US-Präsident Donald Trump stellt Europa vor eine gänzlich neue Lage. Nicht nur im Bereich der Wirtschaft, wo Trump mit Zöllen bestehende Handelsbeziehungen über den Haufen wirft. Auch im Bereich der Sicherheit scheint alles anders, als noch zur Zeit seines Vorgängers Joe Biden. Jahrzehntelang hat die NATO in Europa für Sicherheit gesorgt. Mit einem nun oftmals angekündigten Rückzug der USA steht das Bündnis vor der Gefahr, seine treibende Kraft zu verlieren.
Das lässt seit Jahresbeginn bei vielen Staaten in Europa die Alarmglocken schrillen. Ein möglicher Wegfall der USA aus der NATO müsse schnellstmöglich kompensiert werden, hunderte Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren in die Rüstung fließen. Was das für das neutrale Österreich bedeutet und wie sich das Bundesheer in dieser Zeit aufstellt, darüber haben wir mit dem Salzburger Militärkommandanten Peter Schinnerl gesprochen.
Salzburgs Militärkommandant Peter Schinnerl im Interview
SALZBURG24: Herr Schinnerl, wie ordnen Sie die aktuelle Sicherheitslage in Europa ein – ist die Welt gefährlicher geworden?
PETER SCHINNERL: Aktuell sehen wir einen kompletten Umbruch dieser allgemeinen Sicherheitsstrukturen. Die UNO ist in Wahrheit aktuell handlungsunfähig, weil man bei deren Gründung auf die Großmächte geschaut hat und es jetzt bei einem Konflikt mit Russland zu Blockaden kommt. Man sieht jetzt viel mehr Player in der weltweiten Architektur. Vor allem China erstarkt, aber auch die BRICS-Staaten. Der globale Süden spielt viel mehr eine Rolle und Russland ist wieder da. Verstärkt wird das durch die Politik des neuen US-Präsidenten Trump, der sich ganz bewusst noch viel mehr als seine Vorgänger von Europa abwendet.
Das große Dilemma ist, dass jetzt die brutale Machtprojektion zurück ist und man vom Recht des Stärkeren spricht. Putin und Trump sagen, ich bin stärker und ich mache meinen Willen zu deinem Willen. Sie setzen ihren Willen also mit der Power durch, die sie im Hintergrund haben.
Wie steht es in diesem Zusammenhang um Europa?
Europa ist immer so stark, wie es die einzelnen Staaten untereinander sind. Das Allerwichtigste ist die Geschlossenheit Europas. Und da sieht man, dass Russland gerade versucht, mit verschiedensten Maßnahmen diese zu durchbrechen. Europa ist eine riesengroße Wirtschaftsmacht, aber wir haben auch ein großes militärisches Potenzial. Natürlich sind wir technologisch sehr vom Westen abhängig und wir haben gewisse Schlüsselfähigkeiten nicht. Aber insgesamt, wenn ich mir die Einzelstaaten oder die Einzelmilitärs ansehe, dann ist da ein riesengroßes Potenzial vorhanden.
Wir sehen gerade, dass Europa bei der Verteidigung geeinter auftritt, auch abseits der NATO. Muss sich Österreich hier vielleicht stärker einbringen, als das bislang der Fall war?
Wir sind Mitglied der EU, sind aber neutral. Das ist also, wenn man aus Sicht der militärischen Einbringung spricht, ein Dilemma. Wir sind militärisch neutral, das heißt, wir dürfen uns keinen militärischen Bündnissen anschließen. Solange die EU kein militärisches Bündnis ist, gibt es hier kein Problem. Aber als Neutraler haben wir, wie auch jeder andere Staat, die Verpflichtung, unser souveränes Staatsgebiet verteidigen zu können.
Wie reagiert nun das österreichische Bundesheer auf diese sich verändernde Sicherheitslage?
Die erste große Änderung ist ein Investitionspaket. Man hat in der Politik endlich erkannt hat, dass das Militär finanziell so ausgestattet werden muss, dass es den Auftrag der Landesverteidigung erfüllen kann. Dazu haben wir nun eine ordentliche Finanzierung und können mit dem Aufbauplan 2032 mit 16 Milliarden Euro das Bundesheer so ausstatten, dass wir die großen Fehlstellen der Vergangenheit beseitigen können. Damit werden wir mit unseren 55.000 Mann wieder verteidigungsfähig. Hier laufen die Bestellungen vor allem in den drei großen Bereichen Mobilität der Streitkräfte, Schutz und Waffenwirkung sowie Durchhaltefähigkeit.
Wie konkret ist davon die Truppe im Bundesland Salzburg betroffen?
Im Prinzip betrifft es alle Verbände, die wir im Bundesheer haben. Das Pionierbataillon steht grundsätzlich von der Ausrüstung sehr gut da, hat aber Nachholbedarf im Schutz, damit es mit gehärteten Fahrzeugen in den Einsatz gehen kann. Wenn ich weitergehe zu den Luftstreitkräften – wir haben das Kommando Luftstreitkräfte und die Luftraumüberwachung, die zu einer Kommando Luftverteidigung werden. Dort wird ganz massiv investiert hinsichtlich Flugabwehr, also in die bodengebundene Luftabwehr. Dazu werden wir wieder ein Fliegerabwehrbataillon bei uns in Salzburg haben und auch Lenkwaffen mittlerer Reichweite bekommen. Also da ist ganz massiv ein Technologieschub und ein Bewaffnungsschub zu sehen.
Hier geht es vor allem um Sky Shield?
Das ist jetzt noch nicht Sky Shield. Die Waffen wird man aber im Rahmen von Sky Shield kaufen. Aber das ist eine ureigenste Souveränitätsaufgabe, dass man den Luftschirm auch selber übernehmen kann. Da geht es jetzt noch gar nicht so um den Verbund. Sky Shield wird eher dann bei der Long-Range-Luftverteidigung relevant, die nur im Verbund möglich ist. Auch bei der Luftraumüberwachung geht es um die Neubeschaffung von Radars, auch die Drohnenabwehr ist hier ein ganz großes Thema.
Dann haben wir noch den Bereich der Heereslogistik – also durch die Bank. Bis zur Soldatenausrüstung wird da investiert. Parallel dazu geht es in den Kasernen darum, dass wir überall autark und resilient sind über einen gewissen Zeitraum.
Wie steht es um das Personal beim Bundesheer? Aktuell wird über eine Verlängerung des Grundwehrdienstes gesprochen.
Wir haben Nachholbedarf beim Personal – das hat zwei Facetten. Das eine ist das Berufspersonal und das andere ist der Milizstand, also unsere verpflichteten Soldaten. Wir haben derzeit sechs Monate Grundwehrdienst. Nach diesen sechs Monaten müssen die Soldaten so gut ausgebildet sein, dass sie in ihrer Milizfunktion alles können. Dann werden sie beordert auf einen gewissen Zeitraum. Beim Grundwehrdienst haben wir mit diesen sechs Monaten ein Hamsterrad. Wenn ich denke, dass ich einen Kraftfahrer zwei Monate ausbilden muss, bis er einmal mit einem Lkw fahren kann. Wenn es sogar ein Spezial-Lkw oder ein Panzer ist, brauche ich fast noch einen dritten Monat dazu – danach habe ich nur mehr drei Monate Zeit. Und in der Nutzungsphase muss ich schon den Nächsten ausbilden.
Was wir jetzt noch gar nicht angesprochen haben, ist der Cyber-Warfare bzw. der hybride Krieg. Wie steht es um die Verteidigungskapazitäten des Bundesheeres?
Hybride Kriegführung ist natürlich ein riesengroßes Thema. Krieg ist ein fürchterliches Wort, aber das ist eben aktuell der Konflikt Russland gegen Europa unterhalb der Schwelle der offenen Konfliktaustragung. Und wir sehen sehr viele Beispiele, wo das schon passiert. Nicht nur im Cyber-Bereich, sondern auch ganz offensiv, wenn man so denkt, dass russische Schiffe einen Anker ziehen und dadurch Unterseekabel erwischen, Gasleitungen zerstören und so weiter. Also das ist eine klassische hybride Kriegführung und da passiert ganz viel. Zudem gibt es nun zwei weitere Domänen der Kriegsführung. Das ist die Information-Domain und Cyber-Domain. Bei der Cyber-Domain ist vor allem ein gesamtstaatlicher Ansatz notwendig, damit man staatliche Netze schützt.
Und wichtig ist aus meiner Sicht auch die Information-Domain. Desinformation läuft aktuell ganz massiv. Also alle diese Ideen der Schuldumkehr gegen Russland, wo man so sagt, es ist ja die Ukraine schuld oder es ist Europa schuld, dass Russland angreifen hat müssen. Das kann man wirklich verfolgen, wie das gesteuert wird und diese Nachrichten jetzt im Information-War bzw. im Desinformation-War gestreut werden und oft auch auf fruchtbaren Boden stoßen.
Glauben Sie, dass sich die Bevölkerung des Ernstes der Lage bewusst ist?
Noch nicht ganz. Ich bin aber felsenfest überzeugt, dass die Politik sich der Lage bewusst ist. Das zeigt sie etwa bei der Finanzierung und allen Maßnahmen, die da laufen. Die Bevölkerung hinkt nur ein bisschen nach, obwohl schon sehr viel dazu getan wird, vor allem in den Schulen. Der Ernst der Lage, unter Anführungszeichen, glaube ich, ist schon vielen bewusst. Ich habe fast das Gefühl, dass zu viel Angst vorherrscht, denn Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.
In Österreich redet man sich – gerade was die Landesverteidigung angeht – sehr gerne auf die Neutralität hinaus. Muss man in Österreich die Neutralität vielleicht neu denken?
Man sollte natürlich über die Neutralität diskutieren dürfen. Das wäre mir ganz wichtig. Ich persönlich bin noch nicht überzeugt, ob der eine oder andere Weg der bessere ist. Wir sind mit der Neutralität wirklich gut gefahren, das muss man sagen. Die Neutralität ist auch in der Bevölkerung sehr tief verankert. Ob es für die Zukunft auch die richtige Lösung ist, das sollte man sich zumindest einmal anschauen. Wir können nicht sagen, dass uns nichts passiert, weil wir neutral sind. Diese Trittbrettfahrer-Mentalität, das darf nicht sein.
Danke für das Interview.
(Quelle: salzburg24)