Das EU-Renaturierungsgesetz ist mit einer knappen Mehrheit im Rat der EU-Staaten angenommen worden. Möglich wurde dies durch die Zustimmung von Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die damit allerdings gegen den Willen ihres Koalitionspartners ÖVP handelte. Das sorgt nun für einen ausgewachsenen Koalitionskrach – dessen Konsequenzen noch nicht vollends absehbar sind.
Kein Ende von türkis-grüner Koalition
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) fand klare Worte zur aktuellen Koalitionskrise: „Wir sind alle Zeuge geworden, wie eine Ministerin der Republik einen Rechtsbruch begangen hat. Die klaren Konsequenzen sind, dass der Rechtsbruch entsprechend geahndet wird.“ Gewessler hätte durch ihr „Ja“ auch innerhalb des Europäischen Rates eine Abstimmung getroffen, die sie so nicht hätte machen dürfen, da sie dazu nicht befugt gewesen sein.
Zudem stellte Nehammer klar, dass er bis zu den Nationalratswahlen am 29. September Bundeskanzler bleiben werde – dies sei auch in Abstimmung mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen beschlossen worden. Verfassungsministerin Edtstadler (ÖVP) sprach dagegen von einer „veritablen Regierungskrise“.
"Die Emotion wäre da" für ein Koalitionsende, aber er habe "die Verantwortung als Bundeskanzler für einen geordneten Weg" bis zur Nationalratswahl zu sorgen, sagte Nehammer vor Journalisten.
Gewessler Amtsmissbrauch vorgeworfen
Für massive Verärgerung bei der ÖVP hatte gesorgt, dass Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) in der Früh gegen den Willen des Koalitionspartners sowie aller Bundesländer mit Ausnahme von Wien und Kärnten im Rat der EU-Staaten für das EU-Renaturierungsgesetz stimmte. Die ÖVP hatte daraufhin angekündigt, eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzubringen und Gewessler wegen Amtsmissbrauchs anzuzeigen. Es bestehe der Verdacht, dass die Grüne Ministerin mit ihrer Zustimmung zur Renaturierungsverordnung "rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt - dies begründet Amtsmissbrauch", begründete dies ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.
Laut Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt, der die Verfassung für die Mitglieder der Bundesregierung auslegt, sei die Ministerin an die ablehnende Stellungnahme der Bundesländer gebunden, so Stocker. Gewessler müsse ihre "Privatgutachten" veröffentlichen, forderte er zudem. Auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler warf Gewessler "Verfassungsbruch" vor und sprach von einer "veritablen Regierungskrise".
Auch wenn die Koalition nun weiterarbeiten will, dürfte der Haussegen nach dem Alleingang Gewesslers auch weiterhin schiefhängen. Zudem droht der Umweltministerin Ungemach im Nationalrat, wo die FPÖ laut Parteichef Herbert Kickl einen Misstrauensantrag gegen sie einbringen will. SPÖ und NEOS hatten die Zustimmung zum Renaturierungsgesetz begrüßt.
„Es besteht der Verdacht, dass Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung zur Renaturierungsverordnung rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt – dies begründet Amtsmissbrauch“, führte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker aus. „Es kann nicht angehen, dass sich Umweltministerin Gewessler mit Privatgutachten über den Verfassungsdienst hinwegsetzt und dadurch die gesetzlichen Bestimmungen missachtet. Es ist daher eine gerichtliche Klärung notwendig - die Volkspartei wird den Sachverhalt an die Gerichte in Form einer Strafanzeige herantragen“, kündigte Stocker an. „Der Zweck heiligt nicht die Mittel: Leonore Gewessler stellt sich über die Verfassung, weil sie es mit ihrer grünen Ideologie nicht vereinbaren kann, gesetzeskonform zu handeln“, kritisierte Stocker weiter. Gewessler stelle wie FPÖ-Chef Herbert Kickl „Ideologie über das Gesetz.“ „Dieses Verhalten wird die Volkspartei nicht akzeptieren."
Gewessler sieht „Sieg für die Natur“
"Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur", sagte hingegen Gewessler in einer ersten schriftlichen Reaktion nach der Abstimmung. "Heute senden wir aus Luxemburg (wo der EU-Umweltrat stattfinden; Anm.) ein Signal - so dürfen wir nicht weitermachen. Unsere Natur hat sich unseren Schutz verdient."
"Mein Gewissen sagt mir unmissverständlich: wenn das gesunde und glückliche Leben künftiger Generationen am Spiel steht, braucht es mutige Entscheidungen. Deshalb habe ich heute für dieses Naturschutzgesetz gestimmt", hielt Gewessler weiter fest. Die Europäische Union stelle sich "geeint hinter den Schutz unserer Lebensgrundlage". Das Renaturierungsgesetz sichere Zukunft: "Wir geben der wunderbaren Artenvielfalt in unserer Heimat den Platz, der ihr zusteht. Wo früher ein lebendiger Bach war, ist heute ein betonierter Kanal. Wo früher eine wilde Blumenwiese war, finden wir heute nur mehr eine Betonwüste."
Rückendeckung von Vizekanzler Kogler
Rückendeckung erhielt Gewessler von ihrem Parteikollegen und Vize-Kanzler Werner Kogler. "Es ist ein historisches Ja zum aktuell weltweit wichtigsten Naturschutzvorhaben", teilte er per Aussendung mit. "Ich danke Leonore Gewessler und dem grünen Team für die Zielstrebigkeit, die Entschlossenheit und den entscheidenden Schritt, der heute gegangen wurde."
Bis zuletzt war unklar, ob die nötige qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) zustande kommt. Am Ende stimmten 20 Länder dafür, deren Bevölkerung in Summe 66,07 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung ausmachen. Hätte Österreich sich also enthalten oder dagegen gestimmt, wäre keine Mehrheit für das EU-Gesetz zustande gekommen. Italien, Ungarn, Polen, Finnland und Schweden stimmten dagegen. Belgien enthielt sich. Nachdem das EU-Parlament bereits für die Verordnung gestimmt hatte, kann das Renaturierungsgesetz im Prinzip nun in Kraft treten.
Uneinigkeit über Renaturierungsgesetz in Österreich
Gewessler hatte bereits am Sonntag verkündet, dass sie am Montag für das Gesetz zur EU-Renaturierung stimmen wird. Beim Koalitionspartner ÖVP sorgte der Alleingang für Unmut. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler drohte rechtliche Konsequenzen an, Kanzler Karl Nehammer schaltete sich ebenfalls ein und erklärte Gewessler als nicht bevollmächtigt. Auch Salzburgs Landesregierung meldete sich zu Wort. Landeshauptmann Wilfried Haslauer sah einen „Affront“ gegenüber den Bundesländern.
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(Quelle: salzburg24)