Das Gremium war von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) nach der Abschiebung von Schülerinnen nach Georgien bzw. Armenien eingesetzt worden. Die Kommission sollte sich mit dem Stellenwert von Kinderrechten und Kindeswohl bei Entscheidungen zum Asyl- und Bleiberecht befassen. Für ihren 400-seitigen Bericht sprach sie unter anderem mit Auskunftspersonen, analysierte Gesetzestexte, wertete Fragebögen aus und sah sich Fälle aus der Vollzugspraxis an.
Zwar ging es dabei in erster Linie um Kinder in Asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren. „Wobei man das nicht ganz loslösen kann von Kindern, die sich als inländische Kinder bei uns befinden. So gesehen waren wir auch mit der Situation von Kindern und Jugendlichen in Österreich ganz allgemein befasst“, erklärt der Leiter des Österreichischen Instituts für Menschenrechte im Interview mit SALZBURG24, der sich auf langjährige wissenschaftliche wie praktische Expertise im Bereich der Kinderrechte stützt.
PDF: Bericht der Kindeswohlkommission vom 13. Juli 2021 (Kurzfassung)
SALZBURG24: Herr Klaushofer, der Abschlussbericht der Kommission umfasst rund 400 Seiten. Was sind die für Sie zentralsten Ergebnisse?
KLAUSHOFER: Das zentrale Ergebnis ist – wenn man es mit einem Satz sagen möchte – dass Kinder als selbstständige Rechtsträger zu wenig wahrgenommen werden. Kinder sind eigene Träger von Rechten und Pflichten. Und das macht sich beispielsweise dann bemerkbar, wie man im Verfahren mit ihnen umgeht und wie man konkrete Entscheidungen über Abschiebungen trifft. Kinder und Jugendliche werden in diesen Verfahren beispielsweise oft nur als Anhängsel zu den Eltern begriffen und das ist sicher ein Defizit.
Die Kommission hat sich vor allem mit Kindern in Asyl- und fremdenrechtlichen Fragen beschäftigt. Ließe sich der Bericht auch so zusammenfassen, dass Kinder, die in Österreich Schutz suchen, weil sie auf der Flucht sind, nicht die gleichen Rechte haben, wie Kinder, die in Österreich geboren sind?
Das zentrale Thema ist vor allem, dass Kinder und Jugendliche ab 14 Jahren, die als Asylsuchende nach Österreich kommen, in einem eigenen System behandelt werden, nämlich im System der Grundversorgung. Und die Leistungen der Grundversorgung sind geringer als jene der gewöhnlichen Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und Jugendliche in der Grundversorgung sind klar schlechter versorgt.
Die unmündigen Minderjährigen, also Kinder unter 14 Jahre, werden in der Praxis der meisten Bundesländer nach den Standards der Kinder und Jugendhilfe, also nach inländischem System behandelt. Bei den Unter-14-Jährigen haben wir also noch am ehesten eine Gleichbehandlung.
Auch Salzburg fährt hier zweigleisig. Während die Jungen im allgemeinen System aufgenommen sind, werden die über 14-Jährigen der Grundversorgung zugeschrieben. Und wir alle wissen, dass der Tagessatz in der Grundversorgung bei weitem geringer ist als das in der Kinder- und Jugendhilfe üblich ist.
Was kann man aus dem Bericht ableiten? Wo sind die größten Brocken zu stemmen?
Das Wichtigste wäre eine Gleichstellung der Leistungen für alle Kinder. Also entweder das Sondersystem der Grundversorgung zumindest mit dem gleichen Leistungsanspruch zu machen oder dieses am besten überhaupt aufzulösen. Denn es ist ja nicht einsichtig, warum man ein solches System betreibt – auch wenn es rechtlich durchaus seine Basis hat. An der faktischen Situation und am Bedarf der Kinder und Jugendlichen gemessen, macht das heute jedoch keinen Sinn mehr.
Und der zweite Punkt betrifft alle Kinder und Jugendliche. Die Jungen müssen mit Ressourcen ausgestattet werden. Das bedeutet, dass die Träger die entsprechenden finanziellen Leistungen brauchen und bekommen müssen. Gleichzeitig sollten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bei den Bezirkshauptmannschaften und Magistraten in einer entsprechenden Anzahl zu Verfügung stehen. Es gibt definitiv ein Mehrbedarf an Ressourcen.
Und was asylsuchende Kinder im Speziellen anbelangt: Sie brauchen Perspektiven nach der Schule. Was machen sie, wenn sich aus dem schulpflichtigen Alter sind? Sie brauchen die Möglichkeit einer Lehre oder eines weiteren Bildungsweges. Wir müssen jedenfalls vermeiden, dass die Jugendlichen perspektiv- und beschäftigungslos sind.
Welche Verantwortung hat der Staat überhaupt, wenn es um Kinderrechte und Kindeswohl geht?
Es gibt einige völkerrechtliche Verpflichtungen, die Österreich eingegangen ist. Seit vielen Jahren gibt es auch ein eigenes Bundesverfassungsrecht für die Rechte von Kindern. Und hier steht drinnen, dass der Staat die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung der Kinder garantiert. Und dabei wird nicht differenziert zwischen inländischen und ausländischen Kindern. Sondern es geht um Kinder und Jugendliche, die sich am Hoheitsgebiet Österreich befinden. Insofern hat der Staat hier durchaus eine große Verantwortung.
Was war eigentlich ihr Beweggrund, der Kommission beizutreten?
Ich habe insofern gleich ja gesagt, als ich gefragt wurde, weil von Anfang an gleich klar war, dass der Bericht von uns völlig unabhängig erstellt werden wird. Wir haben den Bericht dem Justizministerium ja auch erst zeitgleich mit unserer Pressekonferenz zur Verfügung gestellt. Und das war für mich die notwendige Grundbedingung dort mitzuwirken.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft unserer Kinder?
Dass man die weitere Diskussion zu diesem Thema stets vor dem Hintergrund der Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen führt, und nicht vor dem Hintergrund welchen Status sie haben. Also es darf nicht darauf ankommen, woher jemand kommt, sondern es muss um die Frage gehen, welchen Versorgungs- und Unterstützungsbedarf jemand hat.
Das ist mir ein wichtiges Anliegen, wobei ich dazu sagen muss, das zieht sich quer durch unsere Gesellschaft. Wir sollten uns orientieren an dem, was Menschen brauchen.
(Quelle: salzburg24)