Der sperrige Begriff EU-Renaturierungsgesetz bedeutet "Verordnung über die Wiederherstellung der Natur". Heißt: Alle zerstörten Ökosysteme in der EU sollen bis 2050 wiederhergestellt oder im Wiederherstellungsprozess sein.
Was bedeutet das EU-Gesetz für Österreich?
Für verschiedene Ökosysteme wurden im Verordnungsentwurf verbindliche Ziele festgelegt:
- Feuchtgebiete, Wälder, Graslandschaften, Flüsse und Seen: Verbesserung und Wiederherstellung biodiverser Lebensräume.
- Insektenpopulationen: Umkehr des Rückgangs von Bestäubern bis 2030.
- Städtische Ökosysteme: Kein Nettoverlust an städtischen Grünflächen bis 2030, mit einer Erhöhung der Grünflächen bis 2040 und 2050.
- Agrarökosysteme: Erhöhung der Populationen von Schmetterlingen und Vögeln auf landwirtschaftlichen Flächen, Verbesserung der organischen Kohlenstoffvorräte in Böden.
Die EU-Mitgliedsstaaten – so auch Österreich – müssen innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung nationale Renaturierungspläne vorlegen. Die Europäische Umweltagentur übernimmt dann die regelmäßige Überwachung und Berichterstattung, wie dem Verordnungsentwurf zu entnehmen ist. Jeder in die Renaturierung investierte Euro bringt laut Wirtschaftsprognose der Europäischen Union einen Nutzen zwischen 4 und 38 Euro, was neue Arbeitsplätze im Bereich der grünen Wirtschaft und nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken umfasse.
Kritik an EU-Vorhaben von ÖVP und FPÖ
Massive Kritik am EU-Renaturierungsgesetz kommt in Österreich von ÖVP, FPÖ und den Interessenverbänden aus Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei. Befürchtet werden neben gravierenden Einschnitten in ihre Arbeit auch mögliche Enteignungen und Engpässe bei der Ernährungssicherheit sowie mehr Bürokratie.
Was ist mit Ernährungssicherheit?
Vor allem letzter Punkt ist Gegnerinnen und Gegnern ein Dorn im Auge. Die Ernährungssicherheit sei im EU-Renaturierungsgesetz als "zentrales Ziel der Verordnung definiert", stellt das Umweltbundesamt klar. Eine Studie des Joint Research Center der EU-Kommission kommt zu dem Schluss, dass sich die Ernährungssicherheit verbessert. Die Wiederherstellung geschädigter und übernutzter Ökosysteme sei "eine Versicherung, um die langfristige Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit unserer Lebensmittelsysteme sicherzustellen".
Wissenschaftliche Studien und Fachleute argumentieren, dass die Wiederherstellung von Ökosystemen die langfristige Stabilität und Produktivität der Landwirtschaft unterstützt, indem sie die Bodenqualität und Wasserverfügbarkeit verbessert und vor extremen Wetterereignissen schützt, die die Ernteerträge bedrohen könnten. Bei einem "unvorhersehbaren, außergewöhnlichen und unprovozierten Ereignis mit schwerwiegenden unionsweiten Folgen für die Verfügbarkeit von Flächen" könne die Renaturierungsverordnung zudem vorübergehend ausgesetzt werden, heißt es in einem Bericht des Magazins Politico.
Befürchtete Enteignungen
Führen Naturschutzmaßnahmen zwangsläufig zu Enteignungen? Zwar sollen landwirtschaftliche Flächen laut Renaturierungsgesetz naturnäher bewirtschaftet, keinesfalls aber stillgelegt werden. Die Verordnung ziele "nicht darauf ab, die landwirtschaftliche Bodennutzung einzustellen". Vielmehr soll es Förderungen und finanzielle Anreize geben, "sich freiwillig an solchen Verfahren beteiligen". Dass manche Flächen stillgelegt werden, sehen ohnehin bereits viele laufende Förder- und Naturschutzprogramme vor, führt "Der Standard" aus. Der Umweltorganisation WWF zufolge müssten für die Erreichung der Ziele eher "zubetonierte Flächen entsiegelt und dafür Wälder naturnah gestaltet oder Moore wiedervernässt" werden – und "nicht auf Ackerflächen zurückgegriffen werden".
Renaturierungsgesetz führt zu Koalitionskrach
Das EU-Renaturierungsgesetz ist Teil des European Green Deal sowie der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 und wurde im Sommer 2022 von der Europäischen Kommission vorgeschlagen. Einigen konnten sich die EU-Staaten und das EU-Parlament im November 2023. Danach musste der Kompromiss sowohl vom EU-Parlament als auch von den EU-Staaten abgesegnet werden, um in Kraft treten zu können. Das EU-Parlament stimmte mit knapper Mehrheit im Februar 2024 dafür, die EU-Staaten – genauer genommen die EU-Umweltminister:innen – beschlossen das Gesetz am heutigen Montag. Bis zuletzt war unklar, ob die nötige qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) zustande kommt. Am Ende stimmten Italien, Ungarn, Polen, Finnland und Schweden dagegen. Belgien enthielt sich.
In Österreich führte das EU-Renaturierungsgesetz zum Regierungskrach: Die türkis-grüne Koalition steht auf Messers Schneide. Nachdem Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) im Alleingang dafür stimmte, erklärte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sie kurzerhand als nicht bevollmächtigt und reichte eine Nichtigkeitsklage beim EuGH ein. Das zeigte allerdings keine Wirkung, denn mit der Zustimmung Österreichs durch Gewessler wurde das EU-Gesetz angenommen.
(Quelle: salzburg24)