auch nicht vergessen: Ein kleiner Bub, der aus dem zerbombten Elternhaus in Aleppo herausgetragen worden ist. Wie er da sitzt auf einem roten Plastiksessel, von Staub bedeckt. Er weint nicht, er schreit nicht, was für ein Kind ganz ungewöhnlich ist. Er schaut und wischt sich über den Kopf, sieht das Blut, aber er schreit noch immer nicht. Man möchte fast sagen, schrei, sag was oder weine.
Ich fühle mich von diesem kleinen Buben angeschaut und ich frage im Stillen, was ist das nur für eine Welt, was macht ihr Großen mit dieser Welt? In diesem Buben sehe ich die Tragik, die in diesen Gegenden, die biblische Gegenden sind, stattfindet. Und die viele Not und das Töten. Wie jetzt Berlin: Menschen sind versammelt, trinken am Abend Punsch,unterhalten sich und dann kommt der Tod in Form eines Lastwagens.
In diesem Jahr bin ich 60 Jahre alt geworden, so alt fühl ich mich gar nicht. Ich war einen Monat lang auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, bin 900 Kilometer zu Fuß gegangen und habe in Massenschlafsälen übernachtet. Das war schön und schwer zugleich. Es war ein Zurückschauen, Danke sagen für das Leben, das mir geschenkt worden ist, und für die Berufung. Denn ich bin gerne Priester, das habe ich nie bereut.
In der Bevölkerung ist nicht zuletzt bedingt durch die Kriege, die Flüchtlingskrise und den immer näher rückenden Terrorismus sehr viel Verunsicherung und Orientierungslosigkeit zu spüren. Es passiert viel Brutales und Böses auf dieser Welt. Da fragt man sich, warum lässt Gott das überhaupt zu?
Das ist eine uralte Frage, die es gibt, seit es Menschen gibt. Warum müssen Kinder sterben? Warum müssen Unschuldige Rechnungen bezahlen, für die sie nichts können? Die letzte Antwort wird man nicht geben können. Warum Gott das Böse zulässt? Ich weiß es nicht.
Man kann sich hier nur an eine mögliche Antwort herantasten. Ich will es versuchen: Das Böse ist bodenlos, es hat sich verselbstständigt, losgelöst von einem tieferen Grund. Ohne Orientierung an einer Ordnung oder guten Prinzipien. Eine Lüge, die Verkehrung der Wahrheit. Diese Möglichkeit der Verdrehung, die gibt es. Ich sehe hier eine gewisse Ohnmacht Gottes. Das tragische im Leben und im Glauben. Aber wir können etwas tun. Nämlich fragen wie wir helfen können und was mit vielen kleinen Schritten bewirken. Gott ist hier auf der Seite der Schwachen und des Einzelnen.
Ich zitiere sehr gerne Blaise Pascal: „dass das ganze Unglück der Menschen aus einem einzigen Umstand herrühre, nämlich dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.“
Menschen sind oft unzufrieden sind strebend unterwegs, am Ziel ihrer Wünsche aber unzufrieden. Das Böse ist grundlos, darin liegt das Schreckliche. Der Hoffende ist getragen, am Ende steht Zufriedenheit.
Mich hat einmal ein junger Mensch gefragt, wie ich mir den Himmel vorstelle. Ich habe darauf geantwortet: Es gibt eine letzte Instanz, es gibt eine letzte Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit triumphiert nicht über das Gerechte. Letztlich wird jedem Gerechtigkeit zugesprochen werden. Das ist für mich Himmel. Und dafür bin ich Gott unendlich dankbar.
Kann es das Gute auch ohne das Böse geben?
Ja. Das Gute kann es schon ohne das Böse geben. Aber das Böse kann es nicht ohne das Gute geben. Manche sagen ja, es braucht das Böse, damit das Gute gut ist. Das stimmt nicht. Ich brauche nicht die Lüge, um die Wahrheit zu erkennen. Ein plakatives Beispiel: Man muss nicht Falschgeld kennen, um das richtige Geld zu kennen. Es reicht, wenn man das richtige kennt. Und so ist es auch mit Wahrheit und Lüge. Die Lüge hat keinen eigenen Grund, sie kann erst nur aufgrund der Wahrheit Lüge sein – umgekehrt geht das nicht.
Die Erzdiözese Salzburg hat in diesem Jahr den Zukunftsprozess gestartet. Was genau passiert da?
Wir wollen uns Zeit nehmen und über wichtige Weichenstellungen nachdenken: Wie bleiben wir als Kirche zukunftsfähig? Wissen wir, was die Menschen heute brauchen, was sie bewegt? Diesen Fragen stellen wir uns in diesem Prozess, der bis 2018 angesetzt ist.
Wie wird das passieren?
Der Prozess läuft seit Pfingsten. Vier Prinzipien sind genannt. Erstens soll es ein geistlicher Prozess sein - Stichworte- Gebet, Glaube. Zweitens: Impulse von Außen annehmen. Der Glaube ist zutiefst allianzfähig. Wir versuchen Allianzen in vielen Bereichen des Lebens zu finden: Sport, Schule, Kunst und Kultur, Umwelt… Drittens: Handeln! Glaube der nur glaubt und nichts tut, ist kein Glaube.
Viertens stellen wir uns auch der Ressourcenfrage: Wie gehen wir damit um? Gerade das Ehrenamt darf man nicht überfordern. Nach diesen vier Prinzipien wurde der Zukunftsprozess, an dem sich jede und jeder in der Erzdiözese Salzburg beteiligen kann, aufgesetzt.
Mit welchen Wünschen gehen Sie ins neue Jahr?
Ich wünsche der Weltgemeinschaft Frieden. Dass Krieg und Verbrechen aufhören, das ist mein ganz großer Wunsch und meine Bitte an Gott.
Und hier bei uns wünsche ich den Menschen, die oft den Frieden im Herzen nicht spüren, diese Zufriedenheit wieder zu finden. Jeder einzelne Mensch auf dieser Welt ist einzigartig und einmalig. So einen Menschen hat es noch nie gegeben und wird es auch nicht mehr geben. Diese Schönheit (wieder-) zu entdecken, das wünsche ich uns allen von ganzem Herzen.
Jesus sagt: „Ich gebe euch einen Frieden, den die Welt nicht geben kann“.
Ich möchte unser Gespräch noch mit ein paar persönlichen und Entweder-Oder-Fragen abschließen. Ihren Lieblingsplatz in Salzburg suchen Sie ja noch, was ist eigentlich Ihr Lieblingsessen?
Alles was mit Reis zu tun hat und Fisch und Meeresfrüchte.
Ihr derzeitiges Lieblingsbuch?
Im Moment ist das ganz schwierig zu beantworten. Seit ich in Salzburg bin, fehlt mir die Ruhe zum lesen. Mein absolutes Lieblingsbuch ist „Der Idiot“, ein Christusroman von Dostojewski.
Christkind oder Weihnachtsmann? Christkind
Würstlsuppe oder Weihnachtsgans? Würstlsuppe
Bar oder mit Karte zahlen? Ich zahle selten, wenn dann bar.
Treppe oder Aufzug? An sich Treppe, aber in letzter Zeit bin ich ein bisschen faul geworden. Da gehe ich nur runter.
Berg oder Strand? Berg
Herr Erzbischof, ich bedanke mich ganz herzlich für das vertraute Gespräch und wünschen Ihnen frohe Weihnachten.
Gesegnete Weihnachten.
Mit Erzbischof Franz Lackner schließen wir unseren Sonntags-Talk für dieses Jahr ab. Die Interview-Reihe wird im neuen Jahr fortgesetzt. Wir freuen uns über eure Vorschläge an: nicole.schuchter@salzburg24.at
Die gesamte Redaktion von SALZBURG24 wünscht euch besinnliche Weihnachtsfeiertage.
(Quelle: salzburg24)