Regierungsvertreter in den USA und Europa rechnen mit einer kurzen, heftigen Attacke, die möglicherweise allein mit Marschflugkörpern ausgeführt wird. Vorher muss die US-Regierung allerdings ihre Ziele in Syrien mit extremer Vorsicht auswählen. Dies gilt besonders, da es ihr darum gehen muss, nicht nur Assad vom Gebrauch von Chemiewaffen abzuschrecken, sondern zugleich auch den Iran mit seinem Atomprogramm in Schach zu halten.
"Die Regierung muss sich entscheiden, was sie erreichen will: Eine Bestrafungsaktion, um Konsequenz zu zeigen, oder einen Machtwechsel in Syrien", sagt der altgediente US-Nahostexperte Dennis Ross. "Ich denke, es wird eher um ersteres gehen."
Mit Luftangriffen hatte die NATO 2011 den Rebellen in Libyen den Weg an die Macht geebnet. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass sich Obama erneut für diese Option entscheiden wird. "Ich denke, es wird geschehen, aber es wird minimal sein - gerade genug, um der Welt zu zeigen, dass wir etwas getan haben", sagt Hayat Alvi vom US-College für Seekriegführung mit Blick auf einen Militärschlag. "Das große Ziel ist es, die USA nicht zu tief in den Konflikt zu verwickeln - und es vor allem nicht zu einem Einsatz von Bodentruppen kommen zu lassen."
Die USA und ihre Verbündeten hatten ihr Kriegsgerät schon in der Region aufgefahren, bevor am Mittwoch Hunderte Menschen durch einen mutmaßlichen Giftgas-Angriff in den von den Rebellen kontrollierten Vororten von Damaskus starben. Doch sollte nicht bald etwas geschehen, so fürchten einige, werde Assad das Gefühl vermittelt, dass er ungestraft Chemiewaffen einsetzen könne.
Doch die Auswahl der Ziele in Syrien ist riskant. Am wahrscheinlichsten ist nach Aussagen von Regierungsvertretern ein Militärschlag gegen Assads Kommando-Zentralen, die Flugabwehr und alle Teile seines Chemiewaffen-Arsenals, die nach Einschätzung der Experten gefahrlos angegriffen werden können. Vermeiden müssen die Militärs dagegen jegliche Attacke, die gefährliche Kampfstoffe freisetzt oder russische Techniker tötet. Russland ist Assads größter Waffenlieferant. Der Tod russischer Bürger dürfte den ohnehin gespannten Beziehungen des Westens zu dem Land einen weiteren Tiefschlag versetzen.
WESTEN FÄHRT KRIEGSMASCHINERIE UM SYRIEN AUF
Die moderne syrische Flugabwehr und die Furcht vor Opfern unter den eigenen Flugzeugbesatzungen machen einen Angriff mit Marschflugkörpern laut Experten derzeit am wahrscheinlichsten. Die Geschoße könnten von US-Kriegsschiffen oder aus Flugzeugen abgefeuert werden, die dafür nicht in den syrischen Luftraum eindringen müssen. Die USA haben die Zahl ihrer Zerstörer mit Marschflugkörpern an Bord im Mittelmeer bereits auf vier erhöht. Das stärkste Kriegsschiff in der Region, der Flugzeugträger Harry S. Truman, hatte das Mittelmeer Mitte August verlassen und war durch den Suezkanal ins Rote Meer gefahren. Auch von dort aus könnte Syrien allerdings noch in Reichweite sein.
Großbritannien hält nach Angaben aus Verteidigungskreisen bereits seit Monaten ein Kampf-U-Boot im Mittelmeer vor. Es könnte sich wie damals in Libyen an einem Militärschlag der USA beteiligen. Der französische Flugzeugträger Charles de Gaulle wurde nach einer Überholung gerade wieder für einsatzfähig erklärt. Derzeit liegt das Schiff in der südfranzösischen Hafenstadt Toulon, von dort kann es aber binnen drei Tagen vor der syrischen Küste sein.
Ganz oben auf der Prioritätenliste des Westens steht nach Aussage von Regierungsvertretern die Vermeidung alliierter oder ziviler Opfer. "Es geht um die am wenigsten schlechte Option", heißt es in europäischen Verteidigungskreisen. "Niemand will riskieren, dass Piloten gefangen genommen oder getötet werden." Flugzeuge könnten am Ende allerdings doch zum Einsatz kommen. Israelische Kampfjets haben bereits mehrfach Ziele in Syrien beschossen und damit demonstriert, dass es möglich ist.
Amerikanische F-16-Kampfjets sind nach einer Übung vor einiger Zeit ohnehin in Jordanien geblieben. Die US-Luftwaffe könnte auch ihren Stützpunkt im türkischen Incirlik verstärken. B-2-Langstreckenbomber wiederum könnten unerkannt vom syrischen Radar aus den USA heranfliegen. Frankreich hat Kampfjets der Typen Rafale und Mirage auf einem Stützpunkt in den Vereinigten Arabischen Emiraten stationiert. Flugzeuge von Briten, Franzosen und anderen Nationen könnten auch von Basen in Zypern aus operieren.
Experten halten die konventionellen syrischen Truppen immer noch für recht schlagkräftig. Zu ihrem Arsenal sollen Anti-Schiffs-Raketen zählen, die Schiffe im Mittelmeer treffen könnten, und konventionelle Raketen, die Nachbarstaaten wie Israel bedrohen.
Vergangenes Jahr versprach Assad, keine Chemiewaffen innerhalb Syriens einzusetzen. Zugleich drohte er dem Ausland jedoch, falls es einen Umsturz versuchen sollte. Nach Einschätzung westlicher Regierungsvertreter verfügt Syrien über rund 1000 Tonnen chemischer Kampfstoffe. Darunter soll auch VX-Gas sein, das als weit tödlicher gilt als das Sarin, das vergangene Woche mutmaßlich nahe Damaskus eingesetzt wurde. Die Sorge vor dem Giftgas trieb die Türkei und Jordanien schon vor einiger Zeit dazu, die NATO um Hilfe zu bitten. In beiden Ländern sind nun Patriot-Abwehr-Raketen stationiert, die feindlichen Beschuss abfangen sollen. Zwei deutsche Patriot-Batterien stehen in der Türkei.
(Quelle: salzburg24)