"Nach dem Lissabon-Vertrag ist es so, dass das Parlament auf Vorschlag des Rats der Staats- und Regierungschefs den Kommissionspräsidenten wählt und dass dabei der Rat den Ausgang der Wahl berücksichtigt", sagte Merkel der "Rheinischen Post". Die Spitzenkandidaten der Parteienfamilien in Europa würden in diesem Zusammenhang aber "natürlich eine Rolle spielen".
Bisher wurde das Amt von den EU-Staats- und Regierungschefs im Alleingang besetzt. Die Wahlen zum Europaparlament am 25. Mai werden aber nun erstmals nach den Regeln des EU-Vertrags von Lissabon abgehalten. Dieser legt fest, dass die Staats- und Regierungschefs dem EU-Parlament einen Kommissionschef zur Wahl vorschlagen. Dabei sollen sie den Ausgang der Europawahl berücksichtigen.
Aufgrund dieser Klausel - aber auch um den Wahlkampf angesichts stetig sinkender Wahlbeteiligung bei den vorherigen Europawahlen lebhafter und interessanter zu machen - stellen die großen europäischen Parteienfamilien erstmals europaweite Spitzenkandidaten auf. Die pochen nun darauf, dass der Nachfolger von EU-Kommissionspräsident Barroso aus ihrem Kreis kommt. Die beiden aussichtsreichsten Anwärter sind der Sozialdemokrat Schulz und der auch von Merkel unterstützte Kandidat der konservativen Europäischen Volkspartei, Juncker.
Es wird jedoch seit Monaten darüber spekuliert, dass Merkel und ihre Kollegen nach der Wahl einen eigenen Kandidaten für die Führung der mächtigen Behörde vorschlagen könnten. In dem Interview mit der "Rheinischen Post" schloss die Kanzlerin dies nicht aus: "Wir haben eine klare vertragliche Grundlage, mit der der Europäische Rat dem Europäischen Parlament seinen Vorschlag für den nächsten Kommissionspräsidenten machen wird."
SPD-Chef Gabriel hat Merkel bereits eindringlich gewarnt, es wäre "die größte Volksverdummungsaktion in der Geschichte der Europäischen Union", sollte der Rat nicht einen der Spitzenkandidaten für die Kommissionsspitze vorschlagen. "Wer das nicht akzeptiert, verübt einen Anschlag auf die europäische Demokratie", sagte Schulz am Donnerstag im ersten TV-Wahlduell mit Juncker.
"Im Vertrag steht, dass dem Ergebnis der Europawahl Rechnung zu tragen ist", betonte auch der frühere luxemburgische Regierungschef Juncker. Wenn die Staats- und Regierungschefs dem nicht folgten, lösten sie eine "europäische Demokratiekrise" aus und riskierten, dass bei der nächsten Europawahl "noch weniger Menschen zur Wahl gehen".
(Quelle: salzburg24)