„Aber was ist mit…?“ Diese Worte fallen häufig in Diskussionen. Besonders, wenn von Missständen die Rede ist. Wird etwa von Gewalt gegen Frauen berichtet, wird in der Kommentarspalte eindringlich darauf hingewiesen, dass doch auch Männer Gewalt erleben. Dieser Einwurf mag zwar stimmen, das Thema ist jedoch ein anderes. Ein klassischer Fall von „Whataboutism“ (Was-ist-mit-ismus). Dabei handelt es sich um einen strategischen Themenwechsel, um unliebsamen Themen oder vernichtenden Argumenten auszuweichen.
Trump macht es vor
Vor allem online erlebt dieses Phänomen momentan Auftrieb. Und auch Politiker bedienen sich gerne dieser Gesprächsstrategie. Vorgemacht hat es Ex-US-Präsident Donald Trump. Angesprochen auf den Zuwachs in der gewaltbereiten rechten Szene entgegnete er „Und was ist mit Linksextremismus?“.
Impfpflicht, Klima, Gendern und Co
Scheinargumente wie dieses dürften den Meisten angesichts der Zeit in der wir leben bekannt vorkommen. Stoff für Debatten gibt es momentan wirklich zur Genüge. Ist eine Impfpflicht sinnvoll oder doch ein Eingriff in die persönliche Freiheit? Ist Windkraft der Schlüssel zu grüner Energie oder doch eine Todesfalle für Vögel? Kann Gendern Gleichberechtigung bringen oder wird so doch nur die Sprache verschandelt?
Zeitalter der Diskussionen
Auf all diese Fragen gibt es die gegensätzlichsten Antworten und es scheint, jeder hätte seine endgültige Meinung dazu schon längst getroffen. Laut Judith Kölblinger, Lehrende des Masterlehrgangs für interpersonelle Kommunikation an der Universität Salzburg, ist das ein markantes Merkmal unserer Zeit. „In der heutigen Zeit wird viel mehr debattiert und diskutiert als früher. Und zwar zu Themen, bei denen es oft komplett entgegengesetzte Meinungen gibt, die nicht miteinander zu vereinbaren sind“, erklärt die Kommunikationstrainerin.
Themenwechsel aus Erklärungsnot
Angeregt diskutieren ist nicht per se etwas Schlechtes, wie Kölblinger erklärt. „Es ist wichtig, sich untereinander auszutauschen und auch Einblicke in andere Ansichten oder Meinungen zu bekommen.“ Dasselbe gilt auch für solch beabsichtigte Themenwechsel. „Einen neuen Aspekt zu beleuchten, kann auf jeden Fall förderlich sein, wenn man eine sinnvolle Diskussion führen möchte“, so die Expertin. Anders sieht es dagegen aus, wenn man mangels Argumenten von der Streitfrage ablenkt.
"Whataboutism" – Ablenkung als Strategie
„Im Grunde versucht ‚Whataboutism‘ aufzuzeigen, dass ein Unrecht aufgrund eines anderen Unrechtes gar kein Unrecht sein kann“, erklärt Kölblinger. Das würde Probleme und Missstände relativieren und gezielt unwichtig erscheinen lassen. So auch bei Gewalt an Frauen. „Natürlich erfahren auch Männer Gewalt, aber das macht Angriffe auf Frauen nicht weniger präsent.“
Zurück zum Thema
Wie kann man also auf solche Ablenkungen reagieren? „Es kann helfen, dem Gegenüber zuzustimmen, aber auch klarzumachen, dass das zwar ein wichtiger Punkt, aber in dieser Hinsicht nicht relevant ist“, erklärt die Kommunikationstrainerin. "Man könnte zum Beispiel sagen: 'Stimmt, es gibt auch Gewalt gegen Männer. Das ist auch ein wichtiges Thema. Wir sprechen jetzt aber über Gewalt gegen Frauen'." Das A und O bei jedem Gespräch, ob Debatte oder Smalltalk, sei ohnehin Zuhören und ein gewisses Maß an Akzeptanz. „Bevor man aber scheinbar unpassende Einwürfe von Grund auf verurteilt, sollte man diese zumindest gehört und verstanden haben,“ betont Kölbling.
Man müsse aber auch akzeptieren, dass sich nicht jede Debatte zufriedenstellend auflösen lässt, wie Kölblinger betont. „Weigert sich der Gesprächspartner auf Argumente auch nur im Mindesten einzugehen, ist es keine Niederlage, das Gespräch zu beenden. Kommunikation kann man lernen, aber man muss schon dazu bereit sein.“
(Quelle: salzburg24)