In Österreich machten sowohl Bundeskanzler Faymann als auch Vizekanzler Spindelegger am Montag klar, dass Juncker neuer EU-Kommissionspräsident werden sollte. Aus Sicht des Kanzlers ist "der Wählerwille klar und den sollte man ernst nehmen". Angesichts des Wahlergebnisses in Europa "kann es nur einen geben und das ist Jean-Claude Juncker", betonte Spindelegger.
Vor dem Abendessen der Staats- und Regierungschefs am Dienstagabend in Brüssel hatte der EU-Ratspräsident Van Rompuy bereits die Erwartungen gedämpft. Van Rompuy erklärte in seinem Einladungsschreiben, dass noch keine definitive Entscheidung über den nächsten EU-Kommissionspräsidenten anstehe. "Es wird zu früh sein, um über Namen zu entscheiden", heißt es in seinem Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs. Diplomaten zufolge sollte Van Rompuy aber vom EU-Gipfel beauftragt werden, in Verhandlungen mit dem Europaparlament einzutreten. Eine Entscheidung könnte dann im Juni fallen.
Der EU-Kommissionspräsident muss nach dem Vertrag von Lissabon vom EU-Parlament mit absoluter Mehrheit gewählt werden. Grundlage ist ein Vorschlag des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs, der das Ergebnis der Europawahl zu berücksichtigen hat.
Die deutsche Kanzlerin Merkel äußerte sich am Montag abwartend zu den Aussichten des EVP-Spitzenkandidaten auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Juncker selbst sagte, eine Entscheidung über den Kommissionschef müsse nicht einstimmig beim EU-Gipfel fallen, sondern könnte auch mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen werden. Dies wäre ein Novum in der Geschichte der Gemeinschaft, denn bisher wurde bei der Besetzung des Brüsseler Spitzenpostens kein Land überstimmt. Großbritannien und Ungarn verfügen zusammen nicht über genug Stimmen, um eine Entscheidung zu blockieren.
Juncker gab sich ansonsten zurückhaltend vor dem EU-Gipfel. Er bekräftigte sein im Wahlkampf gemachtes Angebot, Großbritannien in der EU entgegenzukommen. Man werde sich "aktiv und offensiv mit den britischen Besonderheiten auseinandersetzen" müssen, sagte er. Cameron werde seine Wünsche in verständlicher Form vorlegen.
Die Nominierung des EU-Kommissionspräsidenten beschäftigt am Dienstag die Fraktionschefs des EU-Parlaments und die Parteichefs der Sozial- und Christdemokraten, die in Brüssel zu Sitzungen zusammenkommen. Am Nachmittag wird auch Faymann bei den europäischen Sozialdemokraten erwartet, Spindelegger nimmt am EVP-Treffen vor dem EU-Gipfel teil.
Am Wahlabend hatte auch der sozialdemokratische Spitzenkandidat und amtierende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz angekündigt, für den Posten des Kommissionschefs kämpfen zu wollen. S&D-Fraktionschef Hannes Swoboda räumte allerdings den Konservativen den Vortritt ein. Die Grüne Fraktionschefin im EU-Parlament, Rebecca Harms, legte sich nicht darauf fest, dass der Spitzenkandidat der stärksten Partei nächster Kommissionspräsident werden muss. Es sollte "einer der Spitzenkandidaten des Wahlkampfs sein", so Harms.
Ein Kenner der EU-Diplomatie hält Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi für einen möglichen Fallstrick für die Bestellung des konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker zum Kommissionschef. Dessen Partei Forza Italia könnte im EU-Parlament Juncker die Unterstützung entziehen und seine Mehrheit gefährden, sagte Poul Skytte Christoffersen am Montag in Brüssel. Nach den Berlusconi-Mandataren könnten auch weitere Abgeordnete von Juncker abrücken und damit seine Kandidatur gefährden.
(Quelle: salzburg24)