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"Waffenruhe" endet im Blutbad: Dutzende Tote bei Straßenschlachten in Kiew

Die Opposition verstärkt die Barrikaden am Maidan, nachdem es am Donnerstag erneutz zu heftigen Protesten mit der Polizei gekommen ist.
Veröffentlicht: 20. Februar 2014 10:01 Uhr
Die Ukraine gleitet immer mehr ins Chaos ab: Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten in Kiew sind am Donnerstag Dutzende Menschen ums Leben gekommen. - Die EU-Außenminister beschließen Sanktionen gegen ukrainische Führung. - Präsident Janukowitsch stimmt Neuwahlen zu.
SALZBURG24 (Stephanie Jiménez)

Staatschef Viktor Janukowitsch hat nach Angaben der polnischen Regierung vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen noch im laufenden Jahr zugestimmt. Darauf habe sich Janukowitsch mit den EU-Außenministern geeinigt, erklärte Polens Premier Donald Tusk am Donnerstagabend in Warschau. Außerdem sei die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit binnen zehn Tagen vereinbart worden.
 

kiew_verhandlungen Salzburg24
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Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seine Kollegen aus Frankreich und Polen, Laurent Fabius und Radoslav Sikorski, verhandelten seit in der Früh in der ukrainischen Hauptstadt mit Regierung und Opposition.

EU-Sanktionen gegen ukrainische Führung

Die Außenminister der Europäischen Union haben Sanktionen gegen die politische Führung der Ukraine beschlossen. Die italienische Außenministerin Emma Bonino sagte nach einem Treffen in Brüssel am Donnerstag, man werde "sehr schnell" die Sanktionen umsetzen. Einreiseverbote und Kontensperrungen richteten sich gegen die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen und Gewalt.

Demonstranten halten 67 Polizisten als Geiseln

Wie das ukrainische Innenministerium indes in einer Erklärung mitteilte, hätten Regierungsgegner mindestens 67 Polizisten gefangen genommen. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Demonstranten die Beamten durch das Protestlager auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew führten, berichtete die Nachrichtenagentur AP. Nach Angaben eines oppositioneller Abgeordneten würden die Polizisten im besetzten Rathaus festgehalten werden.

Radikale Regierungsgegner: Mindestens 70 Tote

Demonstranten, die im Kugelhagel zu Boden stürzen, zahlreiche Leichen, die auf Plastikplanen weggetragen werden: Es sind Bilder des Grauens, die im ukrainischen Fernsehen zu sehen sind. Insgesamt seien nach Angaben des Gesundheitsministerium der Ex-Sowjetrepublik seit Dienstag mindestens 64 Menschen ums Leben gekommen. Vertreter der radikalen Regierungsgegner gaben allerdings an, dass allein am Donnerstag mindestens 70 Demonstranten getötet und mehr als 500 weitere verletzt worden seien. Die Demonstranten seien dabei gezielt erschossen worden. In einem CNN-Bericht war sogar von 100 Toten seit Tagesbeginn die Rede.

Die meisten Opfer gab es demnach auf der Institutsstraße zum Regierungsviertel. Demonstranten und Regierung geben sich gegenseitig die Schuld für das Blutbad.

AP Salzburg24
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Sicherheitskräfte bekamen scharfe Waffen

Die ohnehin bedrohliche Lage weiter eskaliert hat der ukrainische Innenminister: Die ukrainische Staatsmacht setzt  Scharfschützen gegen die Demonstranten ein. Die Sicherheitskräfte hätten Schusswaffen für den "Anti-Terror-Einsatz" erhalten, erklärte Vitali Sachartschenko einer Mitteilung zufolge. Die Waffen dürften mit scharfer Munition eingesetzt werden.

Livestream aus Kiew:

Präsident Janukowitsch warf seinen Gegnern vor, den am Mittwoch vereinbarten Gewaltverzicht gebrochen zu haben. Oppositionsführer Vitali Klitschko warf seinerseits dem Präsidenten vor, das eigene Volk anzugreifen. "Bewaffnete Verbrecher wurden auf die Straßen gelassen, um Menschen zu verprügeln. "Das Innenministerium rief die Bürger Kiews auf, ihre Häuser nicht zu verlassen, weil "bewaffnete und aggressive Menschen" in der Stadt unterwegs seien.

Putin schickt Vermittler nach Kiew

Auf Bitte von Janukowitsch schickt Kremlchef Putin einen Vermittler nach Kiew. Der scheidende Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin solle an Gesprächen zwischen Führung und Opposition in der Ex-Sowjetrepublik teilnehmen, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag nach Angaben russischer Agenturen. Die ukrainische Opposition allerdings gilt als antirussisch.

Unterdessen wurde aus Sicherheitsgründen der Regierungssitz geräumt. Alle Angestellten des Kabinetts seien bereits in der Früh aus dem Gebäude unweit der Proteste in Sicherheit gebracht worden, sagte eine Regierungssprecherin. Zuvor hatte das Parlament seine für Donnerstag und Freitag geplanten Sitzungen abgesagt.

Kiewer Bürgermeister verlässt Regierungspartei

Die Gewalteskalation ließ auch den Zusammenhalt des Regierungslagers bröckeln. Der Bürgermeister von Kiew, Makejenko, verließ die regierende "Partei der Regionen" und forderte die Parlamentsabgeordneten auf, sich als lebende Schutzschilde zwischen die Fronten zu stellen. "Keine Macht ist das Leben von Menschen wert, kein Oligarch ist gestorben, nicht ein Politiker", sagte er.

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Zuvor hatten sich Dutzende Abgeordnete der Janukowitsch-Partei für eine Machtbeteiligung der Opposition ausgesprochen. Es solle eine All-Parteien-Regierung gebildet und der Opposition der Posten des Parlamentspräsidenten angeboten werden, so der frühere Vizepremier Sergej Tigipko auf Facebook. Oppositionelle Abgeordnete marschierten zum Parlament, um eine Sondersitzung der Volksvertretung zu erzwingen.

Der Krisen-Fahrplan der EU-Außenminister

Das EU-Trio aus Deutschland, Frankreich und Polen hat einen Fahrplan für eine politische Lösung im Machtkampf in der Ukraine vorgeschlagen. Demnach sollen eine Übergangsregierung gebildet, eine Verfassungsreform begonnen und Parlaments- und Präsidentenwahlen abgehalten werden.

Nach dem Gespräch mit Janukowitsch kamen die EU-Minister mit den ukrainischen Oppositionsführern zusammen, um über den "Fahrplan" zu beraten. Anders als zunächst geplant wollen die drei Minister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Radoslaw Sikorski und Laurent Fabius ihre Gespräche in Kiew am Freitag fortsetzen. Ursprünglich hatten sie am Donnerstagnachmittag zum EU-Außenministertreffen nach Brüssel weiterreisen wollen.

EU erwägt auch Waffenembargo

Angesichts der blutigen Eskalation in der Ukraine erwägt die EU neben gezielten Sanktionen gegen die Verantwortlichen auch ein Waffenembargo gegen das Land. Das geht aus einem Entwurf für eine gemeinsame Erklärung der EU-Außenminister hervor. Bisher war in der EU nur von "gezielten" Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Gewalt die Rede gewesen. Solche Strafmaßnahmen treffen in der Regel Politiker und Vertreter von Polizei oder Justiz und bedeuten Einreiseverbote und die Sperrung ihrer Konten in der EU. Eine Namensliste sollte am Donnerstag aber noch nicht beschlossen werden, verlautete aus EU-Kreisen.

Merkel warnt Janukowitsch

Auch die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, schaltete sich am Donnerstag ein und telefonierte mit Janukowitsch. Merkel habe die Eskalationen scharf verurteilt, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Alle Seiten müssten unverzüglich von Gewalt Abstand nehmen und die noch am Mittwochabend vereinbarte Waffenruhe umsetzen. Die Hauptverantwortung dafür liege bei der Staatsführung.

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Sanktionen: "Öl ins Feuer"

Die ukrainische Führung warnte die EU vor Strafmaßnahmen. "Sanktionen würden die Situation verschärfen, sie wären Öl ins Feuer", sagte Präsidialamtschef Andrej Kljujew. "Bei Sanktionen droht die Gefahr, dass das Land in zwei Teile zerbricht."

Russland: Sanktionen sind "Erpressung"

Mit scharfen Worten hat sich der russische Außenminister Sergej Lawrow gegen die geplanten EU-Sanktionen gegen die Ukraine gewandt. Lawrow bezeichnete die Maßnahmen am Donnerstag als "Erpressung", meldete die Nachrichtenagentur RIA. Das Moskauer Außenministerium warnte, dass Sanktionen "die Konfrontation nur noch verschärfen" werde.

Die seit Monaten anhaltenden Proteste gegen Janukowitsch hatten sich entzündet, als der Präsident überraschend einer ausgehandelten engeren Bindung an die EU eine Absage erteilt und stattdessen die Beziehungen zu Russland intensiviert hatte. US-Präsident Barack Obama erklärte, sein Ziel sei es, dass die Menschen in der Ukraine selbst über ihre Zukunft entscheiden könnten. Die USA haben bereits am Mittwoch mit Reisebeschränkungen gegen 20 Regierungsmitglieder auf den Gewaltausbruch reagiert.

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Nachbarländer rechnen mit Flüchtlingsstrom

Die EU-Nachbarländer der Ukraine bereiten sich angesichts der völligen Eskalation der Situation auf einen möglichen Flüchtlingsstrom vor. Rumänien, Polen, Ungarn und die Slowakei erklärte sich bereit, im Notfall Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufzunehmen.

Rumänien erklärte, es könnte ungefähr 3.500 Menschen aufnehmen, falls nötig könnte man in der Folge weitere Unterbringungsmöglichkeiten schaffen. Die ungarische Regierung verlautbarte, die Situation in der Ukraine mit dem speziellen Augenmerk auf die ungarische Minderheit in der Ukraine zu verfolgen. Und auch Polens Premier Donald Tusk betonte, das Land sei bereit Verletzte und mögliche Flüchtlinge aufzunehmen. "Es liegt ein düsteres Szenario vor uns", so Tusk laut PAP.

Die Situation im Nachbarland werde auch in der Slowakei vom Sicherheitsrat aufmerksam verfolgt. Es gebe bisher zwar keine Flüchtlinge oder vermehrte Visa-Anfragen aus der Ukraine, Bratislava sei jedoch bereit, im Notfall auf neue Entwicklungen zu reagieren, hieß es. Für einen Massenzustrom von Flüchtlingen sei die Slowakei jedoch nicht bereit, warnte dagegen der Sicherheitsexperte und Politologe Ivo Samson. (red/APA/dpa)

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(Quelle: salzburg24)

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