Martin Polaschek (parteifrei) ist seit knapp eineinhalb Jahren Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Er sei angetreten, um das Bildungssystem zu modernisieren und zu verbessern, sagt er im SALZBURG24-Interview. Eine „Herzensangelegenheit“ sei die Bekämpfung des Lehrerkräfte-Mangels. Doch die im Herbst 2022 gestartete Personalkampagne unter dem Titel „Klasse Job“, die auch neue Zielgruppen, wie Maturierende umwirbt, stößt vor allem in den Schulen auf Kritik.
Aber auch die Wissenschafts- und Demokratieskepsis, die in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern stark vorherrscht, beschäftigen den ehemaligen Rektor der Universität Graz. Dem wolle er gezielt entgegentreten. Wie das geschehen soll – aber auch darüber, welche Chancen und Gefahren Künstliche Intelligenz für Schulen und Universitäten bringen, ob ein Verbot von Chat-GPT ansteht und welche Kompetenzen die jungen Menschen von heute für die Zukunft am dringendsten brauchen, haben wir mit Martin Polaschek bei seinem Besuch in der SALZBURG24-Redaktion gesprochen (und ja, es gibt auch ein TikTok dazu).
SALZBURG24: Wir wissen, die Wissenschaftsskepsis in Österreich ist hoch, das Interesse an der Wissenschaft ist niedrig. Warum ist das so? Was ist in den letzten Jahren in Sachen Bildung schiefgelaufen?
BM MARTIN POLASCHEK: Die Eurobarometer-Studie, die im Herbst 2021 erschienen ist, hat gezeigt, dass die Wissenschaftsskepsis in Österreich sehr hoch ist. Man muss aber dazu sagen, dass sie davor auch schon hoch war. Und sie ist noch weiter gewachsen. Österreich hat mittlerweile im Vergleich zu anderen Ländern einen sehr schlechten Rang. Warum das so ist, das können wir auch noch nicht erklären. Aber ich habe dazu eine Studie in Auftrag gegeben und wir werden die Ergebnisse im Sommer bekommen. Ich gehe davon aus, dass wir daraus lernen können, warum dies in Österreich so ist, um dann entsprechende Maßnahmen zielgerichtet in die Wege zu leiten.
Zwischenergebnisse gibt es ja schon. So liest man zum Beispiel, dass die Wissenschaftsskepsis vor allem auch bei FPÖ-Wähler:innen recht hoch ist. Wie ist das zu erklären?
Ich würde dieses Zwischenergebnis nicht auf eine Gruppe von Wählerinnen und Wähler fokussieren. Es geht uns darum, herauszufinden, ob wir in Österreich flächendeckend ein Problem haben, über alle Alters- und Berufsgruppen, oder ob es Verteilungen gibt. Dann müssen wir punktuell für verschiedene Zielgruppen Maßnahmen setzen.
Sie haben einmal gesagt: "Zweifelt man an Wissenschaft, werden auch demokratische Werte in Zweifel gezogen." Machen Sie sich Sorgen um die Demokratie?
Demokratie ist immer in Gefahr. Demokratie lebt davon, dass sich Menschen aktiv engagieren, zu Wahlen gehen, sich beteiligen und bewusst demokratisch leben und demokratische Parteien unterstützen. Wir müssen jeden Tag aufs Neue um unsere Demokratie kämpfen. Die Werte haben sich in Österreich in den letzten Jahren verschlechtert, aber das ist weltweit ein Thema. Denken wir etwa an Brasilien, USA, jetzt zuletzt auch Finnland. Wir leben in Zeiten von Unsicherheit, von Krisen. Die Menschen wollen einfache Antworten auf komplexe Fragen. Doch in Wirklichkeit gibt es nie einfache Antworten und verantwortungsvolle Politik muss das den Menschen darlegen und das ist nicht immer leicht.
Das bedeutet, man müsste hier schon in der Schule ansetzen und den Kindern noch mehr lehren, sich kritisch mit den Dingen auseinanderzusetzen, zu reflektieren und zu hinterfragen.
Das kritische Denken ist das Wichtige, sowohl für die Wissenschaft, als auch für das politische Leben, in einer Demokratie. Es geht darum, seine Meinung zu sagen, aber auch andere Meinungen zuzulassen. Kritik bedeutet nicht, gegen etwas zu sein, sondern etwas zu hinterfragen. Gleichzeitig bedeutet es, offen zu sein für Neues und bereit zu sein, seinen eigenen Standpunkt zu ändern. Es geht um die Bereitschaft, immer wieder dazuzulernen.
Dieses Eingraben in verschiedene Standpunkte ist durch die Pandemie verstärkt worden. Die Menschen haben viel mehr zu Hause verbracht, haben viel im Homeoffice verbracht. Und das sind Herausforderungen, die die Gesellschaft in ganz Europa betreffen.
Es gibt auf der einen Seite die Wissenschaftsskepsis und auf der anderen Seite das mangelnde Interesse an Wissenschaft an sich. Das ist ja nicht ident. Wer trägt die Hauptverantwortung, bei den Kindern und Jugendlichen das Interesse an der Wissenschaft zu wecken? Sind das Schulen, die Eltern oder ist es die Politik?
Es ist vor allem die Bildungspolitik, die Wissenschaft in die Schulen trägt. Wenn die Bildungspolitik entsprechend Vorgaben macht, entsprechend Lehrpläne dahingehend gestaltet, die Lehrerinnen und Lehrer auch entsprechend schult und darauf hinweist, welche Bedeutung Wissenschaft für unser aller Leben hat, dann wird auch das Vertrauen in die Wissenschaft nachhaltig gestärkt. Umsetzen müssen es dann die Lehrerinnen und Lehrer. Und natürlich sind auch die Eltern gefordert verantwortlich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen umzugehen und das Vertrauen, das sie selbst tagtäglich in die Wissenschaft setzen, an ihre Kinder weiterzugeben. Denn wenn die Eltern das auch unterstützen und mitfördern, dann verstärkt das den Effekt.
Ein anderes Thema, das im Moment natürlich auch vor allem Salzburgs Studierende beschäftigt, ist Künstliche Intelligenz und Chat-GPT. Wie stehen Sie zu dem Thema, braucht es ein Verbot an Schulen und Universitäten?
Ein Verbot wird nichts bringen. Und eines ist klar: Eine wissenschaftliche Leistung ist selbstständig zu erbringen. Egal, ob es um Ghostwriting, Plagiate oder das Verwenden von Künstlicher Intelligenz geht – es ist nicht erlaubt die Leistung eines anderen als die eigene auszugeben. Die Schwierigkeit bei Künstlicher Intelligenz ist die, dass Texte nicht kopiert sind, sondern neu entstehen. Dementsprechend schlägt die Plagiatssoftware, die wir an den Unis im Einsatz haben, auch nicht immer an. Zum Teil gibt es bereits neue Software, die erkennen kann, ob ein Text durch KI entstanden ist.
Was wir tun müssen, ist, für noch mehr Awareness zu sorgen und neue Wege zu finden, um zu überprüfen, inwieweit die Leistung eigenständig erbracht worden ist. Das heißt, wir werden in allen Bereichen, sowohl im Schulbereich, als auch im Hochschulbereich, künftig viel mehr Augenmerk auf persönliche Gespräche mit den Verfasserinnen und Verfassern von Arbeiten legen. Nur so können wir überprüfen, ob diese Personen die Arbeiten auch tatsächlich verfasst haben.
Wo sehen Sie die Chancen von Künstlicher Intelligenz?
Künstliche Intelligenz kann zu neuen Umbrüchen führen. Gerade dort, wo es um große Datenmengen geht. Was ich aus der medizinischen Forschung höre, ist, dass man mit Hilfe von KI viel rascher und genauer Untersuchungen machen kann. Es wird sich einiges bewegen, was Untersuchungen angeht, was das Erkennen von Krankheiten angeht – vielleicht auch das Finden von Wirkstoffen. Aber auch in der Schule kann KI eine Chance sein, um adaptiv zu lernen. Die KI wird unser Leben im Positiven wie im Negativen beeinflussen. Es wird an uns liegen, die Chancen zu nützen und da wo es Gefahren gibt, entsprechend zu reagieren.
Sie haben die Awareness schon angesprochen. Wann und wo soll man beginnen, die Menschen über Chancen und Risiken der KI aufzuklären?
Digitale Kompetenz ist ein wichtiges Thema. Und daher haben wir auch reagiert, in dem wir mit der Digitalen Grundbildung ein eigenes Unterrichtsfach wieder eingeführt haben – von der fünften bis zur achten Schulstufe. KI, Cybermobbing, Fake News und die Chancen, die uns die Digitalisierung bringt sind hier Thema. Darüber hinaus muss es aber auch darum gehen, erwachsenen Menschen das Thema näher zu bringen. Wir müssen als Gesellschaft darauf achten, dass es keine Digitalisierungsverlierer gibt. Menschen, die der Digitalisierung nicht folgen können, dürfen wir nicht zurücklassen. Und wir müssen sicherstellen, dass sie auch andere Möglichkeiten haben, am gesellschaftlichen und am wirtschaftlichen Leben teilzuhaben. Das ist eine große Herausforderung. Und dieser Punkt wird daher auch entsprechend in die Digitalisierungsoffensive der Bundesregierung einfließen.
Wenn wir schon bei den digitalen Kompetenzen sind. Welche Kompetenzen brauchen die jungen Menschen für die Zukunft dringender denn je?
Sie brauchen ein bestimmtes Grundwissen. Man kann Bildung nicht nur auf Kompetenzen reduzieren. Man braucht ein gewisses Basiswissen, das man abrufen kann. Und es braucht Neugierde – das ist heute vielleicht wichtiger denn je. Es braucht Teamfähigkeit, die Fähigkeit zum vernetzten Denken und die Fähigkeit auf Veränderungen zu reagieren und mit Veränderungen umgehen zu können.
Wie steht es um emotionale Kompetenzen, sind diese nicht auch schon wichtiger geworden?
Die Pandemie hat uns einmal mehr gezeigt, wie wichtig sie sind. Und wir merken vielleicht jetzt, gerade aufgrund einer gewissen Fragmentierung der Gesellschaft, wie wichtig es ist, positiv aufeinander zuzugehen, wie wichtig es ist, zuzuhören, tolerant zu sein. Insofern, ja – emotionale Kompetenzen sind wichtiger geworden. Auch das muss den Kindern und Jugendlichen vermittelt werden. Aber das ist nicht alleinige Aufgabe der Schule. Das ist etwas, was sie über den Umgang mit Freunden, über das Elternhaus, über die Familie lernen. Da sind wir alle als Gesellschaft gefordert, auf die jungen Leute zu achten und sie entsprechend mit ins Leben hineinzubegleiten.
Vielen Dank für das Gespräch.
(Quelle: salzburg24)