"Die Unterdrückung der Muslimbrüder stürzt Ägypten in eine gewaltsame Konfrontation. In dem Land wiederholt sich das Drama, das Algerien vor rund 20 Jahren erlebt hatte, als das Militär zwischen der ersten und der zweiten Runde demokratischer Wahlen die Macht ergriff. Die Folge war ein infernaler Bürgerkrieg, in dem mehr als 150.000 Algerier umkamen. Die Verantwortung für das Blutbad in Ägypten trägt vor allem die Übergangsregierung. Zwar hatten die Muslimbrüder einen gewaltsamen Zusammenstoß mit dem Militär gesucht, aber die Regierung und die Armee hätten sich nicht von den Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi provozieren lassen dürfen."
Die "Neue Zürcher Zeitung" kommentiert:
"Während die Generäle, allen voran (Armeekommandeur) Abdelfatah as-Sisi, nationale Einheit predigen und sich dabei auffällig in die Tradition eines Gamal Abdel Nasser einreihen, steht die Stabilität der Sicherheitskräfte keineswegs fest. Viele der Ordnungshüter sehen in der Armee immer noch jene positive Kraft, die vor zweieinhalb Jahren dem Volk im Kampf um Gerechtigkeit zur Seite stand. Die Gewalteskalation wird einen Märtyrerkult fördern und das Bedürfnis nach Rache wecken. Ein Teil der rebellischen Jungen vom Tahrir-Platz hat das böse Spiel der Armee durchschaut und kämpft im aufgekommenen Gefechtslärm verzweifelt um Gehör. Ihr Ruf zur Rettung der Revolution verdient volle Unterstützung."
Die konservative britische Zeitung "The Times" fordert eine entschiedene Reaktion des Westens:
"Es war ein Massaker. Auch wenn die Muslimbrüder ihren Teil der Verantwortung tragen, so stand der Einsatz am Donnerstag in keinem Verhältnis zu den Provokationen. Weder Amerika noch Europa können so tun, als habe es diese Metzelei nicht gegeben. Es wird nicht ausreichen, die gegenwärtige Politik "zu überprüfen", wie der Sprecher von (US-Präsident Barack) Obama zusicherte. Leise Duldung wird in der muslimischen Welt als stillschweigende Zustimmung gedeutet werden. Konkrete Schritte müssen ergriffen werden, um dem ägyptischen Armeekommandeur General Abdel Fattah al-Sisi klarzumachen, dass er zu weit gegangen ist. Mit jeder Aktion, die die Muslimbruderschaft in den Untergrund zurücktreibt, sinken die Chancen auf einen friedlichen Übergang zur Demokratie in Ägypten."
Die niederländische Zeitung "De Telegraaf" meint:
"Es ist bedauernswert, dass die Armee und die Polizei nicht die Geduld hatten, die Proteste auf friedliche Art und Weise aufzulösen. Dadurch wird die direkte Konfrontation zwischen den Muslimbrüdern und den anderen Parteien immer stärker und das Land droht in einen Bürgerkrieg abzugleiten. Und damit verfliegt die Hoffnung auf eine stabile demokratische Regierung in Ägypten, das als Vorbild für andere Länder des Nahen Ostens dienen könnte."
Die französische Regionalzeitung "Dernières Nouvelles d'Alsace" (Straßburg) kommentiert:
"Dem Obersten Militärrat werden diese jüngsten Szenen des Chaos noch lange anhängen. Die freundlichen Bilder, die Verbrüderungsszenen zwischen der Bevölkerung und Soldaten zeigten, sind endgültig ausradiert. Selbst die schärfsten Gegner von (Ex-)Präsident (Mohammed) Mursi sind entsetzt über die Massentötungen. Es sind schreckliche Tage, die Ägypten durchlebt. Die Muslimbrüder werden versuchen, ihre Anhänger zu mobilisieren, und werden neue "Märtyrer" ausrufen. Die Armee wird sich als Schutzwall gegen das Chaos darstellen. Demokraten sind an den Rand gedrängt und können höchstens auf bessere Zeiten hoffen. Welch tragische Entwicklung in Ägypten, wo man auf den Aufbau eines Rechtsstaats hoffte."
Die liberale schwedische Tageszeitung "Göteborgs-Posten" (Göteborg) schreibt:
"Es ist eine Tragödie, wie sich die Hoffnung auf Demokratie in Ägypten in Gewalt und Widersprüchen auflöst. Das Blutbad am Montag, bei dem mindestens hundert Menschen ihr Leben verloren, war eine schockierende und zutiefst enttäuschende Veranstaltung. In einem zunehmend polarisierenden sozialen Klima sind die liberalen und demokratischen Kräfte mehr und mehr gefangen. Es wird immer schwieriger zu sehen, wie ein konstruktiver politischer Prozess wieder aufgenommen werden kann. Vize-Präsident Mohamed ElBaradei hat seinen Rücktritt damit begründet, dass friedliche Alternativen bestanden hätten. Damit protestieren nun auch die konstruktiven und demokratischen Kräfte des Landes, auf die die ganze Welt ihre Hoffnung gesetzt hatte. Die Gewaltspirale und die Polarisierung müssen durchgebrochen werden. Aber die aktuelle Situation sieht nicht gut aus."
(Quelle: salzburg24)