Dass der eben erst pensionierte ORF-Moderator für die Sozialdemokraten ins Rennen geht, war Montagabend durchgesickert. Eigentlich hatte man zumindest in der Parteizentrale geplant, den prominenten Neueinstieg möglichst bis zu den Sitzungen von Präsidium und Vorstand am Donnerstag unter der Decke zu halten. Da die Katze aber nun schon einmal aus dem Sack war, bestätigte Parteichef Faymann noch Montagabend, dass man mit Freund plane.
Ohne den Parteigremien vorgreifen zu wollen, würdigte er die internationale Erfahrung des langjährigen US-Korrespondenten und stellte ihn in die Reihe großer österreichischer Erklärer neben Hugo Portisch. In seiner Partei wollte Faymann am Dienstag niemand widersprechen. Der Kanzler habe "den besten Quereinsteiger" gewonnen, jubelte etwa Salzburgs SPÖ-Chef Walter Steidl. Vorarlbergs Landesvorsitzender Michael Ritsch wischte allfällige Bedenken vom Tisch: "Es ist nicht wichtig, woher jemand kommt, sondern ob er das Geschäft versteht."
Auch im Burgenland, in Nieder- und Oberösterreich sowie in Tirol signalisierten die Landesorganisationen, mit dem früheren ORF-Mann gut leben zu können. Gleichzeitig meldete man aber auch eigene Begehrlichkeiten an. Die Niederösterreicher bestehen darauf, dass Karin Kadenbach wieder ihr Mandat bekommt, die Oberösterreicher wollen nämliches für Josef Weidenholzer, und der burgenländische Landeshauptmann Niessl (SPÖ) beharrte am Dienstag darauf, dass nun auch einmal seine starke Landespartei mit einem guten Listenplatz an der Reihe wäre. Bescheidener sind die Tiroler, die eine Kandidatin auf Platz sechs sehen wollen.
Bisher verfügt die SPÖ über fünf Sitze im Europaparlament. Einer davon könnte durchaus wackeln, wenn Freund die Sozialdemokraten nicht vor einem weiteren Absacken bewahrt, denn für Österreich ist bei dieser Wahl ein Mandat weniger reserviert als beim letzten Urnengang. Insofern sind vor allem die Listenplätze eins bis vier von Interesse. Hinter Freund dürfte Evelyn Regner gereiht sein. Ihr Wiedereinzug wurde den sozialdemokratischen Gewerkschaftern dem Vernehmen nach zugesichert.
Platz drei könnte an den bisherigen Delegationsleiter Jörg Leichtfried gehen, zumindest dann, wenn es sich Faymann mit den steirischen Roten nicht endgültig verscherzen will. Die Landespartei wollte bis zu den Parteigremien keine Stellungnahme abgeben. Leichtfried selbst ging bloß vage davon aus, dass die SPÖ ein "gutes Team" stellen werde. Ob Freund statt ihm Delegationsleiter werden soll, ließ er offen.
Ebenfalls auf einen sicheren Platz spitzen die Wiener, da Hannes Swoboda nicht mehr antritt, Regner als Gewerkschaftskandidatin und Freund als Kärntner zählt. Chancen auf einen sicheren Listenplatz werden Michaela Kauer, Leiterin des Wien-Büros in Brüssel, eingeräumt. Bekäme sie tatsächlich Platz vier, blieben für die Kandidaten aus Nieder- und Oberösterreich bzw. aus dem Burgenland bloß noch Kampfmandate, wenn Leichtfried nicht übergangen wird.
Keine Antrittsblumen für Freund gab es seitens der anderen Parteien. ÖVP-Spitzenkandidat Karas sieht in ihm einen "Neuling in der Politik ohne Erfahrung", dessen Kandidatur nichts am Ziel der Volkspartei ändere, wieder Erste zu werden. Der freiheitliche Listenerste Mölzer prophezeite der SPÖ, dass die Bestellung Freunds "nicht das bringen wird, was sich manche erhoffen" und die Grüne Nummer eins, Ulrike Lunacek, sieht derzeit nicht, was Freunds Kandidatur auf die Grünen Chancen für Einfluss haben könnte. Der fraktionslose Abgeordnete Martin Ehrenhauser forderte neue "ORF-Verhaltensregeln" mit einer Abkühlphase für ehemalige Journalisten, bevor sie in die Politik gehen.
Freund selbst hatte davor gemeint, kein schlechtes Gewissen zu haben. Denn Kanzler Faymann habe bei ihm erst am Dreikönigstag angefragt und da sei er schon nicht mehr im ORF tätig gewesen, so der ehemalige "ZiB"-Moderator, der sich zu Silvester von den Fernsehzusehern verabschiedet hatte.
(Quelle: salzburg24)