Die Behörden in der Hauptstadt Kiew teilten am Abend mit, dass etwa 185 Demonstranten ärztlich versorgt werden müssten. 135 Verletzte der Sicherheitskräfte würden derzeit in Krankenhäusern behandelt, teilte das Innenministerium mit. Die Polizei gab die Zahl der Toten in den eigenen Reihen mit sechs an.
Regierungsproteste in mehreren Städten
Mindestens zwei Demonstranten und zwei Polizisten seien jeweils durch Schüsse getötet worden, sagte ein Polizeisprecher der Agentur Interfax. Die Opposition machte Mitglieder der berüchtigten Polizei-Spezialeinheit Berkut (Steinadler) für die Angriffe auf Regierungsgegner verantwortlich. Im Internet kursierten Fotos von einem Priester, der drei mit Papier bedeckte Körper segnete.
Das Innenministerium hatte kurz vor Beginn des abendlichen Einsatzes die noch zu Tausenden versammelten Regierungsgegner zum Verlassen des Platzes aufgefordert. Es folge eine "Anti-Terror-Operation", hieß es. Die Oppositionsführung rief Frauen und Kinder in ihren Reihen auf, den Platz zu verlassen. Die Parlamentsabgeordneten wurden zu einer Dringlichkeitssitzung am späten Dienstagabend zusammengerufen.
Auch in anderen ukrainischen Städten versammelten sich Regierungsgegner zu Protesten. Die Entwicklung löste international Besorgnis aus. Bereits im Vormonat waren bei Ausschreitungen mehrere Menschen in Kiew ums Leben gekommen.
Ultimatum der Regierung in Kiew abgelaufen
Am Abend war ein Ultimatum der Staatsmacht zur Räumung des Maidan abgelaufen. Die ukrainische Protestbewegung wollte den seit November besetzten Platz nicht freigeben. "Wir sind hier auf dem Maidan und geben ihnen nicht die Möglichkeit, ihn zu säubern", sagte Oppositionspolitiker Vitali Klitschko vor dem abendlichen Einsatz der Polizei.
Am Abend traf er mit Präsident Viktor Janukowitsch zu weiteren Gesprächen zusammen. Es dürfe zu keinem weiteren Blutvergießen kommen, forderte Klitschko. Die ukrainische Justiz gab ihm die Schuld an den blutigen Straßenschlachten. "Für jeden Verletzten, für jedes angezündete Auto und zerschlagene Fenster werden die Organisatoren der Massenunruhen die Verantwortung übernehmen müssen", teilte Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka mit.
Kritischer Fernsehsender abgeschaltet
Im Ganzen Land war der Regierungskritische Fernsehsender 5 Kanal abgeschaltet, wie Agenturen meldeten. Das bestätigte auch ein Bericht in der "Zeit online" vom Dienstagabend.
Die Ukraine wird seit Monaten von einem Machtkampf gelähmt. Die Opposition protestiert gegen Janukowitsch, seit der Präsident auf Druck Russlands ein weitreichendes Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis gelegt hatte. Die Opposition verlangt Neuwahlen und eine neue Verfassung, die die Vollmachten des Präsidenten erheblich zugunsten des Parlaments beschneidet.
Regierungsgegner besetzten nach Polizeiangaben erneut Verwaltungsgebäude in Kiew. Sie stürmten den Sitz der Regionalregierung und das Polizeirevier in Lemberg (Lwiw).
"Alle vom Gesetz erlaubten Mittel"
Der ukrainische Geheimdienst SBU und das Innenministerium hatten den Regierungsgegnern ein Ultimatum für ein Ende der Gewalt bis Dienstag 18 Uhr Ortszeit (17 Uhr MEZ) gestellt. Sonst würden "alle vom Gesetz erlaubten Mittel" eingesetzt, um das Chaos zu beenden, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung der Behörden.
Die ukrainische Führung forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Gewalt von Regierungsgegnern zu verurteilen. "Radikale Kräfte haben in Kiew und anderen Städten der Ukraine einen neuen, durch nichts zu rechtfertigenden Ausbruch von Gewalt und Gesetzlosigkeit initiiert", zitierten Medien den amtierenden Außenminister Leonid Koschara.
Internationale Bestürzung über Eskalation
International löst die Entwicklung in der Ukraine große Besorgnis aus. Über den Kurznachrichtendienst "Twitter" verurteilte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) die Gewalt "zur Gänze" und bedauerte den Tod von Zivilisten und Sicherheitskräften. "Jeder trägt die Verantwortung für eine friedliche und gewaltfreie Lösung."
Die USA zeigten sich "entsetzt" über die Gewalt, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon rief zum Dialog auf. Auch EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und der Schweizer Außenminister und OSZE-Vorsitzende Didier Burkhalter zeigten sich "besorgt".
Mehrere europäische Politiker verurteilten die Eskalation aufs Schärfste, darunter Schwedens Außenminister Carl Bildt. Dieser ließ auf "Twitter" wissen, dass die EU nicht zögern werde, Maßnahmen gegen Personen zu ergreifen, die für Repression und Gewalt in der Ukraine verantwortlich seien. Auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) drohte mit Sanktionen gegen Einzelpersonen.
"Ein blutiger Diktator tötet sein Volk"
Der polnische Regierungschef Donald Tusk warnte in Warschau "Wir werden weiter für eine Verständigung in der Ukraine arbeiten, denn ein Bürgerkrieg von größerem oder kleinerem Ausmaß oder ein permanenter Konflikt ist weder für die Ukraine noch für die Sicherheit der Region gut." Die Eskalation der Gewalt kann nach Ansicht des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski nicht ohne Konsequenzen bleiben. Polen verfolge die Entwicklung in dem Nachbarland genau, sagte er am Dienstagabend im Nachrichtensender "TVN24". Ähnlich wie zuvor bereits Regierungschef Donald Tusk sprach Sikorski von Sanktionen, die nicht nur Symbolwert haben sollten.
Die Opposition in der Ukraine fordert seit längerem Einreiseverbote in die EU für Regierungsmitglieder oder Kontensperrungen. Die EU hat das bisher abgelehnt. Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko forderte den Westen zur Intervention auf. Die Spitzen demokratischer Staaten dürften nicht tatenlos zusehen, "wie ein blutiger Diktator sein Volk tötet", sagte Klitschko einer Mitteilung seiner Partei Udar (Schlag) zufolge am Dienstagabend. (APA)
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(Quelle: salzburg24)