Wenn sich ein Verein vorzeitig von einem Trainer trennt, muss es dafür gute Gründe geben. Bei den Bullen liegen diese auf der Hand und sind vor allem sportlicher Natur. Mit der verpassten Europacup-Teilnahme im Frühjahr und dem Cup-Aus ist der elfte Meistertitel in Folge im heißen Titelrennen in Gefahr.
Sportdirektor Bernhard Seonbuchner und Geschäftsführer Stephan Reiter haben gemeinsam mit dem Vorstand die "schwere Entscheidung" getroffen, Gerhard Struber nach 34 Spielen zu beurlauben. Dem Vorstand gehören neben Harald Lürzer auch Herbert Resch (Stellvertreter) und Franz Rauch an. Gut möglich, dass auch Red-Bull-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff seine Finger im Spiel hatte.
Turbulenter Bullen-Start für Struber
Ob die Entscheidung von Red Bull Salzburg richtig oder falsch war, wird sich nach den verbleibenden sechs Meisterschaftsspielen zeigen. Doch warum musste es überhaupt so weit kommen, dass der dritte von 15 Trainern in der Ära der Bullen vorzeitig entlassen wurde?
Unsere Ursachenforschung beginnt mit dem überraschenden Abgang von Ex-Trainer Matthias Jaissle. Der Deutsche verabschiedete sich zwei Tage vor Saisonbeginn unrühmlich aus der Mozartstadt und sorgte für Chaos. Die Vereinsführung war überrumpelt und zum Handeln gezwungen.
Kaum Chance bei den Salzburg-Fans
Bereits zum zweiten Meisterschaftsspiel stand Gerhard Struber als Nachfolger fest. Von Anfang an hatte man das Gefühl, dass der erste gebürtige Salzburger Trainer der Bullen nie wirklich eine Chance hatte, sich zu beweisen. Geschweige denn, die Herzen der Fans zu erobern, wie es einst Jesse Marsch als Menschenfänger gelang. In einer emotionalen Fanbotschaft sprach Struber gestern über seinen Amtsantritt von "einem der größten Momente in meinem Trainerleben". Doch der Funke ist nie übergesprungen.
Die Ziele waren wie jedes Jahr dieselben: Der Gewinn des nationalen Doubles war fast schon Pflicht. In der Champions League will man die Großen ärgern und im Idealfall das Achtelfinale erreichen bzw. im Europacup überwintern.
Freunds Rückendeckung fehlte schmerzlich
Im Netz sah sich Struber allerdings schon nach wenigen Wochen mit teils überzogener Kritik konfrontiert. "Wie in der Öffentlichkeit mit Gerhard umgegangen wurde, war nicht fair", betonte Reiter. Strubers langjähriger "Spezi" Christoph Freund hatte im Sommer die Bestellung des 47-Jährigen mit dem heutigen Sportdirektor Bernhard Seonbuchner eingefädelt.
Das Problem: Freunds Wechsel zum FC Bayern München stand zu diesem Zeitpunkt bereits fest. Damit verlor Struber einen engen Vertrauten, der ihm in einer schwierigen Saison den Rücken hätte stärkten können. Die ewig lange Verletztenliste mit zeitweise 14 Ausfällen kann kein Team der Welt adäquat kompensieren. Hinzu kam, dass er aufgrund der fehlenden Vorbereitung mit einer neu zusammengestellten Mannschaft seine Ideen nicht einbringen konnte. Denn im Drei-Tages-Rhythmus ging es sportlich Schlag auf Schlag. Da blieb kaum Zeit, Neues auszuprobieren.
Unbeliebte Bullen-Bestmarke
In der Champions League haderten Andreas Ulmer und Co. mit ausbleibenden Elfmeterpfiffen. Das Aus im Europacup hätte tragischer kaum sein können. Mit einem Gegentor in der Nachspielzeit gegen Benfica Lissabon war sogar die Europa League verloren.
Doch es gab auch Rekorde und Bestmarken zu vermelden: In der Meisterschaft kristallisierte sich die Abwehr als Trumpf heraus. Struber formte die beste Hintermannschaft seit dem Einstieg von Red Bull im Jahr 2005. Mit nur zwölf Gegentoren nach 22 Runden kassierten die Salzburger in den vergangenen 19 Spielzeiten zu diesem Zeitpunkt der Saison nie weniger Treffer als heuer. So schön sich diese Statistik auch liest, im Red-Bull-Kosmos löst sie keine Jubelstürme aus. Offensivspektakel und Power-Fußball sind gefragt. Doch das bekamen die Fans zu selten zu sehen.
Sturm Graz macht Red Bull Salzburg nervös
Als auch nach einer kompletten Vorbereitung die Dominanz ausblieb, beim LASK eine inferiore Leistung folgte und die Bullen den Atem von Sturm Graz im Nacken spürten, wurde die Vereinsführung sichtlich nervös. Die Reißleine wurde gezogen und Onur Cinel mit der Aufgabe betraut, die Saison noch irgendwie zu retten. Der 38-Jährige ist nach Jaissle der zweitjüngste Trainer der Vereinsgeschichte und coacht erstmals ein Erstliga-Team.
Nach seiner Rettungsmission steht für Cinel als "Co" von Teamchef Ralf Rangnick mit Österreich die EM in Deutschland an, ehe er im Sommer zum FC Liefering in die 2. Liga zurückkehrt.
Torjäger fehlt an allen Ecken und Enden
Wer in der neuen Saison bei den Salzburgern an der Seitenlinie stehen wird, konnte oder wollte die Chefetage gestern noch nicht bekannt geben. Der neue Trainer muss aber bald gefunden sein, will dieser bei Kaderplanung für die neue Saison ein Wörtchen mitreden. Wer auch immer es wird, ein eiskalter Stürmer steht mit Sicherheit ganz oben auf der Wunschliste. Ein Knipser mit eingebauter Torgarantie hätte wohl auch unter Strubers Regie so manche Baustelle kaschiert. Und ihm mit der daraus resultierenden Ruhe möglicherweise den Job bei seinem "Herzensklub" gerettet.
(Quelle: salzburg24)